Update Abgasskandal: Ansprüche gegen VW noch nicht verjährt? BGH-Entscheidung in Sicht!

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Wir berichteten, dass Besitzer eines Fahrzeuges aus dem VW-Konzern, die bisher den Klageweg gescheut haben, ihre Ansprüche gegen VW nach einem Urteil des Landgerichts Duisburg (Urteil vom 20.01.2020 – Az. 4 O 165/19immer noch geltend machen können, weil nach Auffassung des Gerichts noch keine Verjährung eingetreten ist. Das OLG Stuttgart hat die Frage der Verjährung nunmehr anders entschieden, die Revision zum BGH aber zugelassen. Eine höchstrichterliche Klärung der Verjährungsfrage ist daher in Sicht.

Der Sachverhalt

Das OLG Stuttgart hatte es mit einem typischen Sachverhalt zu tun. Der Kläger hatte im Jahr 2013 einen VW Touran mit einem Motor des Typs EA 189 erworben, welcher konstruktionsbedingt über eine unzulässige Abschaltvorrichtung verfügte. Seine auf § 826 BGB gestützte Schadensersatzklage gegen die Volkswagen AG erhob der Kläger beim Landgericht Stuttgart im Jahr 2019. Diese war in erster Instanz erfolgreich. Das Landgericht verurteilte die beklagte Volkswagen AG auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich eines zu erstattenden Nutzungsvorteils Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges; daneben stellte es den Annahmeverzug der Beklagten fest. Dieses erstinstanzliche Urteil änderte das OLG Stuttgart ab und wies die Klage ab (OLG Stuttgart, Urteil vom 14.04.2020 – 10 U 466/19).

Die Entscheidungsgründe

Das OLG Stuttgart führt aus, der Schadensersatzanspruch sei bereits mit dem Abschluss des Kaufvertrages im Jahr 2013 entstanden. Im Jahr 2015 habe der Kläger auch den maßgeblichen Sachverhalt gekannt, so dass es ihm zumutbar gewesen sei, seine Ansprüche geltend zu machen. Demnach seien die Ansprüche drei Jahre später zum Jahresende und damit am 31.12.2018 verjährt. Die Klageerhebung im Jahr 2019 sei daher zu spät erfolgt.

Zur näheren Erläuterung führt das OLG Stuttgart aus, der Kläger habe unstreitig bereits im Jahr 2015 davon Kenntnis gehabt, dass sein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung ausgestattet gewesen sei. Auch generell hätten Käufer eines Fahrzeuges aus dem VW-Konzern im Jahr 2015 der umfangreichen Presseberichterstattung und den Pressemitteilungen des VW-Konzerns entnehmen können, dass der Motor EA 189 vom Kraftfahrtbundesamt als nicht ordnungsgemäß angesehen wird. Die Beklagte habe daraufhin im Oktober 2015 auch eine Website freigeschaltet, welches es Käufern ermöglich habe zu prüfen, ob ihr Fahrzeug auch betroffen sei.

Ein Fahrzeugbesitzer müsse nicht sämtliche Hintergründe des Sachverhalts gekannt haben. Es reiche aus, wenn „eine rechtserhebliche Handlung von dem üblichen Vorgehen abweicht“. Bereits dann sei eine Klageerhebung grundsätzlich zumutbar.

Der Zumutbarkeit stehe es auch nicht entgegen, dass verschiedene Gerichte die Angelegenheit unterschiedlich beurteilten. Dies sei im Jahr 2015 noch gar nicht der Fall gewesen, sondern erst danach sei es zu völlig unterschiedlichen Urteilen gekommen. Dies sei aber, so das Gericht, unerheblich, weil eine einmal laufende Verjährung nicht dadurch beeinflusst werde, dass die Rechtslage danach unsicher wird.

Schließlich habe es den Lauf der Verjährung auch nicht beeinflusst, dass die Anspruchsnorm des § 826 BGB sehr hohe Hürden an die Sachverhaltsermittlung und -darstellung stelle.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob einem Fahrzeugeigentümer bereits im Jahr 2015 eine Klageerhebung zugemutet werden könnte, sei die Revision zugelassen worden.

Bewertung der Entscheidung des OLG Stuttgart

Der Kläger hat die Revision zum BGH eingelegt. Sie trägt das Aktenzeichen VI ZR 739/20. Der BGH wird sich demnach zu den hier aufgeworfenen Verjährungsfragen äußern. Wir vermuten, dass der BGH das Verfahren beschleunigt behandeln wird, so dass mit einer Entscheidung womöglich noch im Verlaufe dieses Jahres gerechnet werden kann.

Wir halten es für offen, wie sich der BGH zu der Verjährungsfrage positioniert. Der Dieselskandal ging häufig durch die Presse. Auch die Möglichkeit, im Internet zu recherchieren, ob das eigene Fahrzeug betroffen ist, ist vielfach besprochen worden. Ein Großteil der Autobesitzer dürfte auch eine Aufforderung erhalten haben, ein Software-Update aufspielen zu lassen. Dies spricht für die Position des OLG Stuttgart.

Allerdings reicht das Wissen, selbst mit seinem Fahrzeug von dem Dieselskandal betroffen zu sein, nicht aus. Ein solcher Pkw-Besitzer müsste auch Kenntnis von den Umständen haben, welche das Vorgehen des VW-Konzerns zu einem sittenwidrigen Verhalten macht und nicht nur zu einem moralisch verwerflichen Ausnutzen einer Gesetzeslücke. Er müsste zudem die Umstände kennen, aufgrund derer dieses Vorgehen dem VW-Vorstand zuzurechnen ist. Genau diese Interna sind einem durchschnittlichen Autokäufer nicht bekannt. Dies thematisiert das OLG Stuttgart nicht.

Auch der Argumentationsansatz des OLG Stuttgart, im Jahr 2015 habe es ja noch keine divergierenden Entscheidungen gegeben, deshalb sei die Rechtslage auch nicht unübersichtlich gewesen, überzeugt uns im Ergebnis nicht, zumal das OLG Stuttgart den genauen Zeitpunkt, zu dem nach Auffassung des Gerichts die erforderlichen Kenntnisse für eine Klageerhebung vorlagen, nicht exakt benennt.

Folgen und Empfehlungen für betroffene PKW-Besitzer

Hat ein betroffener Pkw-Besitzer bisher noch keine die Verjährung hemmenden Maßnahmen ergriffen, so spricht derzeit aus Risikosicht manches dafür, die Entscheidung des BGH über die Revision gegen das Urteil des OLG Stuttgart abzuwarten, bevor eine Klage eingereicht wird. Außergerichtliche Maßnahmen können hingegen jederzeit ergriffen werden.

Fällt die Entscheidung des BGH nicht rechtzeitig, könnte sich eine Klageerhebung vor Jahresende empfehlen. Denn unseres Erachtens ist es nicht so, dass die Verjährung entweder bereits am 31.12.2018 eingetreten ist (wie es das OLG Stuttgart sieht) oder die Verjährung erst am 31.12.2023 eintritt (so das LG Duisburg). Es ist auch durchaus denkbar, dass der BGH eine vermittelnde Sichtweise vertritt oder auf bestimmte persönliche Anknüpfungspunkte (z. B. den Zugang einer Aufforderung zur Vorstellung des PKW für ein Software-Update) oder die Kenntnis von den Presseberichten über die Verfahren gegen den VW-Vorstand abstellt.

Eine generelle, für alle Sachverhalte gültige Handlungsempfehlung für die weitere Vorgehensweise ist nicht möglich. Es sollte unter Einbeziehung aller sachverhaltlichen Aspekte die Rechtslage im Einzelfall geprüft und – unter Berücksichtigung der individuellen Chancen und Risiken – über das weitere Vorgehen entschieden werden.

Foto(s): Pixabay


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