Leivtec XV3: Blitzer stillgelegt, Messfehler möglich!

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Erst vor Kurzem stand das vor allem bei Städten und Gemeinden beliebte Infrarot-Geschwindigkeitsmessgerät Leivtec XV3 in der Kritik: Verschiedene Sachverständige konnten nachweisen, dass das Gerät in bestimmten Situationen deutlich zu hohe Geschwindigkeit errechnet: Zwei dieser Geräte wurden versuchsweise nebeneinander aufgebaut und bei der Messung desselben Fahrzeugs zur selben Zeit zeigte ein Gerät 125 km/h, das andere 141 km/h. Der Hersteller und die Zulassungsbehörde (Physikalisch-Technische Bundesanstalt) mussten deshalb Ende letzten Jahres reagieren und die Auswerterichtlinien verschärfen, damit Messungen in besonders fehleranfälligen Situationen nicht mehr verwertet werden.

Messfehler trotz neuer Richtlinien möglich

Jetzt zeichnet sich ab, dass dies vermutlich nicht ausreicht: In einer neuen Veröffentlichung weisen Sachverständige darauf hin, dass auch bei Fahrzeugfotos, die selbst nach den strengeren Auswerterichtlinien verwertbar wären, zu hohe Messergebnisse angezeigt werden.

Hiervon erlangte die PTB am vergangenen Freitag Kenntnis und informierte umgehend den Hersteller und die Eichämter. Noch am selben Tag bat der Hersteller die Betreiber des Messgeräts, vorerst keine Messungen mehr mit dem Gerät durchzuführen.

Wo wird überall mit dem Gerät "geblitzt"?

Bislang wird dieser Gerätetyp in ganz Deutschland eingesetzt. Gerade hier im Saarland ist er sowohl bei Kommunen als auch bei der Polizei weit verbreitet, ebenso in Baden-Württemberg, Hessen und Sachsen. Aber auch in den meisten anderen Bundesländern wird das Gerät verwendet. Auf Grund der E-Mail der Firma Leivtec ist aber davon auszugehen, dass diese Geschwindigkeitsmessungen in nächster Zeit kaum mehr durchgeführt werden können. Dennoch haben einzelne Behörden erklärt, das Gerät trotz der Fehlergefahr weiterhin einsetzen zu wollen.

Was passiert jetzt in laufenden Verfahren?

Die PTB und der Hersteller schweigen allerdings darüber, was in bereits laufenden Bußgeldverfahren passieren soll. Bislang wurde Leivtec XV3 von Behörden und Gerichten als standardisiertes Messverfahren anerkannt. Voraussetzung dafür wäre aber, dass "unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind". Dies ist bei Leivtec XV3 nach den neuen Erkenntnissen voraussichtlich nicht der Fall, so dass bisherige Messungen nach meiner Ansicht derzeit nicht mehr ohne Weiteres verwertet werden dürfen. Stattdessen müssen die Verfahren entweder eingestellt werden oder ein Sachverständiger muss in jedem einzelnen Fall prüfen, ob die jeweilige Messung in Ordnung war. Dies wiederum wird dadurch erschwert, dass Leivtec XV3 nicht genügend Daten speichert, mit denen eine Messung im Nachhinein rekonstruiert werden könnte.

Was ist Betroffenen zu raten?

Wer mit dem Gerät gemessen wurde und deshalb eine Anhörung oder einen Bußgeldbescheid erhält, sollte deshalb jetzt einen Einspruch prüfen, gerade wenn man der Meinung ist, nicht so schnell wie vorgeworfen gefahren zu sein. Die Erfolgschancen, Bußgeld, Punkte und Fahrverbot zu vermeiden, sind auf Grund der neuen Erkenntnisse nun nochmals höher als bisher: Mit anwaltlicher Hilfe kann Akteneinsicht beantragt und geprüft werden, ob das Gerät Leivtec XV3 verwendet wurde (meist wird dies bereits in der Anhörung/dem Bußgeldbescheid angegeben) und die Auswerterichtlinien eingehalten wurden, was vielfach nicht der Fall ist und in der Regel ohne Weiteres zur Einstellung des Bußgeldverfahrens führt. Selbst wenn sie eingehalten wurden, kann aktuell nicht sicher gesagt werden, ob die Messung korrekt erfolgt ist. Ist das Bußgeld bereits bezahlt worden und das Verfahren abgeschlossen, kann eine Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Gnadenantrag in Betracht kommen.

Weitere Informationen finden Sie auf meiner Homepage.

Update vom 10.04.2021: Mehrere Gerichte, darunter das Amtsgericht Landstuhl, das Amtsgericht Bad Saulgau und das Amtsgericht Walsrode, haben Bußgeldverfahren wegen Zweifel an der Zuverlässigkeit des Leivtec XV3 eingestellt. Im Saarland hingegen werden die meisten Verfahren zur Zeit noch nicht eingestellt, sondern zunächst die Ergebnisse der PTB abgewartet.

Update vom 24.04.2021: Das Oberlandesgericht Oldenburg hat nunmehr entschieden, Bußgeldverfahren bei Messungen mit Leivtec XV3 komplett einzustellen, da "unzulässige Messwertabweichungen" bei dem Messgerät nicht ausgeschlossen werden können. Bei extremen Geschwindigkeitsüberschreitungen könne anstelle einer Einstellung allerdings zunächst ein Gutachten zur Messung eingeholt werden. In einem mir vorliegenden Fall beantragt auch die Generalstaatsanwaltschaft Saarbrücken beim dortigen Oberlandesgericht, Verfahren mit dem Messgerät Leivtec XV3 einzustellen.

Foto(s): M. Eng. Fabian Schwarz

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