Missratene Bandscheiben-OP? Behandlungsfehler am konkreten Fall!

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A. Einleitung

In den letzten Jahren mussten sich Ärzte von Seiten der Krankenversicherungen, von manchen Medien, aber auch von Patienten oftmals den Vorwurf anhören, Operationen und insbesondere Operationen am Rücken zu schnell und unnötig durchgeführt zu haben. Tatsächlich stiegen die Fallzahlen von Rücken-Operationen in den letzten Jahren enorm an. Ich habe bereits zahlreiche Mandanten vertreten, die im Zusammenhang mit einer Rückenoperation Opfer eines Behandlungsfehlers oder/und nicht ordnungsgemäß aufgeklärt wurden.

Über einen dieser Fälle möchte ich nun berichten:

B. Inhalt und Gegenstand des Falles

I.

Die zum Zeitpunkt der Behandlung im Jahre 2008 ca. 50 Jahre alte Patientin hatte über Jahre hinweg Rückenschmerzen, vorwiegend im Lendenwirbelbereich. Ende 2008 strahlten die Schmerzen in den HWS-Bereich und erzeugten Teillähmungserscheinungen (Gefühlsstörungen, Kribbelparesen), woraufhin eine stationären Behandlung im verklagten Krankenhaus erfolgte. Nach entsprechender radiologischer Untersuchung diagnostizierte man ein radikulär pseudoradikuläres zervikales Schmerzsyndrom bei Osteochondoresen und Spondylarthrosen C4 bis 7 und Instabilität C3/4 mit konsekutiver Spinalkanalstenose, ein radikulär pseudoradikuläres lumbales Schmerzsyndrom bei produktiven Osteochondoresen und Spondylarthrosen L4 bis S1, eine ACG-Arthrose links sowie den Verdacht auf ein Thoracic-Outlet-Syndrom rechts. Am 06.01.2009 wurde ein MRT gefertigt, welches zur Stellung der Operationsindikation jedoch nicht berücksichtigt wurde.

Ohne weitere Befunderhebung oder Kontrollen wurde die Patientin am 10.03.2009 operiert. Dabei erfolgten die Implantation einer Bandscheibenprothese der Wirbelkörper C3/C4 und eine ventrale Fusion der Wirbelkörper C4-C7.

Im Anschluss an die OP stellte man eine zunehmende Schwäche aller vier Extremitäten fest. Mit der Diagnose einer postoperativen Nachblutung und Myelonkompression erfolgte eine Revisions-OP.

Die Revisions-OP hatte leider keinen durchgreifenden Erfolg. Die Mandantin leidet seither an einer kompletten Querschnittslähmung sub C3. Sie ist u. a. auf eine 24 Stunden rund-um-die-Uhr-Pflegeversorgung angewiesen.

II.

Der Vorwurf gegenüber den behandelnden Ärzten lautete u. a. dahingehend, dass es keinen akuten Behandlungsbedarf gab, zumindest nicht im Hinblick auf die maximal-invasive Therapie (Fusion der Etagen C4-C7 und Bandscheibenprothese C3/C4). Immerhin bestand die Problematik an der HWS lediglich über einen sehr kurzen Zeitraum und zeichnete sich hauptsächlich durch Kribbelparesen aus. Die konkret durchgeführte OP war damit als nicht hinreichend indiziert anzusehen. Die gestellte Diagnose war aufgrund der vorliegenden Befunde ohnehin fehlerhaft vorgenommen worden. Zumindest hätten die Ärzte jedoch weitere Befunde in Form eines aktuellen und unmittelbar vor der OP erstellten MRT erheben müssen. Abschließend wurde auch die ordnungsgemäße Aufklärung gerügt.

III.

Die erste Instanz und zweite Instanz hatten der Feststellungsklage und der Klage auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 400.000,00 € vollumfänglich wegen verschiedener Behandlungsfehler, die das Gericht teilweise einzeln, aber auch in ihrer Gesamtheit als grob qualifizierte, stattgegeben.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen, auf die sich das Gericht bei seinem Urteil stütze, waren die Ende 2008 festgestellten Lähmungserscheinungen nicht mit der durchgeführten Bildgebung in Einklang zu bringen, da hierfür mehrere Ursachen in Frage gekommen wären. Es hätte zumindest differentialdiagnostisch absolut ausgeschlossen werden müssen, dass etwa eine Entzündung ursächlich für den Funktionsausfall war. Erforderlich wäre weiterhin auch eine umfassende Bildgebung durch ein MRT gewesen. Das MRT vom 06.01.2009 lag den Ärzten bei Indikationsstellung jedoch gar nicht vor. Es hätte aber ohnehin eines nochmaligen Kontroll-MRT unmittelbar vor der OP bedurft. Der Sachverständige zeigte für die unterlassene Befunderhebung aus ärztlicher Sicht kein Verständnis, weshalb das Gericht dieses Unterlassen als groben Behandlungsfehler bewertete.

Der Sachverständige bestätigte auch, dass die Diagnose anhand der vorliegenden Befunde falsch gestellt wurde. Eine Instabilität lag bei der Patientin nicht vor.

Das LG folgte dem Sachverständigen auch im Hinblick auf die Tatsache, dass die OP allenfalls relativ indiziert war, da aufgrund der lediglich bestehenden Kribbelparesen und Gefühlsstörungen keine absolute OP-Indikation vorlag. Eine umfassende konservative Behandlung, die auch stationäre Behandlungen beinhalten und sich über mehrere Jahre erstrecken kann, wurde nicht ansatzweise ausgeschöpft. Zumal die Beschwerden zu diesem Zeitpunkt rückläufig waren, hätte jedenfalls eine konservative Behandlung abgewartet werden müssen.

Zudem schlossen sich der Sachverständige und damit auch das Gericht dem klägerischen Vortrag an, dass die ventrale Fusion nicht zusammen mit der Implantation einer Bandscheibenprothese erfolgen hätte dürfen, da die Versteifung zu einer Überlastung der beweglichen Nachbarsegmente führt. Die zervikale Fusion stellt eine eindeutige Kontraindikation für eine Implantation einer Bandscheibenprothese im benachbarten Segment dar.

Obwohl das Gericht selbst in seinen Entscheidungsgründen bestätigte, dass konservative Behandlungsmethoden durchgeführt hätten werden müssen und eine dahingehende Aufklärung nicht dokumentiert wurde, ließ es die Fragen, inwieweit ein Aufklärungsdefizit vorlag, offen. Es deutet jedoch alles darauf hin, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung nicht stattfand und die OP damit ohne wirksame Einwilligung der Patientin erfolgte.

C. Was bedeutet die Entscheidung für Sie?

Die Gerichte in dem konkreten Fall bestätigten die aufgrund des sehr umfangreichen Eingriffs bestehenden hohen Anforderungen an das erforderliche Maß der ärztlichen Sorgfalt im Zusammenhang mit Rücken-Operationen.

Ein Arzt hat sich bei Lähmungserscheinungen vollumfänglich zu versichern, dass etwaig eintretende körperliche Funktionsbeeinträchtigungen tatsächlich auf der operativ zu behandelnden Einengung basieren. Bloße degenerative Faktoren oder eine Entzündung sind durch geeignete Befunderhebungen auszuschließen. So muss der behandelnde Arzt auch dafür Sorge tragen, dass ein Neurologe ein zentrales Geschehen, also eine Entzündung oder Degeneration, ausschließt.

Bestehen Sie daher auf eine vollumfängliche Diagnostik. Sollten Sie etwa operiert worden sein, ohne dass aktuelle MRT-Aufnahmen Eingang in die OP-Indikationsstellung fanden, könnte dies auf einen Behandlungsfehler hinweisen.

Eine absolute OP-Indikation ist nur bei motorischen Lähmungen gegeben. Es muss zumindest abgeklärt werden, welche konservativen Behandlungsmethoden ausgeschöpft wurden und welche noch Sinn machen. Wenn der Arzt konservative Behandlungen übergeht oder nur am Rande anschneidet, könnte dies sowohl einen Behandlungsfehler als auch ein Indiz für eine ungenügende Aufklärung darstellen.

Gelegentlich sind Gefühlsstörungen und Kribbelparesen auch nur vorübergehend und können sich wieder zurückbilden. Oftmals kann ein Abwarten ratsam sein. Natürlich hängt dies vom konkreten Fall ab, da es Umstände gibt, die ein sofortiges Handeln erforderlich machen, z. B. Verstärkung der Lähmungserscheinungen und motorische Ausfälle. Hierauf muss ein Arzt aber hinweisen.

Zwingend erforderlich ist auch die Abklärung, ob Eingriffe tastsächlich in Form einer maximal-invasiven Operation durchgeführt werden müssen oder ob nicht minimalinvasive Eingriffe das Mittel der Wahl sind. Manche Ärzte wollen bei einem Eingriff auch möglichst umfassend operieren – womöglich auch, um möglichst viele Fälle abrechnen zu können. Wie es sich z.T. in dem vorbeschriebenen Fall zeigte, ist es gelegentlich erforderlich, zunächst einmal den Erfolg und die Ausheilung eines Eingriffs abzuwarten, um dann im nächsten Schritt die weiteren Beschwerden anzugehen.

Fusionen, Bandscheiben-Operationen und andere Operationen am Wirbelsäulenapparat sind keine Bagatelleingriffe. Stehen Sie vor der Durchführung einer solchen OP, gebe ich Ihnen folgende Ratschläge:

  • Vergewissern Sie sich, dass Sie sich in guten Händen befinden. Erkundigen Sie sich über den Arzt oder das Krankenhaus, bei bzw. in dem Sie sich behandeln lassen wollen/müssen (etwa durch Nachfrage bei der Krankenkasse oder dem Hausarzt, Recherche in Bewertungsportalen oder Qualitätsberichten).
  • Wirken Sie darauf hin, dass alle erheblichen Befunderhebungen veranlasst werden und diese auch aktuell sind.
  • Erwägen Sie für sich, ob alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Achten Sie darauf, dass der Arzt hierauf eingeht.
  • Holen Sie sich eine zweite ärztliche Meinung ein. Klären Sie die Kostenübernahme vorher mit Ihrer Krankenversicherung ab. Besonders bei Rückenleiden übernehmen die Krankenversicherungen in der Regel die Kosten einer ärztlichen Zweitmeinung.

Sollte bei Ihnen eine Rücken-Operation durchgeführt worden sein, die unglücklicherweise zu einem Gesundheitsschaden führte, fragen Sie sich, ob wirklich alles behandlungsfehlerfrei und mit der erforderlichen Aufklärung ablief. Suchen Sie ggf. anwaltliche und/oder medizinische Beratung auf.

Der Autor, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Daniel Stiel, bearbeitet zahlreiche Mandate im Bereich Schadensersatzrecht (Arzthaftung, Verkehrs- und Freizeitunfälle) und Versicherungsrecht (Unfallversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung, Krankenversicherung etc.). Wenn Sie Fragen zu dem Artikel haben oder eine Einschätzung zu einem Behandlungsgeschehen benötigen, können Sie gerne auf mich zukommen.

Rechtsanwalt u. Fachanwalt für Medizinrecht aus Augsburg

Dr. Daniel Stiel



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