Mitarbeiterbindung in der Kanzlei: Wie Sie Kanzleimitarbeiter finden und binden

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Mitarbeiterbindung in der Kanzlei: Wie Sie Kanzleimitarbeiter finden und binden

Experten-Autorin dieses Themas

Der Personalnotstand ist auch in den Kanzleien angekommen. Dabei ist der Personalschlüssel pro Partner in der Kanzlei in den letzten Jahren so deutlich gesunken wie noch nie, nämlich durchschnittlich von 2,5 auf 1. Dank Digitalisierung sind ineffiziente Prozesse mittlerweile überarbeitet und verschlankt. Automatisierung und Standardisierung sind in Kanzleien alltäglich geworden.  

Dennoch geht es nicht ohne Mitarbeiter, erst recht nicht ohne gut ausgebildete Fachkräfte. In diesem Ratgeber erfahren Sie, wie Sie Kanzleimitarbeiter kurzfristig finden und langfristig binden. 

Neben der Mitarbeiterbindung spielen auch weitere Faktoren eine wichtige Rolle für den Kanzleierfolg. Hilfreiche Strategien für die optimale Kanzleientwicklung finden Sie in einem separaten Beitrag. 

Trotz der gesamtwirtschaftlich stetigen Steigerung der Ausbildungsplätze seit der Pandemie von jährlich 10 % sinkt die Anzahl der Ausbildungsplätze für Rechtsanwaltsfachangestellten und Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten – kurz: ReFas – seit Jahren um 3,7 % beziehungsweise 5,5 % laut der Erhebung des Bundesverbands der freien Berufe e. V. (BFB) von 2021. Und dabei hatte die Rechtsbranche anders als andere Wirtschaftszweige kaum pandemiebedingte wirtschaftliche Einbußen. Und anders als in anderen Ländern werden die Fachkräfte in den Kanzleien meistens angemessen und überdurchschnittlich entlohnt.  

Eine Rolle spielt, dass viele der gesamtwirtschaftlichen Lösungsstrategien, wie Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, Migrationsbewegungen zu nutzen oder schon in den Schulen für bestimmte Berufsbilder zu werben, für die Rechtsbranche nur eingeschränkt nutzbar sind. Die Typisierung als „Frauenberuf“ schadet der Nachwuchsgewinnung ebenfalls. 

Sie beginnen gerade mit dem Aufbau Ihrer Kanzlei? Dann sollten Sie neben der Beschäftigung kompetenter Mitarbeiter auch noch weitere Erfolgsfaktoren beachten. Lesen Sie, wie Sie sich ab Tag eins perfekt für die Mandantengewinnung aufstellen. 

Tatsächlich setzte die Pandemie im ohnehin schwierigen Arbeitsumfeld Kanzlei eine deutliche Zäsur und drehte den Arbeitsmarkt endgültig zu einem Arbeitnehmermarkt: Heute können sich motivierte Auszubildende und gut ausgebildete ReFas nicht nur ihre arbeitgebende Kanzlei aussuchen, sondern auch die Arbeitsbedingungen diktieren. 

„Wir müssen damit leben, dass die jungen Menschen heutzutage anders sind als früher: Vielen Kanzleien fällt es schwer, sie mitzunehmen und zu motivieren. Sie sind digitalaffin und legen mehr Wert auf eine Work-Life-Balance als alle Generationen davor – zugleich sind sie aber kritikunempfänglicher geworden und haben weniger Durchhaltevermögen", so Ronja Tietje, Vorstandsmitglied bei der Vereinigung der Rechtsanwalts- und Notariatsangestellten e. V., dem RENO Bundesverband. 

Nicht nur die Digitalisierung, sondern auch der Gender- und Generationenwechsel hat die Kanzlei-Arbeitswelt und das Berufsbild der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte einem grundlegenden Wertewandel unterworfen. Da Kanzleien jedoch eigentümergeführte Unternehmenseinheiten mit besonderen berufsrechtlichen Vorgaben sind, können wertegetriebene Veränderungsprozesse dort nicht wie in der freien Wirtschaft durch frische Köpfe in der Führungsetage beschleunigt werden: Kanzleien verändern sich nur, wenn sich deren Inhaber beziehungsweise Inhaberteams verändern. Je homogener die Partnerrunde, umso schlechter gelingt das. 

Die Unternehmensführung bestimmt auch den Erfolg Ihrer Kanzlei. Welche Aspekte Sie für ein optimales Kanzleimanagement unbedingt beachten sollten, erklärt Ihnen ein eigener Ratgeber. Profitieren auch Sie von den Tipps und wichtigen Stellschrauben für eine reibungslose Kanzleiorganisation.

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Druck und Personalnot haben schwerwiegende Konsequenzen

Ein Wertewandel braucht in den Kanzleien in der Regel einen Generationenwechsel: Diese Zeit haben jedoch viele Kanzleien nicht mehr. Einerseits wird in dieser veralteten Mitarbeiterführung der Mensch nach wie vor als „wirtschaftliche Ressource“ wahrgenommen, die nur genug Druck und Kontrolle braucht, um noch mehr zu erwirtschaften. Konflikte durch alle Hierarchieebenen hindurch sind an der Tagesordnung. Eine konservative Null-Fehler-Kultur hindert zudem aufmerksame und engagierte Mitarbeiter daran, innovativ und eigenverantwortlich Dinge selbst in die Hand zu nehmen und zu verbessern. 

Andererseits führt neben diesem steigenden Druck die Personalnot dazu, dass die Arbeitsbelastung der verbleibenden Mitarbeiter noch weiter zunimmt: Die Folgen sind signifikant steigende Krankenstände. Nach der DAK Studie Niedersachsen (05/2023) leiden 44 % der Mitarbeiter aufgrund von Arbeitsbelastung durch Personalmangel an Schmerzen, Erschöpfung oder Schlafstörungen. Das Forsa Institut hat im letzten Jahr 1000 Personen befragt und die Daten von 220.000 Versicherten der KK in Niedersachsen ausgewertet: Krankmeldungen sind um 41 % gestiegen; am meisten gestiegen sind diese in den Berufsgruppen, in denen ein starker Fachkräftemangel herrscht.* Fachkräftemangel, hohe Arbeitsbelastung und Krankenstände werden durch toxische Kanzleikulturen zusätzlich verschärft. 

*DAK-Gesundheit. In: Gesundheitsreport 2023 Niedersachsen: Gesundheitsrisiko Personalmangel – Arbeitswelt unter Druck. Mai 2023. 

Mitarbeiterbindung durch Wertewandel

Der notwendige Wertewandel in den Kanzleien würde Mitarbeiterführung und Kommunikationskompetenz sofort verbessern. Diesem strukturellen Problem kann nur mit dem absoluten Willen, sich auf die geänderten Bedingungen auch tatsächlich einzustellen, wirksam begegnet werden. Die Reflexionsfähigkeit der Führungsebene, verbunden mit der Bereitschaft und Fähigkeit, Verantwortung und Kontrolle abzugeben sowie Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse wirklich einzubeziehen, braucht Know-how und Übung: die Wirtschaft nutzt Coachingausbildungen für Führungskräfte, um sich durch eine coachende Führungskultur auf die Anforderungen von New Work einzustellen. Ähnliche Erfahrungen habe ich mit (Legal-)Coaching-Ausbildungen für Kanzleien gemacht. 

Im Fachbuch der Autorin Dr. Geertje Tutschka „Strategische Kanzleientwicklung: Gründung, Management, Führung und Marketing“ – Lehrbuch für den LL.M. „Lawyer and Legal Practice“ an der Hagen Law School – ist seit der aktualisierten 2. Auflage dem topaktuellen Thema Führung in Kanzleien daher ein eigenes Kapitel gewidmet. 

Die vier Säulen der Mitarbeiterbindung

Wonach wählen also Mitarbeiter ihre Arbeitgeber-Kanzleien aus? 

Flexible Arbeitszeitmodelle

Flexible Arbeitszeitmodelle sind gefragter denn je: Von Homeoffice über Jobsharing, berufsbegleitende Weiterbildungen und Bildungsurlaub bis hin zu Sabbatical und Viertagewoche ist sicherlich alles dabei. Hinzu kommt die Offenheit, auf die Betreuungspflichten von Kindern, Eltern und Haustieren Rücksicht zu nehmen oder dass ein anspruchsvolles Ehrenamt oder Hobby ausgeübt wird. 

Modernisierung der Ausbildung

Die längst überfällige Modernisierung der Ausbildung könnte dem Fachkräftemangel ebenfalls entgegenwirken, wie andere Berufszweige dies mit den neuen Fortbildungsbezeichnungen des Berufsbildungsgesetzes (2020) zeigen – mit dem geprüften Berufsspezialisten wie dem Bachelor Professional und dem Master Professional. Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte können zwar eine Weiterbildung zum geprüften Rechtsfachwirt machen, was der Stellung eines Meisters entspricht. Den Bachelor Professional können ReFas jedoch mangels entsprechender Prüfungsordnung nicht erlangen.  

Mit der Akademisierung hat man bei den Gerichtsvollzieher-Ausbildungen in Baden-Württemberg bereits gute Erfolge erzielt. Eine weitere Möglichkeit wäre die Einführung eines dualen Studiums auch für ReFas als Alternative. So könnten zusätzlich auch die für zukünftige ReFas relevanten Cross-Competences umgesetzt werden, wie das auch bei den zukünftigen Juristen immer wichtiger wird, wie beispielsweise Fremdsprachenkompetenz, IT-Kenntnisse, Projektmanagementtools sowie Krisen- und Changemanagement-Kompetenzen. Letztlich gilt es aber auch, das Image des Berufsbildes von der unselbstständigen „Sekretärin“ und „Assistentin“ hin zum Wirtschafts- und MINT-Beruf zu transformieren. 

Sinnstiftendes Arbeiten

Weitgehend unterschätzt wird die Bedeutung von sinnstiftendem Arbeiten. In Wirtschaftsunternehmen ist ESG heute nicht mehr wegzudenken: Environmental, Social und Governance (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) beschreibt ein umfassendes Regelwerk zur Bewertung der nachhaltigen und ethischen Praxis von Unternehmen.  

In der Kanzleiberatung lässt sich jedoch feststellen, dass das Thema bislang allenfalls in Großkanzleien angekommen ist. Dabei können mit diesem Themenkanon vielfältige und sehr individuelle kleine und große Projekte angestoßen werden, die einerseits zur Positionierung der Kanzlei beitragen und andererseits das Kanzleimarketing bis hin zum Employer Branding schärfen.  

Vor allem aber zahlt eine klare ESG-Strategie auf die Mitarbeiterbindung ebenso ein, wie sie nicht nur neue, sondern vor allem die passenden Mitarbeiter findet. Zertifikate (beispielsweise als nachhaltiges Unternehmen) und Auszeichnungen (zum Beispiel als Arbeitgeber bei Jobportalen) kommunizieren dies den Kanzleimitarbeitern von morgen. 

Weiterentwicklungsmöglichkeiten

Weiterentwicklungsmöglichkeiten für Mitarbeiter durch gezielte Aus- und Weiterbildungsangebote sind der wichtigste Indikator dafür, Mitarbeiter zu finden und zu binden. Diese sollten idealerweise von einer gemeinsam mit dem Mitarbeiter entwickelten Karrierestrategie und regelmäßigen Mitarbeitergesprächen begleitet werden. Unterschiedliche Hierarchiestufen mit Teamführungsverantwortung – mehr als der klassische Bürovorsteher– und Spezialisierungsmöglichkeiten für die sogenannten Paralegals in den Kanzleien sowie spannende Tätigkeiten in kanzleiinternen Spezialabteilungen, wie beispielsweise HR, Business Development und Marketing, aber auch Zwangsvollstreckung/Inkasso sowie sozial-psychologisches Beratungsangebot durch (Legal) Coaches und Lebensberater motivieren besonders, sich für ein kontinuierliches Lernen zu entscheiden. 

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Dr. Geertje Tutschka MCC ist seit 25 Jahren Rechtsanwältin mit eigenen Kanzleien in Deutschland und Österreich. Seit zehn Jahren begleitet sie Kolleginnen und Kollegen bei der Kanzleientwicklung und bildet im Legal Coaching bei CLP-Consulting for Legal Professionals aus. Ihr Fachbuch „Strategische Kanzleientwicklung” erscheint gerade in 3. Auflage für den internationalen Markt auf Englisch und ist Studienliteratur für den LL.M. „Lawyer and Legal Practice” an der Hagen Law School.

Foto(s): ©Adobe Stock/Kzenon

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