Muss man Unterhalt aus Vermögen bezahlen?

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Wer nicht in der Lage ist, den Unterhalt aus den laufenden Einkünften zu zahlen, ist verpflichtet, Vermögenserträge und vorhandenes Vermögen zu verwerten und für den Unterhalt einzusetzen. Daraus ergibt sich in der Praxis ein hohes Streitpotenzial. Die Verpflichtung, eigenes Vermögen für den Unterhalt einzusetzen, entfällt im Regelfall, soweit die Vermögensverwertung unwirtschaftlich ist oder es gute Gründe gibt, dem Unterhaltspflichtigen Zugeständnisse zu machen.

Welche Rolle spielt Vermögen beim Unterhalt?

Unterhaltsberechtigt ist derjenige, der bedürftig ist, während derjenige, der unterhaltspflichtig ist, leistungsfähig sein muss. Besitzt der Unterhaltsberechtigte Vermögen, muss er dieses für den eigenen Unterhalt einsetzen und kann erst Unterhalt fordern, wenn das Vermögen verbraucht ist. Erst dann ist er wirklich bedürftig.

Umgekehrt muss der Unterhaltspflichtige Vermögen einsetzen und verwerten, um die laufenden Unterhaltsansprüche zu bedienen. Dann ist er auch leistungsfähig. Die Frage nach der Verwertung von Vermögen stellt sich im Verhältnis von Ehegatten untereinander beim Trennungs- und Scheidungsunterhalt sowie beim Kindesunterhalt gleichermaßen. Wir betrachten die Problematik ausschließlich aus der Sichtweise des Unterhaltspflichtigen.

Vermögenserträge und Vermögensstamm

Im Unterhaltsrecht ist zwischen dem Vermögensstamm und den Vermögenserträgen zu unterscheiden:

  1. Der Vermögensstamm ist das vorhandene Vermögen (z.B. vermietete Immobilie, Wertpapierdepot),
  2. während die Vermögenserträge sich daraus ergeben, dass der Vermögensstamm wirtschaftlich sinnvoll genutzt wird (Mieterträge, Kapitalerträge)

Verwertung von Vermögenserträgen

Bevor der Unterhaltspflichtige seinen Vermögensstamm verwerten muss, sind die Erträge aus dem Vermögensstamm heranzuziehen. Die Vermögenserträge gelten als unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen. Maßgebend sind die Nettoerträge, die sich nach Abzug von Steuern und Werbungskosten vom Bruttoertrag ergeben. Eine inflationsbedingte Bereinigung ist nicht erlaubt (BGH, FamRZ 1986, 441).

Auf die Herkunft der Erträge kommt es nicht an. Muss der Unterhaltspflichtige Kindesunterhalt leisten, sind auch die aus dem Zugewinnausgleich bei der Scheidung fließenden Zinsen als Vermögensertrag zu berücksichtigen (BGH, FamRZ 1987, 912).

Der Unterhaltspflichtige riskiert, dass ihm theoretisch erzielbare fiktive Vermögenserträge zugerechnet werden, wenn er vorhandenes Vermögen verbraucht, ohne eine sinnvolle Nutzung zu tätigen und dadurch seine Leistungsfähigkeit mutwillig verkürzt. Dabei sind die jeweils aktuellen Verhältnisse auf dem Kapitalmarkt zu berücksichtigen sowie die Tatsache, dass Einkünfte der Steuerpflicht unterliegen. Bei der Anlage des Vermögens ist dem Pflichtigen ein gewisser Freiraum und Ermessensspielraum zu gewähren, so dass nicht jede Kritik an einer zweckmäßigen Geldanlage berechtigt ist.

Wann muss der Vermögensstamm für den Unterhalt verwertet werden?

Es gibt keine rechtlich verbindliche Regelung, unter welchen Bedingungen der Vermögensstamm für den Unterhalt verwertet werden muss.

  • Ein Ansatz findet sich in § 1581 S.2 BGB. Danach braucht Unterhaltspflichtige beim Trennungs- und Ehegattenunterhalt den Stamm des Vermögens nicht zu verwerten, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig (= ungerecht, ungerechtfertigt) wäre.
  • Beim Kindesunterhalt ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass der unterhaltspflichtige Elternteil gegenüber seinem minderjährigen Kind eine gesteigerte Unterhaltspflicht hat und es ihm verstärkt zuzumuten ist, vorhandenes Vermögen für den Unterhalt einzusetzen (siehe Beispielfall unten).
  • Geht es um den Trennungsunterhalt für den Zeitraum der Trennung, zieht die Rechtsprechung die Grenzen der Vermögensverwertung enger. Die Pflicht, Vermögenswerte für den Unterhalt einzusetzen, geht nicht so weit wie beim nachehelichen Scheidungsunterhalt. Grund ist, dass die Trennung noch immer die Chance innehat, dass die Partner die eheliche Lebensgemeinschaft wieder herstellen und während der bestehenden Ehe mehr Verantwortung füreinander tragen als nach der Scheidung (BGH, FamRZ 2012, 514). In der Trennungszeit sollen nicht mehr umkehrbare Entscheidungen vermieden werden. Dabei spielt auch die Dauer des Getrenntlebens eine Rolle. Je länger die Trennung andauert, desto stärker ist es dem Unterhaltspflichtigen zuzumuten, vorhandene Vermögenswerte für den Unterhalt zu verwenden.

Welche Aspekte bestimmen, ob die Vermögensverwertung wirtschaftlich ist?

Die Veräußerung von Vermögenswerten kommt allgemein nur in Betracht, wenn diese wirtschaftlich erscheint. Eine Veräußerung ist jedenfalls unwirtschaftlich, wenn auf längere Sicht der Vermögensertrag den Unterhalt des Berechtigten oder die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen besser gewährleistet als der erzielbare Erlös aus der Verwertung des Vermögenswertes. Die Unwirtschaftlichkeit lässt aber nicht damit begründen, dass der Verbrauch des Vermögens die Vermögensquelle zerstört, da allenfalls die Pflicht zur Verwertung das Vermögensstamms aufgehoben werden würde. Erscheint die Vermögensverwertung wirtschaftlich, ist es immer noch eine zusätzlich zu prüfende Frage, ob es dem Unterhaltspflichtigen tatsächlich zuzumuten ist, einen Vermögensgegenstand verwerten zu müssen.

Insoweit entscheiden die Details des Einzelfalls, beispielsweise:

Sparguthaben sind immer zu verwerten

Sparguthaben sind immer zu verwerten, da die Annahme einer Unwirtschaftlichkeit von vornherein ausscheidet (BGH, FamRZ 1985, 360).

Jedoch: Rücklage von 10.000 EUR unangreifbar für Krankheit und Notfall

Der Unterhaltsberechtigte hat Anspruch auf einen Notgroschen, so dass er bei Krankheit oder Notfall über eine angemessene Rücklage verfügt (BGH, FamRZ 1985, 354). Die Rücklage ist regelmäßig in Höhe des sozialhilferechtlichen Schonbetrages einzusetzen. Dieser Schonbetrag beträgt 10.000 € (Stand 1.1.2023).

Angemessenheit des mietfreien Wohnens

Wohnt der Unterhaltspflichtige in einem für seine Verhältnisse angemessenen Familieneigenheim, kann im Allgemeinen nicht verlangt werden, das Haus zu verkaufen. Grund ist, dass der Pflichtige damit den eigenen Unterhaltsbedarf gewährleistet und insbesondere keine Miete zu zahlen braucht (BGH FamRZ 1986, 48). Ein Immobilienverkauf zum Unterhalt kommt also dann in Betracht, wenn das Haus oder die Wohnung unangemessen groß ist und es dem Pflichtigen im Einzelfall zuzumuten ist, eine andere Unterkunft zu nutzen.

Auf zukünftige Wertsteigerungen kann nicht spekuliert werden

Es ist nicht unwirtschaftlich, dass bei einer sofortigen Verwertung des Vermögensstamms künftige Preissteigerungen nicht ausgenutzt werden können (BGH, FamRZ 1980, 44).

Jedoch: Keine Notverkäufe

Kann ein Vermögenswert nur unter einem erheblich unter dem Verkehrswert liegenden Preis verkauft werden, liegt ein unwirtschaftlicher Notverkauf vor (OLG Celle, NdsRpfl 1977, 209). Dies gilt insbesondere für den Verkauf und die Beleihung eines Miteigentumsanteils an einem Eigenheim oder einer Eigentumswohnung, wenn sich dabei augenblicklich nicht der marktübliche Verkehrswert erzielen lässt. Hier kommt eher in Betracht, die Gemeinschaft der Ehegatten aufzuheben, indem das Objekt verkauft oder teilungsversteigert wird.

Alter, Gesundheit und mehr spielen auch eine Rolle

Bei der Prüfung (Billigkeitsprüfung) sind nicht nur die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, sondern auch die persönlichen Umstände wie Alter, Gesundheitszustand, das Interesse an einem Wertgegenstand und die Belange naher Angehöriger (BGH FamRZ 1984, 364).

Vergleich beider Vermögen vor Verwertung des ersten

Verfügt der Unterhaltspflichtige über große Vermögenswerte, ist dem Berechtigten regelmäßig nicht zuzumuten, eigenes geringeres Vermögen zur verwerten (BGH, FamRZ 1986, 441).

Umgekehrt kann es auch dem betreuenden Elternteil zuzumuten sein, den barunterhaltspflichtigen Elternteil von seiner Vermögensverwertungspflicht zu entbinden, wenn der betreuende Elternteil den eigenen Lebensbedarf und den des Kindes problemlos decken kann und vielleicht auch noch selbst über erhebliche Vermögenswerte verfügt (OLG Nürnberg, FamRZ 2008, 436).

Verwertung von Gegenständen mit ideellem Wert nicht zumutbar

Für den Unterhaltspflichtigen ist regelmäßig nicht zumutbar, Vermögenswerte, die einen ideellen Wert aufweisen, zu verwerten, insbesondere dann nicht, wenn der erzielbare Erlös nicht im Verhältnis zur Unterhaltspflicht steht. Dazu zählen beispielsweise ein Trauring, ein Lieblingstier oder Familiendokumente von historischem Wert.

Ist die Pflicht zur Vermögensverwertung einklagbar?

Ignoriert der Unterhaltspflichtige seine Vermögensverwertungspflicht, ist er unterhaltsrechtlich so zu behandeln, also wäre er seiner Pflicht nachgekommen. Es besteht aber keine gerichtlich durchsetzbare Pflicht, bestimmte Vermögenswerte zu verkaufen (BGH FamRZ 2013, 278). Vielmehr ist der Unterhaltsberechtigte darauf angewiesen, den Unterhaltsanspruch gegebenenfalls gerichtlich geltend zu machen.

Soweit sich der Unterhaltspflichtige im Unterhaltsrechtsstreit auf seine fehlende Leistungsfähigkeit beruft, ist die Vermögensverwertungspflicht für vorhandene Vermögenswerte ein gewichtiges Argument, den Unterhaltsanspruch rechtsverbindlich festzustellen. Ist der Unterhaltsanspruch rechtsverbindlich festgestellt (tituliert), kann mit dem Titel zwangsweise die Vollstreckung in das Vermögen des Unterhaltspflichtigen erfolgen. Es empfiehlt sich dann, möglichst mit anwaltlicher Unterstützung, in den jeweiligen Vermögenswert zu vollstrecken und dann gegebenenfalls selbst die Verwertung in die Wege zu leiten.

Spezialfall: Vermögensverwertung einer Immobilie beim Kindesunterhalt

Das Oberlandesgericht Frankfurt (Beschluss vom 19.5.2021, Az. 4 UF 41/21) hatte einen interessanten Fall zum Kindesunterhalt entschieden. Im Fall hatte der Ehegatte, der seinen minderjährigen Kindern unterhaltspflichtig war, eine Immobilie für 650.000 € veräußert. Trotzdem verweigerte er die Unterhaltszahlungen mit der Begründung, dass er ein für den Ankauf des Objekts gewährtes Darlehen an seine Mutter über 430.000 € zurückgezahlt habe. Auch der Resterlös von 175.000 € stehe nicht zur Verfügung, da er das Geld auf mittelfristige Sicht für den Erwerb einer neuen Immobilie und damit für seine Altersversorgung benötige. Das Gericht wies diese Argumentation zurück und verurteilte den Elternteil zur Zahlung des Mindestkindesunterhalts.

Den Elternteil treffe gegenüber den minderjährigen Kindern eine gesteigerte Unterhaltspflicht. Er müsse alle verfügbaren Mittel zum Unterhalt verwenden. Reiche sein vorhandenes Einkommen dafür nicht aus, müsse er eine zumutbare Nebentätigkeit annehmen. Ist dies nicht möglich oder gewollt, müsse er sein vorhandenes Vermögen einsetzen. Er habe keinen Anspruch auf einen Schonbetrag (Opfergrenze), da er dann Vermögensbildung zu Lasten der unterhaltsberechtigten Kinder betreiben würde.

Die behauptete Rückzahlung des Darlehens an die Mutter gelte ebenfalls nicht als Argument. Dies gelte vornehmlich deshalb, weil auch die Großmutter gegenüber den Kindern, wenn auch nur nachrangig, wohl aber doch unterhaltspflichtig sei und die Darlehensrückzahlung in den Hintergrund trete. Dem Elternteil sei zuzumuten gewesen, wegen des Darlehens eine Stundung mit der eigenen Mutter zu vereinbaren oder das Darlehen in Raten zurückzuzahlen. Auch stehe es dem Elternteil nicht zu, 175.000 € auf eine unbestimmte Zeit zu Lasten der unterhaltsberechtigten Kinder zurückzubehalten, um damit den Erwerb einer neuen Immobilie zu finanzieren. Außerdem sei der Betrag ausreichend, um die damals 14-jährigen Kinder bis zur deren Eigenständigkeit zu unterhalten. Er müsse sich darauf einstellen, dem Kindesunterhalt den Vorrang einzuräumen.

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Letztlich geht es immer darum, ob die Verwertung des Vermögensstamms wirtschaftlich angemessen erscheint und ob es dem Unterhaltspflichtigen im Hinblick auf die Unterhaltspflicht im konkreten Fall zuzumuten ist, einen Vermögensgegenstand zur verwerten. Insoweit entscheidet die richtige Argumentation im Einzelfall, in welche Richtung sich eine Rechtsstreitigkeit entwickelt. 

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Foto(s): iurFRIEND

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