Mutmaßliche Sektenführerin erneut zu lebenslanger Haft verurteilt

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Sylvia D. wurde nun auch im zweiten Anlauf vom Landgericht Frankfurt wegen des Mordes an dem vierjährigen Jan im Jahr 1988 zu lebenslanger Haft verurteilt. 

Zwischen Traumdeutung und Kindesmisshandlung: Einblick in den Alltag einer Sekte

Wenn Gott - liebevoll „Alterchen“ genannt – Botschaften im Traum schickt, sich die Theorien von Carl Gustav Jung mit dem Christentum und Okkultismus vermischen und zu einem Personenkult heranwachsen, dann handelt es sich nicht um eine normale Religionsgemeinschaft, sondern um eine Sekte – hiervon ist zumindest bei den Anhängern der Sylvia D. auszugehen. 

Der erste Prozess in dieser Sache fand vor dem Landgericht Hanau im Jahr 2020 statt. Laut Anklage der Staatsanwaltschaft soll die mutmaßliche Sektenführerin den vierjährigen Jan im Jahr 1988 zum Mittagsschlaf in einen Sack gezwungen haben. Das Kind wachte nie mehr auf.  
Der Junge, Sohn zweier Sektenmitglieder, habe am 17. August 1988 besonders viel geschrien und erlag in besagtem Sack einer Kohlenmonostoffvergiftung.  
Wie aus Tagebucheinträgen und Zeugenaussagen (insbesondere von späteren Aussteigern) hervorging, wurde Jan oft geschlagen und wollte er nicht essen, so wurde ihm das Essen in den Mund gestopft. Eine andere gängige Praxis: Bei Ungehorsam wurde der Vierjährige bis zum Hals in einen Baumwollsack gesteckt, der ihn bewegungsunfähig machte. 

Allgemein sei der Umgang mit Kindern in der Sekte „unvorstellbar, schrecklich und entsetzlich“ gewesen, so auch der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsverkündung. Wer sich widersetzte, musste mit harten Strafen rechnen. Wer sich hingegen an die Botschaften Gottes hielt, die dieser praktischerweise nur Sylvia D. im Traume zukommen ließ, hatte nichts zu befürchten.

Der gerufene Notarzt notierte seinerzeit, dass Jan an seinem eigenen Erbrochenen erstickte– die Angeklagte sowie Zeugen teilten freilich keinem Außenstehenden mit, dass das Kind in einem Sack gestorben war.
Doch wieso kam es erst über drei Jahrzehnte später zum Prozess? Dies könne auf das Versagen der staatlichen Organe zurückgeführt werden, so ein Richter. Mangelhafte polizeiliche Ermittlungen und eine fehlende Obduktion führten zu ein unentdeckten Tötungsdelikt.

Landgericht Hanau: Erster Prozess

Während des ersten Prozesses wurden Passagen aus den Tagebüchern der Angeklagten vorgelesen, in denen sie das spätere Opfer als „machtsadistisches Schwein“, „gemeinen Sadisten“ oder „kalten und gemeinen Showaffen“ bezeichnete. Dieses Tagebuch bot Einblick in die Verhältnisse und Dynamiken der Sekte, ihrer Mitglieder und die Empathielosigkeit der Angeklagten. Die Einträge könnten auch das Motiv für den Mord an dem Jungen offenbaren: Die Angeklagte fürchtete wohl seine Einschulung, bei der nicht nur sein schlechter psychischer, sondern auch körperlicher Zustand aufgefallen sei, so das LG Frankfurt in seiner Urteilsverkündung. 

Das LG Hanau verurteilte die Angeklagte zu lebenslanger Haft, das Urteil wurde jedoch durch den Bundesgerichtshof wegen Rechtsfehlern verworfen und an ein anderes Gericht verwiesen. Das Landgericht Hanau habe die Schuldfähigkeit der Angeklagten nicht ausreichend geprüft und Angaben zum Vorsatz haben gefehlt.

Landgericht Frankfurt: Zweite Verurteilung

Die heute 76-Jährige wurde nun erneut wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Das Landgericht Frankfurt sah es als erwiesen an, dass sie den vier Jahre alten Jan vor mehr als 35 Jahren in einen Sack gezwungen habe, in welchem der Junge dann erstickte. Das „machtsadistische Verhalten gegenüber Jan in Kombination mit (der) gefühlskalten Reaktion auf seinen Tod“ wurden auch von diesem Gericht als Mord eingestuft.  

Exkurs: Niedrige Beweggründe

Im vorliegenden Fall teilte die Frankfurter Staatsanwältin mit, dass das Motiv der Angeklagten auf der sittlich tiefsten Stufe stehe: Die Angeklagte sei „unglaublich wütend“ auf den Jungen gewesen, er habe für sie „das Böse“ symbolisiert. Schließlich habe sie den ständigen Machtkampf mit dem Kind durch dessen Tod gewonnen. Dieses Motiv stellte nach Ansicht der Frankfurter Richter einen niedrigen Beweggrund dar. 

Diese sind per Definition Tatantriebe, die nach rechtlich-moralischer Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose Eigensucht bestimmt und daher besonders verachtenswert sind. Sie gehören zu den Mordmerkmalen der ersten Gruppe, welche das verwerfliche Motiv zur Tatbegehung beschreiben. Die Tat darf also unter keinen Umständen und in keiner Hinsicht „nachvollziehbar“ sein – dies ist nicht ganz unproblematisch, da die wenigsten vorsätzlichen Tötungsdelikte von durchschnittlichen Dritten nachvollzogen werden können und eine trennscharfe Abgrenzung nicht immer einfach ist. 

Weitere Beispiele für das Vorliegen solcher Beweggründe sind etwa Ausländerfeindlichkeit oder auch Rachsucht, soweit diese keine nachvollziehbare Ursache hat, wie beispielsweise die sogenannte „Blutrache“. 

Adäquate Verteidigung gerade in schwierigen Fällen

Regelmäßig ist das Feststellen von Mordmerkmalen der ersten Gruppe, welche auf den Täter und seine inneren Vorgänge abstellt, in der Praxis eine schwierige Aufgabe, für die es Einlassungen des Angeklagten, Gutachten von (psychologischen) Sachverständigen, Zeugenaussagen oder weitere, aussagekräftige Indizien braucht. Vor allem in solchen komplexen und folgenschweren Fällen ist daher die richtige Verteidigung unerlässlich. 

Als Strafverteidiger sind wir unseren Mandanten verpflichtet und machen uns für ihre Rechte vor Gericht stark. Kommen Sie daher jederzeit und so früh wie möglich auf uns zu – egal, in welchem Verfahrensstand und bei welchem Vorwurf.

Foto(s): Rechtsanwaltskanzlei Laqmani

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