Neuere Rechtsprechung zum Bundesvertriebenengesetz (BVFG) – Teil 1

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Hier soll auf die Entwicklung der Rechtsprechung des BVerwG und des OVG NW aus den letzten Jahren eingegangen werden.

I. Für reichlich Verwirkung hat ursprünglich die seit dem 01.01.2005 geltende Neufassung des § 15 Abs.2 BVFG gesorgt, die zunächst so verstanden wurde, dass auch Personen, die als Abkömmlinge oder Ehegatten in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers einbezogen wurden und ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben, zur Anerkennung als Spätaussiedler („Höherstufung“ von § 7 auf § 4 BVFG) eines Aufnahmebescheids bedürften. Zur Höherstufung war also ein zweistufiges Vorgehen erforderlich, zunächst die Beantragung eines (Härtefall-) Aufnahmebescheids, sodann bei positiver Bescheidung die Beantragung bzw. Ausstellung vom Amts wegen der Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs.1 BVFG. Das ist zunächst auch vom BVerwG so gesehen worden (Urt. v. 05.07.2007, 5 C 30.06).

Mit zwei Urteilen vom 16.07.2015 (1 C 29.14; 1 C 30.14) ist das BVerwG davon wieder abgerückt. Es kann somit die Anerkennung als Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG nun auch dann (direkt) beantragt werden, wenn die Wohnsitznahme als einbezogener Abkömmling bzw. Ehegatte erfolgte. Für die Beantragung eines eigenen Aufnahmebescheids zur Aufnahme als Spätaussiedler fehle das Rechtsschutzbedürfnis.

Im Zusammenhang mit dem 10. BVFG-Änderungsgesetz, in Kraft seit dem 14.09.2013, ergeben sich daraus jedoch weitere Fragen:

Ein Rechtsschutzinteresse zum Erhalt eines Aufnahmebescheids dürfte nämlich immer noch in Fällen gegeben sein, wenn es nicht lediglich um die Höherstufung des Antragstellers geht, sondern um die nachträgliche Einbeziehung von seinen, im Aussiedlungsgebiet verbliebenen Abkömmlingen.

Allerdings: Eine Einschränkung erfährt diese Variante durch ein vom BVerwG eingeführtes Merkmal des Spätaussiedleraufnahmewillens.

Da der Abkömmling bzw. Ehegatte seinen Wohnsitz bereits in Deutschland genommen hat, kann er einen Aufnahmebescheid nur noch als Härtefallaufnahmebescheid (§ 27 Abs.1 S.2 BVFG) erhalten. Hier kommt die Entscheidung des BVerwG vom 13.12.2012 (5 C 23.11) zum Tragen, wonach es zwar keine gesetzliche Frist zur Stellung eines Härtefallantrags gebe, jedoch der gesetzliche Zusammenhang so zu verstehen sei, dass nur Personen, die bereits beim Verlassen der Aussiedlungsgebiete Spätaussiedler werden wollen, einen Aufnahmebescheid erhalten können. Dieser Spätaussiedleraufnahmewille müsse dadurch dokumentiert werden, dass der Härtefallantrag „zeitnah“ zur Wohnsitznahme in Deutschland gestellt wird. Was unter „zeitnah“ zu verstehen ist, wurde in der Rspr. bislang nicht konkretisiert, als „nicht zeitnah“ sind jedenfalls Fälle behandelt worden, in denen Anträge auf Erteilung vom Härtefallaufnahmebescheiden erst mehrere Jahre nach der Wohnsitznahme gestellt wurden.

Das ist von einiger praktischer Relevanz, da erst seit dem 14.09.2013 Abkömmlinge auch nachträglich (also nach der bereits erfolgter Einreise des Spätaussiedlers) ohne weiteres einbezogen werden können, nur muss die Bezugsperson dafür eben über einen Aufnahmebescheid zur Aufnahme als Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG verfügen.

II. Mit den beiden vorgenannten Urteilen vom 16.07.2015 hat das BVerwG zudem klargestellt, dass für die Merkmale der deutschen Volkszugehörigkeit i.S.d. § 6 Abs.2 BVFG grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Wohnsitznahme gilt, sofern eine vertriebenenrechtliche Aufnahme stattgefunden hat.

In der Praxis bedeutet das, dass bei einer nur ausländerrechtlich erfolgten Wohnsitznahme (praxisrelevant ist hier vor allem der ausländerrechtliche Familiennachzug zum Ehegatten) und Stellung eines Aufnahmeantrags das aktuelle Recht Anwendung findet, also das BVFG in der Fassung des 10. BVFG-Änderungsgesetzes mit seinen wesentlichen Erleichterungen. Ist jedoch die Aufnahme als Abkömmling oder Ehegatte vertriebenenrechtlich durch Einbeziehung in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers erfolgt, gilt das BVFG zum Zeitpunkt der Wohnsitznahme.

Praktische Auswirkung der Entscheidungen des BVerwG vom 16.07.2015 ist damit, dass einerseits der Antrag auf Anerkennung als Spätaussiedler (durch Beantragung einer Bescheinigung nach § 15 Abs.1 BVFG) bei zuvor einbezogenen Abkömmlingen und Ehegatten keinen eigenständigen vorherigen Aufnahmebescheid voraussetzt. Zugleich ist es aber in den praktisch relevanten Altfällen nicht möglich, sich auf die erleichterten Aufnahmevoraussetzungen des 10. BVFG-Änderungsgesetzes zu berufen. Die Merkmale der Spätaussiedlereigenschaft im Sinne der früheren Fassung des § 6 Abs.2 BVFG müssen bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme vorgelegen haben, was eher selten der Fall sein dürfte; dazu kommen erhebliche Beweisschwierigkeiten.

Weitere praktische Auswirkung der beiden Urteile ist natürlich die Beantwortung der Frage, ob Personen, die vor dem 14.09.2013 eine vertriebenenrechtliche Aufnahme als Abkömmlinge bzw. Ehegatten gefunden haben und deren Antrag auf Anerkennung als Spätaussiedler im Bescheinigungsverfahren nachfolgend bestandskräftig abgelehnt wurde, nunmehr einen Wiederaufgreifensanspruch haben. Das ist nicht der Fall.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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