Nutzungsausfall bzw. entgangener Gewinn/Vorhaltekosten nach Verkehrsunfall

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Der Geschädigte, der sich keinen Mietwagen nimmt, hat grundsätzlich Anspruch auf eine Geldentschädigung im Sinne des § 249 II BGB für die Entziehung der Nutzungsmöglichkeit seines Fahrzeuges. Der unfallbedingte Wegfall der Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeuges ist als Vermögensschaden nach § 251 BGB zu bewerten. Für einen Anspruch auf Nutzungsausfall muss tatsächlich eine Nutzung nicht möglich sein, eine fiktive Abrechnung entfällt.

Der BGH führte dazu aus (BGH, Urt. v. 11.10.2022 – VI ZR 35/22 Rz. 10): „Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beschränkt sich der Nutzungsausfallersatz auf Sachen, deren ständige Verfügbarkeit für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist. Dabei müssen die Nutzungseinbußen an objektiven Maßstäben gemessen werden können. Der Tatrichter soll den Schadensersatz nicht an unkontrollierbaren subjektiven Wertschätzungen festmachen müssen, die ihm der Geschädigte angibt, sondern an Werten, die der Verkehr dem Interesse an der konkreten Nutzung beimisst [...]. Bei der Prüfung, ob nach der Verkehrsauffassung der vorübergehende Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Gegenstandes als wirtschaftlicher Schaden gewertet werden kann, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Das verlangt die in § 253 BGB getroffene gesetzgeberische Entscheidung, wonach immaterieller Schaden nur ausnahmsweise, nämlich in den gesetzlich geregelten Fällen, zu ersetzen ist [...]. Stellt sich der zeitweise Verlust unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung nicht als wirtschaftlicher Schaden, sondern als individuelle Genussschmälerung dar, handelt es sich um einen nicht ersatzfähigen immateriellen Schaden.“


a. Subjektive Voraussetzungen

Bei Kfz, die grundsätzlich als Sachen angesehen werden, die für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung sind, ist demnach zu fragen, ob durch deren mangelnde Nutzbarkeit eine fühlbare Beeinträchtigung gegeben ist.

Subjektive Voraussetzungen sind, dass der Geschädigte in Bezug auf sein Fahrzeug sowohl eine Nutzungsmöglichkeit als auch einen Nutzungswillen besitzt.

Falls der Geschädigte tatsächlich sein Fahrzeug gar nicht nutzen möchte, so hat er keinen Nutzungswillen. Da das Fahrzeug üblicherweise aber bis zum Unfallzeitpunkt genutzt wurde (und daher auch in einen Unfall verwickelt werden konnte) wird der Nutzugswille indiziert. Ein fehlender Nutzungswille muss also von der Schädigerseite nachgewiesen werden.

Es muss sich auf den Geschädigten auswirken, dass er das Fahrzeug für seine alltägliche Lebensführung nicht gebrauchen kann. Ein Zweitwagen muss im Rahmen der Schadensminderungspflicht genutzt werden.

Ist der Geschädigte zeitweise während der Unfallinstandsetzung im Urlaub, so entfällt ebenfalls der Nutzungswille.

Die Nutzungsmöglichkeit entfällt beispielsweise, wenn der Geschädigte im Krankenhaus liegt oder das Fahrzeug aufgrund einer Verletzung nicht nutzen kann.

Ist einem Unfallgeschädigten während der Reparaturzeit des beschädigten Fahrzeugs die Nutzung eines Zweitwagens möglich und zumutbar, besteht kein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung gegen den Schädiger. Das hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) in einem Beschluss (v. 21.07.2022, Az. 11 U 7/21) entschieden. Zwar biete ein Ford Mondeo im Vergleich zum 911er Porsche weniger Fahrvergnügen, stellte auch das Gericht fest. Das sei aber nur eine immaterielle Beeinträchtigung, die auf subjektiver Wertschätzung fuße. Solche immateriellen Schäden seien aber nicht ersatzpflichtig, da andernfalls die Gefahr bestünde, die Ersatzpflicht entgegen den gesetzlichen Wertungen auf Nichtvermögensschäden auszudehnen.

Ein Nutzungswille fehlt grundsätzlich dann, wenn der Geschädigte das Fahrzeug dauernd oder für mehrere Monate nicht reparieren lässt oder sich alsbald nach dem Unfall kein Ersatzfahrzeug kauft (Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2006, § 249 Rdnr. 67; BGH NJW 1976, 1396; OLG Köln MDR 2004, 1114; OLG Bremen NJW-RR 2002, 383). Wartet der Unfallgeschädigte mit der Reparatur des Unfallwagens mehr als 2 Monate, spricht bereits eine tatsächliche Vermutung dafür, dass er das Fahrzeug in dieser Zeit nicht nutzen wollte, so dass ihm für diese Zeit auch kein Anspruch auf Entschädigung für entgangene Nutzungen zusteht (OLG Köln MDR 2004, 1114). Mit dem Abwarten der Reparatur über einen derart langen Zeitraum offenbart der Geschädigte in der Regel, dass er auf die Nutzung des Pkw nicht angewiesen war (OLG Hamm, Urteil vom 23.02.2006, Az.: 28 U 164/05).


b. Weitere Voraussetzungen

Weitere Voraussetzungen sind,

                dass der Unfall (teilweise) unverschuldet für den Anspruchsteller war.

dass das Fahrzeug nicht fahrbereit (Reparaturfall) war oder noch nicht wiederbeschafft werden konnte (Totalschadensfall).

dass kein Mietfahrzeug angemietet wurde.


c. Höhe der Entschädigung

Bezifferung des Nutzungsausfallschadens:

Der Nutzungsausfall errechnet sich aus der Ausfallzeit und dem konkreten Tagessatz.

Der Tagessatz kann der Nutzungsausfallentschädigungstabelle "Sanden, Danne, Küppersbusch" entnommen werden. Die Gutachter geben in den Gutachten regelmäßig eine Tagespauschale vor.

Die Nutzungsausfallentschädigung orientiert sich an der Eingruppierung des Fahrzeuges nach der jeweiligen Fahrzeugklasse (Fahrzeugtyp und -modell).

Die Tabelle ordnet die Fahrzeuge in die Klassen A bis L oder 1 bis 13 ein, je nach der vorhandenen Ausstattung und dem Neupreis, etc.

Aufgrund des Alters kann das Fahrzeug niedriger eingestuft werden. Ist das Fahrzeug älter als 5 Jahre, erfolgt in der Regel eine Zurückstufung um eine Gruppe.

Die abrechenbare Nutzungsausfalldauer unterscheidet sich danach, ob ein Reparaturschaden oder ein Totalschaden vorliegt:

Während der Dauer der Reparatur und insbesondere auch für die Verzögerung aufgrund von Ersatzteilbeschaffungen kann Nutzungsausfall geltend gemacht werden. Der Nutzungsausfall bezieht sich also auf 3 separate Zeiträume:

Schadensermittlungszeitraum: Der Zeitraum zwischen dem Unfalltag und dem Erhalt des Sachverständigengutachtens ist abrechenbar. Verzögerungen bei der Gutachtenerstellung gehen zu Lasten des Schädigers.

Überlegungszeitraum nach Erhalt des Gutachtens: Dieser Prüfzeitraum soll dem Geschädigten Zeit einräumen, den für ihn bestmöglichen Weg zur Schadensbeseitigung auszuwählen.

Reparaturdauer: Bei Reparaturverzögerungen z.B. aufgrund von Lieferschwierigkeiten bei Ersatzteilen, muss der Schädiger entsprechend länger Nutzungsausfall begleichen.

Im Falle eines Totalschadens kann der Nutzungsausfall für den Wiederbeschaffungszeitraum geltend gemacht werden. Dieser wird in der Regel vom Sachverständigen mit 14 Tagen angegeben. Auch für die weitere Dauer der Schadensermittlung steht dem Geschädigten der Nutzungsausfall zu. Damit ist der Zeitraum für die Einholung des Gutachtens und die Überlegungszeit gemeint. Der Nutzungsausfall bezieht sich also auf 3 separate Zeiträume:

Schadensermittlungszeitraum: Der Zeitraum zwischen dem Unfalltag und dem Erhalt des Sachverständigengutachtens ist abrechenbar. Verzögerungen bei der Gutachtenerstellung gehen zu Lasten des Schädigers.

Überlegungszeitraum nach Erhalt des Gutachtens: Dieser Prüfzeitraum soll dem Geschädigten Zeit einräumen, den für ihn bestmöglichen Weg zur Schadensbeseitigung zu wählen.

                Wiederbeschaffungszeitraum: Laut Gutachten werden meistens 14 Tage               angesetzt.

Die Gerichte können die Höhe des Nutzungsausfallschadens nach § 287 ZPO nach freier Überzeugung und unter Würdigung aller Umstände bestimmen.


d. Entgangener Gewinn

Entgangener Gewinn wird dann ersetzt, wenn das beschädigte Fahrzeug gewerblich genutzt wird.

In den Fällen, in denen das ausgefallene Fahrzeug unmittelbar gewerblicher Transportleistung dient, wie etwa ein Taxi oder ein Lkw eines Fuhrunternehmens, erhält der Geschädigte entweder die Mietkosten eines Ersatzfahrzeugs, den entgangenen Gewinn oder die Vorhaltekosten eines Reservefahrzeugs erstattet.

Den durch Ausfall entgangenen Gewinn muss der Geschädigte konkret darlegen und beziffern. Ist dies nicht möglich, können nur die Vorhaltekosten geltend gemacht werden. Das sind die allgemeinen Kosten der Anschaffung, des Kapitaldienstes sowie der Unterhaltung. Sie liegen deutlich niedriger als die Nutzungsausfallentschädigung und sind in etwa identisch mit den leistungsbezogenen Fixkosten eines Fahrzeugs.

Noch nicht höchstrichterlich entschieden ist bislang, wie bei Fahrzeugen, die lediglich unterstützend bei der Gewinnerzielung und nicht nur für Transportleistungen zum Einsatz kommen, zu verfahren ist.

Mit Urteil vom 06.12.2018, Az. VII ZR 285/17, hat der Bundesgerichtshof (BGH) einen Teilaspekt entschieden: Jedenfalls dann, wenn die materiellen Auswirkungen des Ausfalls des Fahrzeugs quantifiziert werden können, muss der Geschädigte die wirtschaftlichen Auswirkungen der Gebrauchsentbehrung darlegen und den Erwerbsschaden konkret bemessen.


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