Pflichtverletzung im Arbeitsverhältnis: Verdachtskündigung möglich?

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Arbeitgeber können einen Arbeitsvertrag kündigen, wenn der Arbeitnehmer eine schwerwiegende Pflichtverletzung begeht. Was ist allerdings, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht nachweisen kann? Kann er kündigen, auch wenn er nur einen massiven Verdacht hat?

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (LAG Schleswig-Holstein) hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Im Urteil vom 30.04.2019 stellt das Gericht Anforderungen an eine Kündigung auf, die sich „nur“ auf den Verdacht einer schweren Pflichtverletzung stützt (LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 30.04.2019, Az.: 1 Sa 385 öD/18).

Pflichtverletzung durch Arbeitnehmer: Wann kann Arbeitgeber kündigen?

Ein Arbeitgeber kann das Arbeitsverhältnis kündigen, wenn ein Arbeitnehmer gegen seine Pflichten im Arbeitsverhältnis verstößt. Der Arbeitgeber kann eine sog. Tatkündigung aussprechen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung – etwa eine Straftat zulasten des Arbeitgebers – begangen hat. Hat der Arbeitgeber nur den Verdacht, dass der Arbeitnehmer eine gravierende Pflichtverletzung begangen hat, ist u. U. eine Verdachtskündigung möglich. Beide Arten der Kündigung können ordentlich oder außerordentlich (fristlos) erfolgen.

Für eine Verdachtskündigung ist somit ein dringender Tatverdacht gegen den Arbeitnehmer erforderlich. Er muss zwar die Pflichtverletzung nicht nachweisen. Er muss aber zumindest alles versuchen, um den Sachverhalt aufzuklären. Hierzu gehört die Anhörung des Arbeitnehmers genauso wie weitere Nachforschungen. Außerdem muss der Arbeitgeber prüfen, ob die Kündigung insgesamt verhältnismäßig ist.

Worum ging es vor dem LAG?

Die gekündigte Arbeitnehmerin und ihr Lebensgefährte waren beim gleichen Unternehmen angestellt. Zusammen mit ihrem Vater kaufte sie sich ein Haus im Wert von etwa 440.000 €. Kurz darauf veranlasste der Lebensgefährte der Arbeitnehmerin eine Überweisung von 5 Mio. € von einem Konto des Arbeitgebers auf das Konto des Vaters der Arbeitnehmerin. Das Geld verwendete der Vater u. a., um das zuvor erworbene Haus zu bezahlen und seiner Tochter 10.000 € zu überweisen.

Nachdem der Arbeitgeber die rechtswidrige Überweisung bemerkt hatte, ließ er den Arbeitsplatz der Arbeitnehmerin untersuchen. Außerdem bekam die Arbeitnehmerin die Möglichkeit, zu den Vorfällen insgesamt Stellung zu nehmen. Obwohl sie erklärte, von der Überweisung nichts gewusst zu haben und nicht daran beteiligt gewesen zu sein, kündigte der Arbeitgeber ihr fristlos. Hilfsweise sprach er die ordentliche Kündigung aus. Gegen beide Kündigungen erhob die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage.

Was hat das LAG entschieden?

Das Arbeitsgericht entschied zunächst, dass die fristlose Kündigung zwar unwirksam, die ordentliche Kündigung aber wirksam sei. Gegen diese Entscheidung wehrte die Arbeitnehmerin sich erfolgreich mit ihrer Berufung zum LAG. Dieses erklärte auch die ordentliche Kündigung für unwirksam.

Zum einen könne der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin keine schwerwiegende Pflichtverletzung nachweisen. Daher sei eine Tatkündigung ausgeschlossen. Die – zwar gravierenden – Verdachtsmomente bezüglich der Überweisung des Lebensgefährten seien nicht ausreichend, um der Arbeitnehmerin eine rechtswidrige Tat nachweisen zu können.

Zum anderen schloss das LAG auch die Möglichkeit einer Verdachtskündigung aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Arbeitnehmerin massiv gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen habe, sei zwar hoch. Allerdings sei sie vom Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß angehört worden. Die Möglichkeit zur Stellungnahme zu den abstrakten Vorwürfen sei nicht ausreichend gewesen. Vielmehr habe der Arbeitgeber ihr die Ergebnisse der Durchsuchung ihres Arbeitsplatzes vorhalten müssen. Hierbei hatten sich nämlich konkrete Verdachtsmomente ergeben. Die Arbeitnehmerin hatte jedoch keine Gelegenheit, diese auszuräumen bzw. hierzu Stellung zu nehmen. Die ordentliche Kündigung war daher unwirksam.

Ergebnis

Eine Tatkündigung kommt immer in Betracht, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine gravierende Pflichtverletzung nachweisen kann. Eine Verdachtskündigung ist dagegen bereits möglich, wenn lediglich ein dringender Tatverdacht gegen den Arbeitnehmer besteht. Eine solche Kündigung ist allerdings nur wirksam, wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um den Sachverhalt vollständig aufzuklären. Außerdem muss er dem Arbeitnehmer die Möglichkeit geben, Stellung zu nehmen und zwar zu den ganz konkreten Vorwürfen, die der Arbeitgeber ihm macht.

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