Pflichtverteidiger bei "Aussage gegen Aussage"

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Wann bekomme ich einen Pflichtverteidiger?

Im Strafrecht funktioniert es anders als im Zivilrecht. Im Zivilrecht bekommt Prozesskostenhilfe, wer sich sonst den Prozess nicht leisten kann, weil er nicht genug eigene Mittel hat. Daher auch der Begriff „Armenrecht“.

Im Strafrecht ist das ganz anders. Die Einkommensverhältnisse des Beschuldigten spielen hier keine Rolle. Vielmehr bekommt man einen Pflichtverteidiger dann, wenn es um einen erheblichen Vorwurf geht. Kurz gesagt: Bei einer Beleidigung werde ich so schnell keinen Pflichtverteidiger bekommen, bei Mord oder Totschlag immer.

Im Gesetz gibt es einen Katalog, in dem mögliche Fälle der Pflichtverteidigung genannt sind. Der bekannteste Fall ist die Untersuchungshaft:

Wer in U-Haft kommt, muss sofort einen Pflichtverteidiger bekommen. Weiterhin bekommt man einen Pflichtverteidiger, wenn das Verfahren unmittelbar vor dem Landgericht stattfindet, wenn es um ein Verbrechen geht (Mindeststrafe 1 Jahr) oder wenn die psychiatrische Begutachtung (z. B. wegen Alkohol oder Drogen) in Betracht kommt. 

Neben diesen im Gesetz genannten Fällen gibt es eine ganze Reihe weiterer Fälle, in denen die Gerichte einen Pflichtverteidiger beigeordnet haben, in denen also der Beschuldigte den Anwalt zunächst nicht selbst zahlen muss, sondern Unterstützung vom Staat bekommt. 

Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr möglich ist, wenn ein Beweisverwertungsverbot in Betracht kommt, die Abschiebung des Beschuldigten droht, ein Antrag nach § 35 BtMG (Drogentherapie) gestellt werden soll oder der Beschuldigte unter Betreuung steht. 

Ein weiterer typischer Fall ist der, in dem „Aussage gegen Aussage“ steht. 

Dies wurde zuletzt bestätigt durch das Landgericht München II (Landgericht München II, 10.07.2018, 2 Qs 19/18). Dort wird ausgeführt, dass in Verfahren, in denen Aussage gegen Aussage steht, die Bestellung eines Pflichtverteidigers üblicherweise erforderlich ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn zu der Aussage des Belastungszeugen weitere belastende Indizien hinzukommen. Dann könne von einer schwierigen Beweiswürdigung nicht mehr gesprochen werden.

In dem vom Landgericht München behandelnden Fall war es sogar etwas komplizierter: Das Gericht hatte weitere Zeugen geladen, die im Ermittlungsverfahren Angaben gemacht hatten, die im Widerspruch zu den Ausführungen des Belastungszeugen standen. Hier war abzusehen, dass im Rahmen der Beweiswürdigung das Aufklären der Widersprüche erforderlich sein wird und insoweit eine schwierige Beweiswürdigung zu erwarten war. 

Nach Ansicht des Landgericht München II war daher zur Sicherung eines fairen Verfahrens die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich.

Bei der Pflichtverteidigung ist es wie mit anderen Fragen in der Strafverteidigung: Es hängt viel von der Argumentation ab. Wenn man es geschickt anstellt, kann in sehr vielen Fällen ein Pflichtverteidiger vom Gericht bestellt werden.


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