Pflichtverteidigung - Mythen und Fakten

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Im Bereich des Strafrechts gibt es zahlreiche Vorurteile rund um das Thema der Pflichtverteidigung. In diesem Blogbeitrag möchten wir Ihnen einige Fakten präsentieren und Klarheit schaffen. Die Pflichtverteidigung ist ein wichtiger Bestandteil des deutschen Strafrechts und gewährleistet, dass auch Personen ohne finanzielle Mittel einen fairen Prozess erhalten. Dabei werden die Kosten für den Verteidiger zunächst vom Staat übernommen. Allerdings wird dem Beschuldigten nicht in jedem Strafverfahren ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt. Erfahren Sie nachfolgend mehr über die Hintergründe, Voraussetzungen und Abläufe der Pflichtverteidigung.

1. Einleitung: Was ist die Pflichtverteidigung im Strafrecht?

Die Pflichtverteidigung im Strafrecht stellt sicher, dass auch Menschen, die sich keinen Wahlverteidiger leisten können oder wollen, eine angemessene Verteidigung erhalten. Im Strafrecht geht es um schwere Vorwürfe und mögliche Konsequenzen wie Freiheitsstrafen oder Geldbußen. Die Pflichtverteidigung greift hier ein und sorgt dafür, dass den Beschuldigten professionelle Unterstützung zur Verfügung steht.

Oft ist insbesondere davon die Rede, dass Pflichtverteidiger günstiger und automatisch weniger kompetent sind als Wahlverteidiger. Das ist jedoch ebenso unrichtig wie die Behauptung, dass Pflichtverteidiger die Fälle annehmen müssen und verpflichtet sind, gegen eine geringe Bezahlung zu arbeiten. Das Gesetz spricht in § 140 StPO von „notwendiger Verteidigung“. Diese Bezeichnung ist wohl weniger vorbelastet, als der Begriff des Pflichtverteidigers.

2. Mythos 1: „Die Pflichtverteidigung ist nur für arme Menschen.“

Ein häufiger Irrtum im Zusammenhang mit der Pflichtverteidigung im Strafrecht ist die Annahme, dass sie ausschließlich für Menschen mit geringem Einkommen vorgesehen ist.

Die Gewährung einer Pflichtverteidigung richtet sich vielmehr nach der Schwere des Vorwurfs und nicht nach dem finanziellen Hintergrund einer Person. Das bedeutet, dass unabhängig von der eigenen finanziellen Situation jeder Beschuldigte das Recht auf einen Pflichtverteidiger hat, wenn ihm eine schwerwiegende Straftat zur Last gelegt wird. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers richtet sich demnach nach der Schwere des Vorwurfs und ermöglicht so dem Beschuldigten eine angemessene Verteidigung. Dieser Mythos kann somit als widerlegt gelten und zeigt gleichzeitig, dass das Thema der Pflichtverteidigung von Vorurteilen geprägt ist.

Fakt 1: Die Gewährung einer Pflichtverteidigung richtet sich v.a. nach der Schwere des Vorwurfs, nicht nach dem Einkommen!

Das Gesetz legt einige Fälle fest, in denen eine Pflichtverteidigung gewährt werden kann. Hierunter fallen unter anderem folgende Fälle:

  • schwere Straftaten (Verbrechen)

  • mögliches Berufsverbot bei einer Verurteilung

  • Beschuldigter kann sich ersichtlich nicht selbst verteidigen

  • Seh-/ Sprach-/ oder Hörbehinderung des Beschuldigten

Es gibt also verschiedene Konstellationen, in denen ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt und ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden kann. Man sollte daher keineswegs aus diesem Umstand auf eine finanzielle Schwäche des Beschuldigten schließen.

Zusätzlich gibt es noch den Fall, dass der Beistand nicht dem Beschuldigten, sondern dem Geschädigten einer Straftat beigeordnet wird. In dem Fall tritt der Beistand auf der Seite der Nebenklage auf.

3. Mythos 2: „Pflichtverteidiger sind weniger kompetent als Wahlverteidiger.“

Bei der Pflichtverteidigung im Strafrecht wird oft der Mythos verbreitet, dass Pflichtverteidiger weniger kompetent seien als Wahlverteidiger. Doch dieser Mythos ist falsch.

In Deutschland müssen alle Anwälte, also auch alle Strafverteidiger, ein umfangreiches Studium abgeschlossen haben. Zum Unterschied zwischen Anwalt und Strafverteidiger lesen Sie mehr in unserem Artikel Strafverteidiger oder Rechtsanwalt?. Zudem haben alle als Rechtsanwalt zugelassenen Personen eine praktische Ausbildungszeit absolviert, in der sie praktische Erfahrungen gesammelt und sich mit den Abläufen in den Gerichten vertraut gemacht haben.

Fakt 2: Bei der Auswahl von Pflichtverteidigern wird auf deren Fachkenntnisse und Erfahrung geachtet!

Zusätzlich wird bei der Auswahl von Pflichtverteidigern sehr wohl auf deren Fachkenntnisse und Bereitschaft zur Übernahme eines Falls geachtet. Insbesondere ist zu erwähnen, dass viele Strafverteidiger zugleich als Pflicht- und Wahlverteidiger arbeiten. Je nach Vorwurf unterscheidet sich dann die konkrete Ausgestaltung der Mandatierung. Nicht selten sind es besonders erfahrene Anwälte, die aus besonderem Interesse an dem Fall ein Pflichtmandat übernehmen.
 Aber auch junge Anwälte werden oft als Pflichtverteidiger beauftragt. Das ist nicht zwangsläufig ein Nachteil: Zum einen wurden im Rahmen der juristischen Ausbildung bereits einige Erfahrungen erworben, zum anderen ist das Engagement, sich gründlich in einen Fall einzuarbeiten, bei Berufseinsteigern nicht zu unterschätzen. Oft erfolgt hier eine bessere Vorbereitung, als bei manch eingesessenem Anwalt. Insbesondere wenn die jungen Anwälte in einer Kanzlei mit erfahrenen Strafverteidigern zusammenarbeiten, ist durch interne Absprachen in den meisten Fällen eine gute Qualität der Verteidigung gesichert.

Es ist wichtig zu betonen, dass unabhängig von der Art der Verteidigung eine gute Kommunikation zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger entscheidend ist. Der Beschuldigte muss aktiv an seiner Verteidigung teilnehmen und seine Wünsche äußern dürfen. Somit haben auch Sie selbst einen nicht zu vernachlässigenden Anteil an dem Erfolg der Verteidigung. Die Pflichtverteidigung im Strafrecht ist also keineswegs ein Zeichen für mangelnde Kompetenz des Anwalts.

4. Mythos 3: „Als Beschuldigte/r haben Sie keinen Einfluss auf die Auswahl Ihres Pflichtverteidigers.“

Als Beschuldigte/r im Strafrecht haben Sie möglicherweise Bedenken, dass Sie keinen Einfluss auf die Auswahl Ihres Pflichtverteidigers haben. Die Angst besteht, dass Ihnen ein beliebiger Anwalt zugewiesen wird und Sie keinerlei Mitspracherecht haben. Doch auch das ist nicht korrekt.

Fakt 3: Sie können ihren gewünschten Pflichtverteidiger benennen!

Anders als oft angenommen, haben Sie als Beschuldigte/r tatsächlich Einfluss auf die Auswahl Ihres Pflichtverteidigers. Ihnen steht das Recht zu, Ihren Wunsch nach einem bestimmten Anwalt oder einer bestimmten Anwältin zu äußern, wenn Sie einen Pflichtverteidiger benötigen. Die Entscheidung über die endgültige Zuweisung obliegt zwar den Gerichten und berücksichtigt verschiedene Faktoren wie Fachkenntnisse, örtliche Gegebenheiten und die Bereitschaft des Verteidigers/der Verteidigerin zur Übernahme von Pflichtmandaten. Dennoch wird Ihre Präferenz in Betracht gezogen und soweit möglich berücksichtigt. Machen Sie daher von dieser Gelegenheit Gebrauch und benennen Sie Ihren Wunsch-Pflichtverteidiger.

5. Mythos 4: „Die Pflichtverteidigung ist kostenlos.“

Der letzte, und wohl am weitesten verbreitete Mythos ist, dass der Staat die Kosten der Pflichtverteidigung trägt und der Beschuldigte, der gegebenenfalls ein Straftäter ist, nicht dafür aufkommen muss.

Richtig ist, dass im Gegensatz zu einem Wahlverteidiger, dessen Kosten der Beschuldigte selbst tragen muss, bei einer Pflichtverteidigung die Kosten vom Staat übernommen werden - zunächst zumindest. Wenn es jedoch zu einer Verurteilung kommt, müssen diese Kosten in der Regel zurückbezahlt werden.

Fakt 4: Die Kosten müssen bei einer Verurteilung zurückbezahlt werden!

Tatsächlich werden die entstandenen Ausgaben für den Pflichtverteidiger vom Staat nur vorläufig übernommen und dem Beschuldigten in Rechnung gestellt, falls er schuldig gesprochen wird. Diese Rückzahlungsverpflichtung dient dazu, die finanzielle Belastung des Staates zu verringern und sicherzustellen, dass Personen, die wegen Straftaten verurteilt werden, die Kosten selber tragen müssen.

Für den Sonderfall der Beiordnung als Beistand des Geschädigten einer Straftat gilt: Wenn es zu einer Verurteilung kommt, werden auch diese Kosten dem Verurteilten auferlegt.

6. Fazit

Die Mythen rund um die Pflichtverteidigung im Strafrecht halten sich hartnäckig. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Gewährung einer Pflichtverteidigung nicht automatisch eine minderwertige Vertretung bedeutet und dass Beschuldigte auch Rechte bezüglich der Auswahl des Anwalts haben. Es lohnt sich daher, genauer hinzusehen und die Mythen zu hinterfragen, um ein besseres Verständnis für die Pflichtverteidigung im Strafrecht zu bekommen.


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