ProViDa – Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren

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Messungen:

Geschwindigkeitsmessungen finden auf den Autobahnen in Nordrhein-Westfalen regelmäßig statt. Dabei fährt ein ziviles Polizeifahrzeug einem verdächtig schnellen Fahrzeug hinterher und zeichnet das Nachfahren auf. In die Bildaufzeichnung werden geeichte Fahrdaten des Polizeifahrzeugs sowie die Daten einer Stoppuhr eingeblendet. Aus den Daten des nachfahrenden Polizeifahrzeugs wird auf die Geschwindigkeit des vorausfahrenden Pkw geschlossen.

Wird dabei eine Geschwindigkeitsmessung durch die Polizeibeamten festgestellt, dann werden das vorausfahrende Fahrzeug angehalten und die Personalien des jeweiligen Fahrers festgestellt.

Das Problem:

Das Messsystem ProViDa 2000 modular ist ein so genanntes „standardisiertes Messverfahren“. Das bedeutet zunächst einmal nicht, dass die Messung in einem voll automatisierten, menschliche Handhabungsfehler praktisch ausschließenden Verfahren stattfinden muss. Vielmehr ist hierunter ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (so BGH, Beschl. v. 30.10.1997 – 4 StR 24/97; ständige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte).

Die Anerkennung als standardisiertes Messverfahren führt zu einer Änderung des Amtsermittlungs-grundsatzes. Dieser besagt, dass ein Gericht in einem (hier) Ordnungswidrigkeitenverfahren grundsätzlich alles von Amts wegen auf seine Richtigkeit zu überprüfen hat. Handelt es sich aber um standardisiertes Verfahren, muss sich ein Gericht nur dann von der Zuverlässigkeit der Messung überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind. Mit anderen Worten: Der mit einem Bußgeldbescheid belegte Fahrer muss nachweisen, dass die Messung fehlerhaft oder falsch war.

Das führt dazu, dass ich als Verteidiger vom jeweiligen Gericht und zu Beginn einer Verhandlung gefragt werde, weshalb überhaupt Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt worden sei, es handele sich doch um ein standardisiertes Messverfahren und das Gericht könne keine Messfehler erkennen. Das ist die Ansage des Gerichts, dass verurteilt wird, komme was da wolle.

Verteidigungsprobleme:

Das standardisierte Messverfahren stellt nicht nur eine Beweislastumkehr dar, sondern zeigt auch, welche Art von Verteidiger man hat. Es gehört zu meinen Gewohnheiten, sich vor der Verhandlung, für welche ich geladen bin, den vorangehenden Verhandlungstermin anzugucken. Erstens bekommt man einen ersten Eindruck vom Richter, zweitens erfährt man auch einiges über verschiedene Verteidigerstile.

a) Immer wieder gibt es Verteidiger, die nicht wirklich verteidigen, oder dem Richter, bei dem sie des öfteren sind, nicht „wehtun“ wollen. Es werden kaum Beweisanträge, dem Messbeamten werden keine Fragen gestellt und mit dem Gericht wird nicht über den eigentlichen Wert der herbeigeschafften Beweismittel diskutiert.

b) Dann gibt es Verteidiger, die Fragen stellen und Anträge formulieren, die sich aber auf die durch die Rechtsprechung gezogene Grenze des standardisierten Messverfahrens festlegen lassen. Sie lassen die Beweislastumkehr gelten und versuchen mit Anträgen die akzeptierte Grenze wieder einzureißen. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte hat in den letzten Jahren jedoch alles unternommen, um diese Bemühungen ins Leere laufen zu lassen.

Mit dieser Art der Verteidigung kann man erfolgreich sein; häufig scheitert man jedoch an dem Unwillen des entscheidenden Gerichts.

c) Und dann gibt es Verteidiger, die sich fragen, was die Voraussetzungen des standardisierten Messverfahrens sind und dann im Einzelnen die jeweiligen Voraussetzungen in Frage stellen. Zu diesen Verteidigern zähle ich mich.

Problemlösung:

Im Bußgeldverfahren gibt es im Wesentlichen zwei Stadien. Erstens: Das Verfahren vor der Bußgeldstelle, welche den Bußgeldbescheid erlässt. Zweitens: Das Verfahren über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid bei Gericht.

Zeigt die Bußgeldakte – nach erfolgter Akteneinsicht – offensichtliche Fehler, dann kann man diese vor der Bußgeldstelle diskutieren. Eine Einstellung des Verfahrens kommt in der Regel nur bei offensichtlichen Fehlern in Betracht.

Alle anderen möglichen Fehler werden in der Regel vor dem Gericht thematisiert, weil die Bußgeldstelle in den allermeisten Fällen kein Sachverständigengutachten in Auftrag gibt.

Das hier vorliegende ProViDa-Problem bedarf aber immer einer sachverständigen Klärung. Deshalb gehe ich in bei diesen Messungen immer (!) ins gerichtliche Verfahren. Dort stelle ich einen Beweisantrag, welcher sich auf das angefertigte Messvideo bezieht. Thema eines solchen Beweisantrags ist, dass die in der Hauptverhandlung vorliegenden Messdaten falsch sind. Ich befrage den jeweiligen Messbeamten und erhebe anschließend einen Verwertungswiderspruch.

Das führt dazu, dass das Verfahren in den meisten Fällen sofort eingestellt wird. Selten holen die Gerichte noch das beantragte Sachverständigengutachten ein.

Zuletzt wurde das Verfahren gegen einen Mandanten eingestellt, dem die Verhängung von 1000 € Geldbuße, Vorsatzverurteilung und 3 Monate Fahrverbot drohte (AG Unna – 172 OWi 25/20).

Aussichten:

Es geht vorliegend nicht um die Frage, ob die Messung technisch richtig war oder nicht. Es geht um die Frage, ob die erhobenen Daten in einem gerichtlichen Verwahren verwertet werden können und dürfen. Es handelt sich somit nicht um ein technisches, sondern ein rein rechtliches Problem. Die Rechtsprechung wird mit den von ihr aufgestellten Rechtsgrundsätzen und den rechtlichen Vorgaben von Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) und Strafprozessordnung (StPO) in die Ecke gedrängt.

Abschließend noch folgendes:

Man sollte nicht glauben, dass das Gericht – in Kenntnis der Mangelhaftigkeit der Beweislage – nachfolgende Verfahren einstellt. Es ist die Sache der jeweiligen Betroffenen, die eigenen Rechte geltend zu machen. Wer es zulässt, dass das Gericht von einem standardisierten Messverfahren ausgeht, trägt die Folgen.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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