Prozesskostenhilfe und Anrechnung der vorgerichtlich gezahlten Geschäftsgebühr nach § 45 RVG

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Vielfach wird angefragt, ob auch die Rechtsanwälte für das Einleiten des Prozesskostenhilfeverfahrens zu bezahlen sind und wie die Prozesskostenhilfe und Anrechnung der vorgerichtlich gezahlten Geschäftsgebühr § 45 RVG Nr. 3335 VV sind.

Hierzu kann die Stellungnahme vom 25.08.2008 des Kölner Rechtsanwaltsvereins -Ausschuss für RVG- als eine mögliche Antwort zitiert werde:

„Das PKH- Verfahren und das Verfahren für das PKH beantragt worden ist, bilden dieselbe Angelegenheit nach § 16 Ziff. 2 RVG. Zusammen mit dem Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe ist die Beiordnung zu beantragen und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie Belege beizufügen. Die Berechnung des einzusetzenden Einkommens ergibt sich aus § 115 ZPO.

Die Gebühren des RA verringern sich bei der Prozesskostenhilfe ab einem Gegenstandswert von 3.000 EUR nach der Tabelle § 49 RVG gegenüber der Tabelle § 13 RVG für den Wahlanwalt.

Die Verfahrensgebühr des PKH-Anwalts vermindert sich um die Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr (OLG Oldenburg Beschl. 27.5.2008 - 2 WF 81/08 RVGreport 2008,260 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH). Der PKH Anwalt ist nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht gehindert, trotz Bewilligung der PKH seine außergerichtlich entstandenen Gebühren geltend zu machen. Die Sperre gilt nicht für die Geschäftsgebühr. Die Anrechnung nach Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG von Vorschüssen und Zahlungen auf eine Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG ist im RVG nicht ausdrücklich geregelt. Die Anrechnung richtet sich weder nach § 58 Abs. 2 RVG noch nach Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG. Die PKH Verfahrensgebühr ist aus der Staatskasse ungekürzt zu erstatten, wenn der Betrag gleich hoch oder niedriger ist als die nach normaler Anrechnung verbleibende Verfahrensgebühr nach § 13 RVG für den Wahlanwalt (OLG Hamm 11.2.08 - 6 WF 332/06 RVG professionell 2008, 127). Erbringt der Mandant keine Zahlung auf die Geschäftgebühr, erfolgt auch keine Anrechnung.

Die Verfahrensgebühr für das vorausgehende Bewilligungsverfahren in Höhe von 1,0 Nr. 3335 VV entsteht mit dem Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe. Eine Erhöhung findet im Rechtsmittelverfahren nicht statt.

Die Terminsgebühr für das Bewilligungsverfahren entsteht in Höhe von 1,2 nach Vorb. 3.3.6 VV. Sie entsteht auch bei dem Abschluss eines Vergleichs ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss des Gerichts nach § 278 Absatz 6 ZPO.

Die Einigungsgebühr entsteht in Höhe von 1,0 Nr. 1003 VV.

Ein Vorschuss von der Staatskasse für die bereits entstandenen gerichtlichen Gebühren kann nach § 47 RVG verlangt werden. Der Antrag wird in der Regel schnell bearbeitet und ist nicht an ein Formular gebunden. Der Vorschuss erstreckt sich jedoch nur auf die bereits entstandenen Gebühren. Wenn ein Termin noch nicht statt gefunden hat, kann nur die Zahlung der Verfahrensgebühr verlangt werden.

Die Partei, der PKH bewilligt ist, wird von den eigenen Rechtsanwalts- und Gerichtskosten befreit. Sollte die PKH- Partei im Prozess unterliegen, muss sie die Kosten des Gegners selber tragen. Eine Erstattung durch die Staatskasse erfolgt nicht.

Das Gericht kann die PKH auch gegen Zahlung von Raten anordnen. Die betreffende Partei hat die angeordneten Ratenzahlungen an die Staatskasse zu entrichten, die auch für deren Einzug sorgt. Es sind höchstens 48 Monatsraten zu zahlen und zwar unabhängig von der Zahl der Rechtszüge. In einem solchen Fall ergibt sich für den beigeordneten RA unter Umständen eine weitere Vergütung als Wahlanwalt.

Diese wird gem. § 50 RVG gewährt, wenn die von der Staatskasse eingezogenen Raten

den Betrag übersteigen, der zur Deckung der in § 122 ZPO bezeichneten Kosten erforderlich ist. Einen solchen Antrag nach § 50 I RVG hat der beigeordnete RA gem. § 50 II RVG unverzüglich bei Gericht einzureichen. Auf jeden Fall ist auf die Fristsetzung nach § 55 VI RVG zu achten.

Reisekosten des auswärtigen PKH-Anwalts, sind grundsätzlich zu erstatten, wenn der RA unbeschränkt beigeordnet ist. Bei der Frage, ob die Beauftragung eines Unterbevollmächtigten kostengünstiger gewesen wäre als eine Reise des Hauptbevollmächtigten, ist von einer ex-ante-Betrachtung auszugehen (OLG Stuttgart 16.1.2008, 8 WF 172/07). Ohne ausdrückliche Beschränkung im Beiordnungsbeschluss fehlt es an einer Rechtsgrundlage für eine Kürzung der Terminsreiskosten, da § 46 Abs. 1 RVG nur darauf abstellt, ob die Auslagen erforderlich waren.

Beispiel 1: Prozesskostenhilfe, Bewilligung in Raten

RA vertritt seinen Mandanten als Kläger in einem Rechtsstreit über eine Forderung in Höhe von 8.000 EUR. Die Prozesskostenhilfe wird bewilligt mit einer monatlichen Rate in Höhe von 60 EUR. Die Klage wird abgewiesen.

1. Kosten des Wahlanwalts § 13 RVG Gebühr / Satz Gebührentatbestand VV Nr. Wert in EUR Betrag in EUR 1,3 Verfahrensgebühr 3100 8 000,00 535,60 1,2 Terminsgebühr 3104 8 000,00 494,40 Auslagenpauschale 7002 20,00

2. Kosten des PKH Anwalts § 49 RVG Gebühr / Satz Gebührentatbestand VV Nr. Wert in EUR Betrag in EUR 1,3 Verfahrensgebühr 3100 8 000,00 304,20 1,2 Terminsgebühr 3104 8 000,00 280,80 Auslagenpauschale 7002 20,00

Die Differenz zwischen PKH- und Wahlanwaltsvergütung beträgt 445,00 EUR. Reichen die Raten zur Deckung der angefallenen Gerichtskosten und gezahlten PKH- Anwaltskosten aus, erfolgt eine Auszahlung an den PKH- Anwalt bis zur Höhe der weiteren Vergütung von 445,00 EUR. Bei einer Rate von monatlich 60 EUR und einer Höchstlaufzeit von 48 Monaten ergibt sich ein Deckungsbetrag in Höhe von 2.880 €. Der RA kann deshalb nicht nur mit der Erstattung der PKH- Gebühren, sondern auch mit der Zahlung der Differenz zwischen den PKH- Gebühren und den Wahlanwaltsgebühren rechnen. Die Kosten des Beklagten-Vertreters hat der Kläger in voller Höhe selbst zu tragen. Er muss mit einem Kostenfestsetzungsbeschluss zu seinen Lasten rechnen und bei Nichtzahlung mit der Zwangsvollstreckung.

Beispiel 2: gerichtliches Verfahren, teilweise Bewilligung der PKH, Durchführung des Verfahrens in voller Höhe

RA erhält den Auftrag zur Klageerhebung mit dem Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe in Höhe eines Betrages von 10.000 EUR. Die PKH wird in Höhe von 6.000 EUR bewilligt. Über den weiteren Betrag von 4.000 EUR wird die PKH mangels Erfolgsaussichten abgelehnt. Der Rechtsstreit soll im Auftrag des Mandanten dennoch in voller Höhe durchgeführt werden. Es ergeht nach mündlicher Verhandlung ein klageabweisendes Urteil.

1. Abrechnung mit der Staatskasse Tabelle § 49 RVG Gebühr / Satz Gebührentatbestand VV Nr. Wert in EUR Betrag in EUR 1,3 Verfahrensgebühr 3100 6 000,00 292,50 1,2 Terminsgebühr 3104 6 000,00 270,00 Auslagenpauschale 7002 20,00

2. Abrechnung gegenüber dem Auftraggeber Tabelle § 13 RVG Gebühr / Satz Gebührentatbestand VV Nr. Wert in EUR Betrag in EUR 1,3 Verfahrensgebühr 3100 10 000,00 631,80 1,3 Verfahrensgebühr abzüglich 3100 6 000,00 - 439,40 1,2 Terminsgebühr 3104 10 000,00 583,20 1,2 Terminsgebühr abzüglich 3104 6 000,00 - 405,60

Beispiel 3 außergerichtliche Vertretung, keine Zahlung der Geschäftsgebühr, gerichtliches Verfahren mit Bewilligung PKH,

RA erhält den Auftrag zur außergerichtlichen Geltendmachung einer Forderung in Höhe von 560 €. Nach Ablehnung einer Zahlung durch den Gegner reicht RA einen Entwurf der Klageschrift AG ein und beantragt die Bewilligung der Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung. Nach Bewilligung wird Klage erhoben. Nach mündlicher Verhandlung wird die Klage abgewiesen.

1. außergerichtliche Tätigkeit Wahlanwaltsgebühren Tabelle § 13 RVG Gebühr / Satz Gebührentatbestand VV Nr. Wert in EUR Betrag in EUR 1,3 Geschäftsgebühr 2300 500,00 58,50 Auslagenpauschale 7002 11,70

2. gerichtliche Tätigkeit PKH Gebühren Tabelle § 49 RVG Gebühr / Satz Gebührentatbestand VV Nr. Wert in EUR Betrag in EUR 1,3 Verfahrensgebühr 3100 500,00 58,50 1,2 Terminsgebühr 3104 500,00 54,00 Auslagenpauschale 7002 22,50 0,65 Anrechnung Geschäftsgebühr Vorb.3 Abs. 4 aus Tabelle § 49 RVG 500,00 29,25

Nach den Entscheidungen des BGH vom 22.1.08 NJW 2008, 1323 und vom 30.4.2008 RVGreport 2008, 271 gilt die Anrechnung auch für PKH Gebühren. Einige Gerichte lehnen die Anrechnung zumindest dann ab, wenn der RA aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Mandanten die Geschäftsgebühr nicht erhält oder nicht geltend macht VG Berlin RVGreport 2008, 220).

Beispiel 3 außergerichtliche Vertretung, Zahlung der Geschäftsgebühr, gerichtliches Verfahren mit Bewilligung PKH,

RA P erhält den Auftrag zur außergerichtlichen Geltendmachung einer Forderung in Höhe von 3.500 €. RA P lässt sich für seine außergerichtliche Tätigkeit einen Vorschuss in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr mit Auslagen von seinem Mandanten zahlen. Die Zahlung der Hauptforderung lehnt der Gegner ab. Daraufhin wird Klage erhoben nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe. Nach mündlicher Verhandlung ergeht ein Urteil.

1. außergerichtliche Tätigkeit Wahlanwaltsgebühren Tabelle § 13 RVG Gebühr / Satz Gebührentatbestand VV Nr. Wert in EUR Betrag in EUR 1,3 Geschäftsgebühr 2300 3.500,00 282,10 Auslagenpauschale 7002 20,00

2. gerichtliche Tätigkeit Beiordnung PKH Gebühren Tabelle § 49 RVG Gebühr / Satz Gebührentatbestand VV Nr. Wert in EUR Vorspalte Betrag in Euro Betrag in EUR 1,3 Verfahrensgebühr 3100 3.500,00 253,50 1,2 Terminsgebühr 3104 3.500,00 234,00 Auslagenpauschale 7002 20,00 0,65 Anrechnung der Geschäftsgebühr. Die nach Anrechnung verbleibende Verfahrensgebühr des Wahlanwalt ist niedriger als Verfahrensgebühr PKH Vorb.3 Abs. 4 aus Tabelle § 13 RVG 3.500,00 141,05

Die Reisekosten des auswärtigen Prozessbevollmächtigten werden in der Regel nicht erstattet. Die Beiordnung erfolgt grundsätzlich zu den Bedingungen eines ortsansässigen RA. Diese gerichtliche Vorgehensweise stützt sich auf § 121 Abs. 3 ZPO. Danach kann ein nicht bei dem Prozessgericht zugelassener RA nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen. Mittlerweile kann der RA mit Zulassung bei einem Landgericht und Oberlandesgericht vor allen anderen Zivilgerichten ohne Beschränkung auftreten.

In der Rechtsprechung zeichnet sich deshalb eine Wende ab (BGH AGS 2004,384 mit Anmerkung von N. Schneider; OLG Hamm AGS 2005, 71). Danach soll die Beiordnung eines RA nicht mehr zu den Bedingungen eines Anwaltes mit Kanzleisitz am Gerichtsort erfolgen. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Tendenz durchsetzt. Als Praxistipp wird empfohlen, als beigeordneter RA vor Antritt der Reise bei dem Prozessgericht den Antrag auf Feststellung der Erforderlichkeit der Reise nach § 46 RVG zu stellen. Diese Feststellung ist für das spätere Festsetzungsverfahren gegenüber der Staatskasse bindend § 46 Abs. 2 S. 1 RVG."

Mit freundlichen Grüßen

Dr. phil. Dr. jur. Seyed Shahram Iranbomy

Rechtsanwalt

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