Qualitätssicherung in der medizinischen Begutachtung

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Interessenkonflikte sind der Feind der Objektivität eines Sachverständigen. Und nicht nur das, sie sind auch der Feind der hohen Reputation einer ganzen Wissenschaft.
Definiert ist ein solcher Konflikt durch das Spannungsfeld zwischen den primären Interessen von Ärzten und Wissenschaftlern, nämlich dem Wohlergehen der Patienten, bzw. einer Weiterentwicklung des medizinischen Wissens und den möglichen sekundären Interessen. Diese können materiell, sozial, beruflich oder intellektuell sein.

Mit Blick auf die Qualitätssicherung der medizinischen Begutachtung kann es jedoch nicht um die vollständige Beseitigung aller Interessenkonflikte gehen. Ein solches Ziel wäre weder realistisch noch sinnvoll, denn nicht alle Interessenkonflikte sind unvermeidbar und nicht alle sind per se schädlich. Beispielsweise ist medizinischer Fortschritt ohne Kooperation zwischen Wissenschaft und (Pharma-)Industrie schwerlich in dieser Form denkbar. Unpraktikabel wäre jedoch die Forderung, dass Mediziner nur isoliert für einen Bereich tätig sein sollen.

Es kann folglich nur um die Reduzierung der schädlichen Wirkung von Interessenkonflikten gehen. Ein nützliches Instrument wäre dabei die Offenlegung. Hierdurch würden gleich fünf positive Effekte erzielt:

  1. Die Feststellungen des Sachverständigen könnten im Lichte seiner Interessenkonflikte gesehen werden.
  2. Gerade die Abwesenheit von Interessenkonflikten könnte bekannt werden und Beachtung finden.
  3. Der Anreiz, (schädliche) Interessenkonflikte überhaupt erst entstehen zu lassen, könnte schwinden, da ja die Notwendigkeit von deren Benennung die eigene Unbefangenheit in Frage stellen würde.
  4. Die Transparenz trüge erheblich zu der Kredibilität des Gutachterwesens bei.
  5. Dies führte dazu, dass Objektivität und damit Qualität der Begutachtung durch die Verpflichtung zur Offenlegung tatsächlich ansteigen würden.

Bundesregierung plant Gesetzesänderung

Im Lichte dieser positiven Effekte erscheint es umso erfreulicher, dass die Bundesregierung eine Gesetzesänderung plant, die noch in dieser Legislaturperiode Realität werden soll.
Schon 2010 forderte eine Petition die nun beabsichtigte Änderung des § 404 ZPO (Zivilprozessordnung), der die schriftliche Begutachtung regelt. Die Petition verlangt, “dass der Sachverständige alle Gründe und Beziehungen zu benennen hat, aus denen er ein Interesse an dem Ausgang des Verfahrens haben könnte.”
Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 16.12.2013 ist unter dem Stichwort “Moderne Justiz” das Ziel wie folgt formuliert: “(…) Wir wollen außerdem die Neutralität gerichtlich beigezogener Sachverständiger gewährleisten und in Zusammenhang mit den Berufsverbänden die Qualität von Gutachten (…) verbessern.”
Eine Anfrage beim zuständigen Referat RA2 des BMJ (Bundesministerium der Justiz) hat ergeben, dass noch im Sommer 2014, ein Eckpunktepapier erstellt werden soll.

Bisherige Regelung zur Offenlegung nicht konkret genug

Die Notwendigkeit der Gesetzesänderung ergibt sich insbesondere daraus, dass die bisherige Regelung zur Offenlegung nicht konkret und weitgehend genug ist, und dass die gegenwärtige bundesrepublikanische Rechtspraxis nicht einheitlich gehandhabt wird. In der ZPO vorgeschrieben, damit obligat und auch Praxis bei jeder gerichtlichen Gutachterbefragung, sind die Ermahnung zur Wahrheitspflicht und die Auskunft, ob der Sachverständige mit den Parteien des Rechtsstreits verwandt oder verschwägert ist. Darüber hinausgehende Fragen nach beruflicher oder privater Nähe des Sachverständigen oder nach möglichen Interessenkonflikten kommen von gerichtlicher Seite allenfalls in seltenen Ausnahmefällen vor. Nach Quelle, Höhe und Zeitpunkt bezogener Zahlungen, die der Sachverständige beispielsweise im Rahmen seiner Gutachtertätigkeit erhalten hat, wird von gerichtlicher Seite nicht gefragt. Muss nun aber eine der Prozessparteien diese bedeutsamen Fragen stellen, so könnte hierdurch eine vermeidbare Front zwischen dem Sachverständigen und der Partei entstehen. Die Offenlegungspflicht würde dieses Problem beseitigen, Klarheit schaffen und den Umgang mit Interessenkonflikten vereinheitlichen.

Die geplante Gesetzesänderung betrifft gegenwärtig ausschließlich die Offenlegungspflicht im Gerichtsverfahren. Eine vorprozessuale Offenlegungspflicht wäre ebenfalls wünschenswert. Denn es ist beispielsweise davon auszugehen, dass die Objektivität eines festangestellten Versicherungsgutachters höher ist, als diejenige eines extern beauftragten. Denn die Folgeaufträge des Erstgenannten sind gesichert, diejenigen des Zweitgenannten könnten von dem Inhalt des Gutachtens abhängen. Die Information, ob der Sachverständige festangestellt oder extern beauftragt ist, kann demnach interessant sein.

Interessenkonflikt führt zu Ablehnung von Sachverständigen durch das Gericht

Wozu ein Interessenkonflikt führen kann und wie resolut gerichtliches Vorgehen bei einem (schädlichen) Interessenkonflikt sein kann, zeigt das folgende Beispiel: Das Landgericht Kiel lehnte in einer gerichtlichen Verfügung ein konkretes, bundesweit tätiges Gutachterbüro von vornherein mit folgendem Wortlaut ab: “(…) Bereits jetzt wird aber darauf hingewiesen, dass das Gericht keine Entscheidung treffen wird, die auf einem Gutachten von Prof. Castro oder Dr. Domes vom Orthopädischen Forschungsinstitut Hamburg beruht, weil deren Feststellungen in anderen Prozessen des Gerichts mit den tatsächlichen Gegebenheiten und den Feststellungen anderer Ärzte bzw. eines neutralen Gutachters nicht in Einklang zu bringen waren und dabei jeweils zum Nachteil des Geschädigten und zum Vorteil der in Anspruch genommenen Versicherung ausfielen (Gerling Versicherungskonzern, AXA Versicherung); das Gericht ist dabei in seiner abweichenden Beweiswürdigung durch das OLG (Oberlandesgericht) Schleswig bestätigt worden. Die Begutachtung wird deshalb durch einen wirklich unabhängigen Sachverständigen zu wiederholen sein.”

Eine derart scharfe Reaktion durch ein Gericht erfolgt nur auf der Grundlage solider Kritik und nur bei erheblichen Zweifeln an der Objektivität eines Gutachterbüros. Dies gilt umso mehr, da die Ablehnung der Sachverständigen durch das Gericht nicht lediglich im Einzelfall erfolgt ist, sondern offenbar grundsätzlich. Informierte Rechtsanwälte von Anspruchsstellern werden und können nun das Gutachterbüro ebenfalls ablehnen.

Positiver Beitrag der Offenlegungspflicht

Die Offenlegungspflicht würde dazu beitragen, zukünftig solche Beispiele zu vermeiden. Denn wenn das konkrete Gutachterbüro beispielsweise verpflichtet wäre, Quelle, Höhe und Zeitpunkt der Einnahmen aus Gutachtertätigkeit zu benennen, so ließen sich eventuelle wirtschaftliche Abhängigkeiten nicht mehr verbergen. In dem Maße jedoch, in dem die wirtschaftliche Abhängigkeit zunimmt, nimmt die Objektivität ab. Ein Mangel an Objektivität, der nicht mehr verborgen werden kann, reduziert den Wert des Gutachtens bis hin – im Extremfall – zu seiner Unverwertbarkeit. Durch diese Zusammenhänge entstünde für den Auftraggeber die Motivation, seine Aufträge an verschiedene Sachverständige zu streuen und für den Sachverständigen die, sich nicht an einen Auftraggeber zu binden. Eine gerichtliche Verfügung, wie die des LG Kiel könnte vermeidbar werden und die Qualität der Begutachtung nähme zu.

Besonders deutlich wird der gesetzgeberische Handlungsbedarf bei den alarmierenden Zahlen, die eine aktuelle Befragung von 583 Gutachtern im Rahmen einer bayrischen Promotion zu Tage gefördert hat: 22,6 % der Befragten erzielen über 50 % ihrer Einnahmen aus Gutachtertätigkeiten. 23,3 % gaben an, ihnen sei bereits einmal eine Tendenz von einem Gericht signalisiert worden und 31,8 % gaben an, im Kollegenkreis schon einmal von einer solchen Tendenz gehört zu haben. Die Frage, ob die Gutachter der gewünschten Tendenz gefolgt sind, bleibt offen. Bei wiederholter Beauftragung derselben Sachverständigen ließen sich jedoch Rückschlüsse ziehen.

Die Sachverhalte hinter diesen Zahlen müssten bei jeder Begutachtung und von vornherein durch die Offenlegung transparent werden und nicht erst durch eine wissenschaftliche Untersuchung. Hierdurch ließe sich sowohl der Anreiz, Tendenzen zu geben als auch der, Tendenzen zu folgen reduzieren.

Die Eingangsfragen sind demnach wie folgt zu beantworten: Durch die Verpflichtung zur Offenlegung wäre die Wirkung von schädlichen Interessenkonflikten und damit der Feind der Objektivität wirksam einzudämmen.

Realistisch ist mit einer darauf zielenden Gesetzesänderung noch in dieser Legislaturperiode zu rechnen.

Malte Oehlschläger, Fachanwalt für Medizinrecht


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