Riester-Rente: Rentenfaktor-Kürzung gemäß LG Köln rechtswidrig

  • 8 Minuten Lesezeit

Die 26. Zivilkammer des LG Köln verkündete ein bahnbrechendes Urteil zugunsten der Verbraucher: Die Zurich Deutscher Herold Lebensversicherung ist nicht dazu befugt, eine bereits vereinbarte Riester-Rente im Nachhinein zu kürzen (LG Köln, 08.02.2023, Az. 26 O 12/22).

Mit diesem Urteil stärkt das LG Köln die Rechte der Verbraucher. Einige Versicherungen haben nämlich bereits eine nachträgliche Kürzung der Rente zulasten ihrer Kunden vorgenommen.

Als Gründe für diese drastische Vorgehensweise geben die Versicherer die derzeitige Niedrigzinsphase sowie eine höhere Lebenserwartung an. Nach dem Urteil ist eine Übertragung negativer Auswirkungen der Marktentwicklung auf die Versicherten unzulässig.


Folgender Fall lag dem LG Köln zur Entscheidung vor

Ein Riester-Kunde aus Köln erhielt 2017 von der Zurich Lebensversicherung den Bescheid zur Kürzung seiner Rente. Folglich beschloss er, juristisch dagegen vorzugehen.

Ab Beginn der Rente sollte der Sparer monatlich 37 € Rente pro 10.000 € Sparkapital erhalten. Allerdings reduzierte die Zurich diese vertraglich vereinbarte, garantierte Rente des Riester-Vertrags einseitig. Statt 37 € sollte der Kunde nur noch 28 € erhalten. Das ist nahezu ein Viertel weniger.

Die Zurich rechtfertigte diese Vorgehensweise, indem sie sich auf eine Klausel der vertraglichen Bedingungen berief:

Bereits bei Vertragsschluss nennen wir Ihnen die Monatsrente je 10.000 EUR Vertragsguthaben zum Ende der Ansparphase. […] Wenn sich die Lebenserwartung unerwartet stark erhöht bzw. die Rendite der Kapitalanlagen nicht nur vorübergehend absinkt und dadurch die langfristige Erfüllbarkeit einer lebenslangen Rentenzahlung nicht mehr sichergestellt ist, sind wir berechtigt, Ihre Monatsrente je 10.000 EUR Vertragsguthaben so weit herabzusetzen, wie dies erforderlich ist, um diese langfristige Erfüllbarkeit zu gewährleisten. […]“

Die Zurich behält sich das Recht vor, die Renten der Kunden in folgenden Fällen einseitig zu kürzen:

  • Verschlechterung und folglich negative Entwicklung der Marktsituation
  • Weiterer Anstieg der Lebenserwartung


Voraussetzungen, um die Rentenzahlungen zu senken:

  • Die langfristige Erfüllbarkeit ist ernsthaft in Gefahr
  • Bestätigung eines unabhängigen Treuhänders


Das Urteil des LG Köln

Das LG Köln hält die dargestellte Klausel der Zurich-Versicherung für rechtswidrig. Der Grund: Die Regelung benachteiligt die Kunden auf eine unangemessene Art und Weise, weil sie eine schlechte Marktsituation auf die Versicherten überträgt.

Außerdem besagt diese Klausel, dass nur eine Absenkung und somit eine Angleichung nach unten möglich ist. Das heißt: Entwickelt sich der Markt positiv, ist dennoch keine Anpassung des Rentenfaktors nach oben, also zugunsten des Versicherten, vorgesehen. Deswegen sind die Richter der Ansicht, dass es sich hierbei um eine Benachteiligung des Kunden handelt.

Die Basis aller Verträge ist das Gleichwertigkeits-Verhältnis zwischen der erbrachten Leistung sowie der erhaltenen Gegenleistung. Das ist auch im vorliegenden Versicherungs-Vertrag rechtlich bindend.

Liegt eine Störung dieser Äquivalenz vor, darf das keinesfalls ausschließlich eine Vertragspartei belasten. Im vorliegenden Fall liegt die Belastung nämlich nur beim Versicherungs-Nehmer. Das Austauschverhältnis der Leistung sowie Gegenleistung hat gewahrt zu werden. Deshalb erscheint an der Stelle auch die Höherstufung des Rentenfaktors möglich.

Auch bei einer positiven Entwicklung der Rendite profitiert der Versicherte nicht in vollem Umfang von den Überschüssen. Denn die Versicherung, im vorliegenden Fall die Zurich, behält davon einen Teil, bevor die Auszahlung an den Kunden erfolgt. 

Demzufolge findet auch hier ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip statt. Der Versicherte hat hier nämlich keine Chance, von den positiven Entwicklungen seiner Rendite in vollem Umfang zu profitieren. Allerdings wälzt die Versicherung negative Entwicklungen uneingeschränkt auf den Kunden ab.

Die Zurich berief sich in den vertraglichen Bedingungen auf § 163 Versicherungs-Vertrags-Gesetz (VGG). Eine Rechtsgrundlage für die Kürzung der Rente stellt dies allerdings nicht dar. Die Richter bestätigten: Erzielt die Versicherung geringere Kapitalerträge als die ursprüngliche Berechnung des Rechnungszinses vorhersagt, ist hier keine Anpassung gemäß § 163 VVG vorgesehen.

Das LG Köln stärkt mit dem Urteil vollumfänglich die Verbraucherrechte. Legt die Zurich Deutscher Herold Lebensversicherung Berufung gegen dieses Urteil ein? Das bleibt weiterhin abzuwarten. Ist das der Fall, geht dieser Rechtsstreit in die nächsthöhere Instanz. Dann findet eine Verhandlung vor dem Oberlandesgericht statt.


Welche Auswirkungen hat dieser Fall für Riester-Sparer?

Das Urteil schafft Klarheit bei Riester-Sparern. Schließlich war bisher nicht ersichtlich, inwieweit eine einseitige Anpassung des Rentenfaktors durch die Versicherungen erlaubt ist, wenn die Gewinne der Kapital-Anlagen niedriger als gedacht ausfallen.

Viele Riester-Kunden, nicht nur die der Zurich, sind wegen der undurchsichtigen Marktsituation ebenfalls von Rentenkürzungen betroffen. Dabei beziehen sich die Renten-Versicherungen auf ähnliche Klauseln.

Hat auch Ihre Riester-Versicherung eine Rentenkürzung vorgenommen? Bewahren Sie die Dokumente sowie das Schreiben bezüglich der Kürzung sorgfältig auf. Damit Sie Ihre Rente vollumfänglich, wie ursprünglich vertraglich vereinbart, erhalten, ist die Hilfe eines Experten zu empfehlen. Dafür stehen Ihnen mein Team in Sachen Verbraucherrechte und ich zur Verfügung. Wir prüfen für Sie kostenfrei und unverbindlich Ihre Versicherungs-Unterlagen.


Welche Bedeutung hat der Rentenfaktor für Versicherte?

Ausnahmslos alle Renten-Versicherungen hängen mit dem Rentenfaktor zusammen. Der Rentenfaktor gibt die Höhe der monatlichen Rente je 10.000 € Sparvermögen an.

Beträgt das Ersparte am Ende der Vertragslaufzeit 100.000 €, erhält der Versicherte beim Rentenfaktor 30 eine monatliche Rente von 300 €. Wenn aber der Versicherer diesen Rentenfaktor auf 20 reduziert, beträgt die Monatsrente nur noch 200 € im Monat. Der Sparer bekommt hier also 100 € Monatsrente weniger, obwohl in beiden Fällen 100.000 € Sparkapital vorhanden sind.

Hier stellt sich die Frage, welches Alter der Versicherte erreichen muss, um die angesparten 100.000 € vollständig zu erhalten:

  • Rentenfaktor 30: 94,8 Lebensjahre
  • Rentenfaktor 20: 108,7 Lebensjahre

Der Versicherte muss also weit über 100 Jahre alt werden, um über sein angespartes Geld vollständig zu verfügen.


Was ist der Unterschied zwischen aktuellem und garantiertem Rentenfaktor?

Die Renten-Versicherung gibt stets den aktuellen und garantierten Rentenfaktor an. Doch was ist der Unterschied?

  • Aktueller Rentenfaktor: Wert der zukünftigen Rente zum aktuellen Zeitpunkt. Der Wert ist höher als der des garantierten Rentenfaktors.
  • Garantierter Rentenfaktor: Wert der Mindestrente. Diesen Rentenbetrag zahlt die Versicherung auf jeden Fall aus. Der Wert ist niedriger als der des aktuellen Rentenfaktors. Er beschreibt die Untergrenze der Rentenberechnung.

Versicherungen machen sich eine Klausel zunutze, mit der sie sich vertraglich vorbehalten, den angeblich garantierten Rentenfaktor im Nachhinein zu ändern. Die AGBs in älteren Verträgen beinhalten Treuhänderklauseln.

Die Versicherungen beziehen sich in neueren Verträgen auf die Gesetzes-Grundlage des § 163 VVG. Das bedeutet, dass auch der garantierte Rentenfaktor keine reale Garantie ist, auf die sich der Sparer verlassen kann. Deswegen schützt das LG Köln in seinem Urteil die Riester-Sparer: Gibt der Versicherungsschein nicht ausdrücklich an, dass es sich beim Rentenfaktor um den aktuellen handelt, ist er als garantiert zu betrachten.


LG Köln: Die Niedrigzinsphase ist keine Rechtfertigung zur Senkung des Rentenfaktors

Es gibt bestimmte Situationen, die es der Versicherung aufgrund der Treuhänderklausel ermöglichen, den Rentenfaktor zu senken. Die Niedrigzinsphase gehört aber nicht zu diesem zulässigen Umstand, der die Senkung der Rente rechtfertigt. Das macht das LG Köln deutlich.

Es ist daher verboten, schlechte Renditen auf die Verbraucher abzuwälzen. Dafür sind die Versicherungen verantwortlich. Und dennoch verringerten diese den Rentenfaktor wegen eben dieser Niedrigzinsphase. Durch das Urteil des LG Köln sind weitreichende Folgen zugunsten der Verbraucher zu erwarten.


Warnsignale für den Verbraucherschutz: § 163 VVG sowie unwirksame AGB bei Riester-Renten

Die Thematik Riester-Rentenkürzung wegen niedriger Zinsen wird am Kapitalmarkt heiß diskutiert. Das neue Urteil des LG Köln gibt für tausende betroffene Versicherte Anlass zur Hoffnung. Schließlich entschied das LG Köln: Versicherungen ist es untersagt, die ursprünglich vertraglich vereinbarte Rente zu kürzen, falls sie niedrigere Renditen als bei der Festlegung des Rechnungszinses erwirtschaften.

Das Urteil basiert auf § 163 VVG. Diese Vertragsregelung ist unwirksam. Versicherte haben nun juristisch beste Chancen, die Rentenkürzung zu verhindern. Das Urteil hat daher bahnbrechende Auswirkungen.

Schließlich nutzen neben der Zurich auch andere Renten-Versicherungen ähnliche Klauseln. Allerdings enthalten diese keine Angaben über die Voraussetzungen bezüglich der Erhöhung des Rentenfaktors.

Bei Äquivalenz-Störungen dürfen Anpassungsklauseln nicht ausschließlich zulasten der Versicherten gehen. Das Äquivalenz-Verhältnis in Verträgen bezüglich Leistung und Gegenleistung hat beidseitig gewahrt zu werden.


Was ist ein Äquivalenzprinzip?

Das Äquivalenzprinzip ist ein Begriff aus der Versicherungs-Wirtschaft. Es besagt: Die Beiträge der Versicherten haben in einem adäquaten Verhältnis zu Leistungen und Risiken zu stehen, die die Renten-Versicherung abdeckt.

Mit anderen Worten: Es hat gewährleistet zu sein, dass der Versicherte nur so viel bezahlt, wie es zur Abdeckung der Risiken und Leistungserbringung notwendig ist. Dadurch ist sichergestellt, dass sowohl Leistung als auch Gegenleistung gleichwertig sind. Das Äquivalenzprinzip wird daher auch Gleichwertigkeits-Prinzip genannt.

Dieser Grundsatz sorgt dafür, dass die Verbraucher für ihre Versicherung nicht zu viel bezahlen, und die Versicherungen keinen unangemessenen Profit daraus schlagen. Für die Berechnung der Leistungen und Prämien ist dies ein wichtiger Grundsatz. So soll ein gerechtes Verhältnis zwischen Versicherung und Kunde herrschen.

Außerdem verletzt solch eine Klausel die Transparenz-Vorgaben des § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB. Dadurch ist die Klausel unwirksam. Schließlich enthält diese keine spiegelbildliche Verpflichtung bezüglich der Weitergabe von Kosten-Minderungen. Dadurch liegt eine unangemessene Benachteiligung vor.

Wann sind AGB nach § 307 BGB unwirksam?

Nach § 307 Abs. 1 BGB sind jene AGB unzulässig, die Vertragspartner entgegen der Prinzipien von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen – sei es formal oder inhaltlich. Womöglich argumentiert die Versicherung, etwaige Ansprüche seien verwirkt, wenn der Kunde zu spät auf die künftige Rentenkürzung  reagiert. Daher gilt:

  • Versicherte haben die Schreiben bezüglich der Rentenkürzung sorgfältig aufzubewahren.
  • Es ist bei der Versicherung ein Widerspruch gegen die Rentenkürzung einzulegen.

Für den Verbraucherschutz ist daher das Urteil des LG Köln ein bedeutendes Signal für Riester-Renten. Verbraucher haben dadurch ein starkes rechtliches Fundament. So ist es möglich, gegen die einseitigen Rentenkürzungen der Versicherungen vorzugehen.


Die Versicherung hat auch Ihren Rentenfaktor gesenkt? Diese Möglichkeiten haben Sie: 

Ihre Versicherung hat Ihnen die Senkung des Rentenfaktors mitgeteilt? Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Prüfen Sie Vertrag und Begründung für die Reduzierung genau. Rentenverträge und deren Klauseln sind nämlich sehr unterschiedlich ausgestaltet.

Senkt Ihre Versicherung den Rentenfaktor, weil sie am Kapitalmarkt aufgrund der derzeitigen Niedrigzinsphase geringere Erträge erzielte? Sie haben die Möglichkeit, juristisch dagegen vorzugehen. Genau dafür ebnete das LG Köln den Weg.

Schicken Sie Ihrer Versicherung ein formloses Schreiben. Darin widersprechen Sie der Senkung des Rentenfaktors. Ihre Versicherung muss Ihren Widerspruch allerdings nicht annehmen. Sie hat die Möglichkeit, die Anpassung zu verweigern. In diesem Fall stehen Ihnen folgende Kontakt-Möglichkeiten offen:

  • Ombudsmann der Versicherung
  • Anwalt für Verbraucherschutz


Wir helfen Ihnen bei Ihrer Rentenfaktor-Kürzung!

Wir bieten Ihnen eine kostenfreie und unverbindliche Prüfung Ihrer Versicherungs-Unterlagen an. Mit Ihnen gemeinsam besprechen wir Ihre Erfolgschancen sowie die weiteren rechtlichen Schritte. Wenden Sie sich jederzeit telefonisch oder schriftlich an mich und mein Experten-Team der Kanzlei Wawra & Gaibler:

Foto(s): stock.adobe.com/111580942

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. Florian Gaibler

Beiträge zum Thema