Riss der Supraspinatussehne durch erhöhte Kraftanstrengung

  • 4 Minuten Lesezeit

Riss der Supraspinatussehne durch erhöhte Kraftanstrenung- Versicherungsschutz in der privaten Unfallversicherung?


Ein Riss der Supraspinatussehne ist oft Streitpunkt zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer einer privaten Unfallversicherung. Es stellt sich die Frage, ob Versicherungsschutz für eine solche Gesundheitsschädigung auch dann besteht, wenn der Riss nicht durch einen Unfall, also durch ein von außen einwirkendes Ereignis, sondern durch eine erhöhte Kraftanstrengung entstanden ist. Weiter fragt sich, wie sich eine Vorschädigung an der betroffenen Stelle auf die Versicherungsleistung auswirkt.


Was versteht man unter einem Riss der Supraspinatussehne?


Die Supraspinatussehnenruptur ist eine Verletzung der Schulter, die mit Funktionseinschränkungen der Schulter einhergeht.


Die Supraspinatussehne gehört zu der Rotatorenmanschette, welche die Schulter mit dem Oberarm verbindet. Bei einer Supraspinatussehnenruptur handelt es sich um den Riss der Sehne des Supraspinatusmuskels als Teil der Rotatorenmanschette. Diese dient der muskulären Sicherung des Schultergelenks, wobei die Supraspinatussehne den Kopf des Oberarms flächig umkreist. Der Verlauf dieser Sehne zwischen dem knöchernen Schulterdach (Akromion) und dem Oberarmknochen prädestiniert die Supraspinatussehne für Gewebeschädigungen. Diese sind aufgrund allgemeiner Belastungen im Laufe der Zeit häufig schleichend im Sinne einer langsam voranschreitenden Verschleißerscheinung und dieser Verschleiß bleibt auch oft unbemerkt.


Ein Riss der Supraspinatussehne kann durch verschiedene Faktoren begünstitgt werden, insbesondere durch besondere Verschleißerscheinungen, Verkalkung der Sehne (Kalkschulter), knöcherne Einengung der Sehne unter dem Schulterdach (Impingementsyndrom) sowie durch ein Unfallereignis.


Zur Diagnostik ist ein MRT der Schulter sinnvoll, da hier insbesondere die Abgrenzung zu anderen Verletzungsarten gesichert werden kann.


Riss durch erhöhte Kraftanstrengung 


Die Supraspinatussehne kann durch ein von außen einwirkendes traumatisches Ereignis,also einen Unfall, verletzt und dadurch bedingt gerissen werden. Aber auch eine – hier interessierende – sogenannte erhöhte Kraftanstrengung kann zu einem Riss der Sehne führen.


Im letzteren Fall stellt sich die Frage, ob ein solches Ereignis in der privaten Unfallversicherung mitversichert ist.


Unfallfiktion und Ruptur der Supraspinatussehne


Die Versicherungsbedingungen – in der Regel Ziff. 1.4. AUB – erweitern den Unfallbegriff dahingehend, dass bestimmte, im Einzelnen aufgeführte Gesundheitsschäden infolge erhöhter Kraftanstrengung in den Versicherungsschutz einbezogen werden.


Regelmäßig wird dies wie folgt definiert:


„Als Unfall gilt auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerissen werden.“


An dieser Stelle ist zunächst zu klären, was unter „erhöhter Kraftanstrengung“ zu verstehen ist. Eine solche Kraftanstrengung setzt nach allgemeinem Sprachgebrauch den Einsatz von Muskelkraft voraus. Zur Vermeidung eines ausurfernden Versicherungsschutzes lösen nur erhöhte Kraftanstrengungen den Versicherungsfall aus, nicht aber Handlungen des täglichen Lebens, die keinen bemerkenswerten Krafteinsatz erfordern. Nicht erfasst sind erkennbar normale körperliche Bewegungen oder Tätigkeiten des täglichen Lebens, die zwar einen gewissen Muskeleinsatz, aber nach allgemeiner Lebenserfahrung keine bemerkenswerte Anstrengung erfordern, wie z. B. Gehen, Laufen, Aufstehen, Hocken oder Bücken, vgl. BGH, AZ. IV ZR 159/18.


Fällt der auf erhöhte Kraftanstrengung beruhende Riss unter den Versicherungsschutz? 


Diese Frage hatte der Bundesgerichtshof zu klären. In dem dort zu entscheidenden Fall erlitt der Versicherte durch das Anheben eines ca. 20 kg schweren Farbeimers einen Riss der Supraspinatussehne der rechten Schulter. Ein von der Versicherung beauftragte Gutachter kam zu dem Ergebnis, die Mitwirkung unfallfremder Erkrankungen – der Versicherte hatte vor längerer Zeit eine Schultereckgelenkssprengung erlitten – betrage 100 %, woraufhin der Versicherer Leistungen ablehnte.


In seiner Entscheidung vom 14.05.2020 stellte der BGH zunächst fest, dass das Anheben des Eimers eine erhöhte Krafanstrengung im Sinne der Bedingungen war.


Bei dem Riss der Supraspinatussehne handle es sich um eine Verletzung an Gliedmaßen im Sinne von Ziff. 1.4. AUB, sodass Versicherungsschutz bestand. Diese Frage war zuvor von den Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet worden und wurde nunmehr von dem Bundesgerichtshof geklärt. Die Klausel – so der BGH – erfordere keine Verletzung der Gliedmaße selbst, sondern eine Verletzung an Gliedmaßen. Dies sei so zu verstehen, dass auch solche Körperteile erfasst werden sollen, die sowohl mit Gliedmaßen als auch mit dem Rumpf verbunden sind. Hierzu zähle auch die Supraspinatussehne, die als Teil der Rotatorenmanschette den Oberarm mit Schulter und Rumpf verbindet.


Infolgedessen bleibt als Fazit festzuhalten, dass im Falle einer erhöhten Kraftanstrengung im Sinne der Bedingungen und einem dadurch bedingten Riss der Supraspinatussehne Versicherungsschutz besteht.


Wie verhält es sich bei einer Vorerkrankung? 


Gem. den Versicherungsbedingungen mindert sich die Invaliditätsentschädigung, wenn Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Foglen mitgewirkt haben. In der Regel muss bedingungsgemäß dieser Mitwirkungsanteil mehr als 25 % betragen.


Wie oben aufgezeigt, ist die Schulter bzw. die Rotatorenmanschette – individuell abhängig – stark belastet und unterliegt insoweit auch einem Verschleiß.


Infolgedessen ist auch bei einem sogenannten stummen Verlauf, also nicht bemerkten Verschleißerscheinungen, in der Regel eine mitursächliche Vorschädigung anzunehmen, deren Ausmaß selbstverständlich im konkreten Einzelfall von einem Sachverständigen zu bewerten ist. Stellt dieser eine unfallfremde Krankheit oder ein unfallfremdes Gebrechen fest und kann er dieses auch taxieren, so führt dies zu einer Kürzung des Anspruchs. Unbereücksichtigt bleiben hier jedoch Abnutzungserscheinungen, die nicht über die alterstypischen Degenerationen hinausgehen. In dem vorzitierten Fall des BGH hatte der Gutachter eine mitursächliche Vorschädigung von 90 % angenommen.


Einer vereinzelt vertretenen Auffassung, Vorschäden an Sehnen müssten generell unberücksichtigt bleiben, weil gesunde Sehnen allein aufgrund gesteigerter Kraftentfaltung nicht dauerhaft geschädigt werden könnten, mithin eine Vorschädigung der Invalidität immanent sei, ist der Bundesgerichtshof in der Entscheidung entgegengetreten.


Fazit


Als Fazit bleibt festzuhalten, dass auch bei erhöhter Kraftanstrengung im Einzelfall der Riss der Supraspinatussehne dem Versicherungsschutz unterfällt, wobei die Mitwirkung vorbestehender Erkrankungen bei der Geltendmachung der Invaliditätsentschädigung zu prüfen ist. Hier ist aufgrund der Komplexität anwaltliche, aber auch fachmedizinische Unterstützung geboten.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. Markus Otto

Beiträge zum Thema