Rücktritt vom Versuch des Totschlags - fehlgeschlagener Versuch / Rücktrittshorizont

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Nach den Anforderungen des Bundesgerichtshofs haben sich die erstinstanzlichen Landgerichte bei einer versuchten Tat genau mit den Umständen der Tat und der Vorstellung des Täters auseinanderzusetzen.

Der Verfasser, der seit zehn Jahren bundesweit Strafverteidigungen vor den Strafgerichten bis zum Bundesgerichtshof führt, ist aus eigener Erfahrung bekannt, dass in erster Instanz häufig durch den Eindruck anwesender Opfer oder der Presse unzureichende Feststellungen entlastender Tatumstände getroffen werden. Eine Verteidigung sollte bereits im Vorfeld der Verhandlung eigenständig recherchieren. Die Korrektur eines solchen Urteils im Wege der Revision ist nämlich auf wenige Ausnahmefälle beschränkt.

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 2. März 2011 (2 StR 674/10) ein Urteil des Landgerichts Darmstadt aufgehoben, welches den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Schusswaffe zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt hatte. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte hatte mit einer Bekannten eine Diskothek besucht. Dort kam es zu einem Streit zwischen der Bekannten des Angeklagten und einer anderen Besucherin, der von Türstehern beendet wurde. Als der Angeklagte kurz darauf die Diskothek mit seiner Begleiterin verließ, begegnete diese in unmittelbarer Nähe ihrer vorherigen Kontrahentin und begann mit ihr eine erneute, nunmehr auch tätliche Auseinandersetzung. Es entstand ein heftiges Gerangel. Da der Angeklagte schnell bemerkte, dass der Geschädigte ihm körperlich überlegen war, löste er sich aus der Rangelei und zog eine Pistole hervor. Es handelte sich um eine ursprüngliche Schreckschuss- und Reizstoff-Waffe, die nachträglich umgebaut und dadurch scharf gemacht worden war. Die Pistole war mit drei Patronen des Kalibers 6,35 mm geladen. Der Angeklagte lud die Pistole mehrfach durch und zielte auf den Oberkörper des Geschädigten, der in einer Gruppe mehrerer Männer ein bis zwei Meter von ihm entfernt stand. Er drückte zweimal mit bedingtem Tötungsvorsatz ab. Ein Schuss löste sich dabei jedoch nicht. Nachdem beide Kontrahenten zwischenzeitlich zu Boden gegangen waren, zielte der Angeklagte während des Kampfes in Richtung des Kopfes des Geschädigten. Um den Geschädigten endgültig kampfunfähig zu machen betätigte der Angeklagte mit direktem Tötungsvorsatz erneut zweimal den Abzugshebel der Pistole, wiederum ohne dass sich ein Schuss löste. Die Waffe war zwar, als sich der Schuss löste, immer noch in Richtung auf den Kopf des Geschädigten gerichtet, verfehlte ihn jedoch. Nachdem sich der Schuss gelöst hatte, stand der Angeklagte wieder auf und zielte nun mit seiner Pistole in Richtung der vor ihm befindlichen Menschengruppe, von der er sich langsam rückwärtsgehend entfernte. Zwei zufälligerweise in Tatortnähe befindliche Polizeibeamte näherten sich mit auf den Angeklagten gerichteter Dienstwaffe dem Geschehen. Der Aufforderung eines der Beamten, seine Waffe wegzulegen, kam der Angeklagte nach."

Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch eines Tötungsdelikts nach Ansicht des 2. Senats des Bundesgerichtshofs zu Unrecht verneint. Ein Rücktritt vom (unbeendeten) Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB setzt nämlich voraus, dass der Versuch nicht fehlgeschlagen ist. Fehlgeschlagen ist ein Versuch nach ständiger Rechtsprechung, wenn der Taterfolg aus der Sicht des Täters mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreicht werden kann, ohne dass eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt wird. Zu der nach dem 2. Senat maßgeblichen Frage, ob der Angeklagte, bevor er das Einschreiten des Polizeibeamten wahrnahm, glaubte, den Geschädigten mit seiner Pistole noch töten zu können, hatte das Landgericht - zu Unrecht - keine Feststellungen getroffen.


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