Rücktritt vor Reisewarnung, müssen Stornokosten gezahlt werden, auch wenn der Reiseveranstalter die Reise später absagt?

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Mit Urteil vom 26. März 2021 hat das Amtsgericht München entschieden, dass der Reiseveranstalter keine Stornokosten erheben kann, auch wenn der Rücktritt bereits vor der Reisewarnung erklärt und dann später die Reise vom Reiseveranstalter selbst abgesagt wird.

Was war geschehen?

Im Januar 2020 schloss der Kläger für sich und zwei weitere Personen einen Pauschalreisevertrag über eine Kreuzfahrt, die am 5. April 2020 beginnen und eine Woche dauern sollte. Wegen der unüberschaubaren Entwicklung der Corona-Pandemie hat der Reisende am 3. März 2020, d. h. vor der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland den Rücktritt vom Pauschalreisevertrag erklärt und die Rückzahlung der geleisteten Anzahlung gefordert. Die Besonderheit in diesem Fall liegt darin, dass der Reiseveranstalter vor geplanter Durchführung der Kreuzfahrt diese selbst abgesagt hat.

Der Reiseveranstalter hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung die Reisewarnung für das Zielgebiet nicht galt, denn diese wurde erst am 17. März 2020 veröffentlicht. Im Zeitpunkt des Rücktritts sei auch nicht absehbar bzw. unwahrscheinlich gewesen, dass die Reise hätte nicht durchgeführt werden können. Daher sei aufgrund des frühen Rücktritts vom Pauschalreisevertrag der Anspruch auf Stornokosten entstanden, der auch bei einem eigenen Rücktritt des Veranstalters nicht mehr entfallen könne. Der Reiseveranstalter (ein Schweizer Unternehmen mit Niederlassung in München) hat die Rückzahlung der geleisteten Anzahlung verweigert, sodass Klage erhoben werden musste. Im Prozess hat sich der Reiseveranstalter weiterhin mit dem Argument des „übereilten“ Rücktritts verteidigt, so wie es umfassend von Staudinger/Achilles-Pujol in Schmidt,Covid-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Aufl. 2020, § 7 Rn. 24 vertreten wird. Auf diese Rechtsprechung haben sich in der Vergangenheit einige Gerichte bezogen, so unter anderem auch das Amtsgericht München mit Urteil vom 27.Oktober 2020 (159 C 13380/20). In diesem Urteil vertritt das Amtsgericht München die Auffassung, dass bei einem Rücktritt drei Monate vor Reisebeginn (obwohl die Reisewarnung schon galt) Stornokosten vom Reiseveranstalter verlangt werden können und das, obwohl der verklagte Reiseveranstalter kurz nach der Rücktrittserklärung des Reisenden den Flottenbetrieb einstellte und die streitgegenständliche Kreuzfahrt nicht mehr durchführte.

Das Urteil des Amtsgerichts München

Das Amtsgericht ist dem von Advocatur Wiesbaden vertretenen Kläger in seiner Ansicht gefolgt, dass eine Rücktrittsentschädigung von dem Reiseveranstalter aber nicht gefordert werden kann, wenn nach einem frühzeitigen Rücktritt vom Pauschalreisevertrag dieser von der Beklagten aufgrund eigener Rücktrittserklärung nicht mehr erfüllt wird.

Das Amtsgericht hat entschieden, dass es unerheblich ist, ob sich die Rechtsfolgen nach dem vom Kläger erklärten Rücktritt nach § 651h Abs. 1 und Abs. 2 BGB (Anspruch auf Zahlung von Stornokosten besteht) oder nach § 651h Abs. 3 BGB (kein Anspruch auf Zahlung von Stornokosten) richten, denn durch die Rücktrittserklärung des Reiseveranstalters, die vor geplantem Beginn der Reise erfolgte, ist sein Entschädigungsanspruch weggefallen. § 651h Abs. 4 BGB verbietet es dem Reiseveranstalter eine Rücktrittsentschädigung zu fordern, wenn er selbst wegen unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände vom Reisevertrag zurücktritt. 

Dieses Urteil ist überzeugend, denn es trägt dem Umstand Rechnung, dass der Anspruch auf Stornokosten ein Sekundäranspruch des Reiseveranstalters ist, der aber nur dann besteht, wenn der Reisende bei tatsächlich durchgeführter Reise vorher vom Vertrag zurücktritt. In diesem Fall kann dem Reiseveranstalter tatsächlich ein Rücktrittsschaden aufgrund des Rücktritts des Reisenden entstanden sein, was aber bei von dem touristischen Unternehmen selbst erklärtem Rücktritt nicht der Fall sein kann.

Mit dieser Entscheidung zeigt sich, dass es durchaus Sinn hat, gegen das Verlangen von Stornokosten von Reiseveranstaltern anzukämpfen, denn häufig werden diese ohne tatsächliche Berechtigung hierzu erhoben. Es zeigt sich auch, dass die bei einigen Gerichten etablierte Rechtsprechung vom "voreiligen Rücktritt" nicht immer Bestand hat. Ob ein Reiseveranstalter eine Rücktrittsentschädigung verlangen kann, hängt somit stets vom Einzelfall ab, sodass sich eine qualifizierte Beratung über die Berechtigung des Reiseveranstalters zur Erhebung von Stornokosten lohnt.

Mit weiterer Entscheidung vom 21. Mai 2021 hat eine andere Abteilung des Amtsgerichts München zu einem vergleichbaren Fall diese Rechtsprechung wiederholt und das Urteil ebenfalls damit begründet, dass der Anspruch auf Stornokosten jedenfalls dann wieder entfällt, wenn die Nichtdurchführbarkeit der Reise nachträglich eintritt. Auch in diesem Urteil (113 C 20625/20) hat das Amtsgericht München darauf abgestellt, dass auch dann, wenn der Reisende lange vor geplanter Durchführung der Reise den Rücktritt erklärt und der Anspruch auf Stornokosten zunächst entstanden ist, dieser entfällt, wenn der Reiseveranstalter seinerseits den Reisevertrag kündigt oder von diesem zurücktritt. Für diesen Fall bestünde für den Reiseveranstalter kein Primäranspruch (Reisepreis) und daher entfällt automatisch auch der Anspruch auf den Sekundäranspruch (Stornokosten).

Für die Beratung zu den Ansprüchen im Zusammenhang mit Reisen und Corona jeglicher Art steht Ihnen Advocatur Wiesbaden – die Spezialkanzlei für Reise- und Luftverkehrsrecht gerne zur Verfügung. Mit unserer nun über 28-jährigen Erfahrung im Bereich Reiserecht und Tourismusrecht können wir ein Optimum an anwaltlichem „know-how“ bieten. Allein im letzten Jahr haben wir viele Hundert Prozesse gegen Fluggesellschaften und Reiseveranstalter im Zusammenhang mit Ansprüchen wegen der Corona-Pandemie geführt.

Eine Vielzahl von Mandanten stammt nicht aus unserer Region, dem Rhein-Main-Gebiet. Wir vertreten selbstverständlich auch Reisende, die weiter weg wohnen. Durch die modernen Kommunikationsmittel ist die optimale Vertretung auch bei größeren Entfernungen zwischen Mandant und Anwaltskanzlei jederzeit gewährleistet.

Foto(s): Holger Hopperdietzel

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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