SARS-CoV-2-Virus – Kurzabhandlung Rechtslage – Teil 1

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Corona legt die Wirtschaft lahm und wirft – vor allem für Unternehmen – viele Rechtsfragen auf, die bislang in Rechtsprechung und Literatur in der Form nicht abgehandelt wurden. Die sich im Zusammenhang mit dem Coronavirus stellenden Rechtsprobleme lassen sich nicht nach Schema-F lösen. Die Umstände eines jeden Einzelfalles müssen einer wertenden Betrachtung unterzogen werden, um so zu einem möglichst treffsicheren und belastbaren Ergebnis zu kommen. Im Einzelnen:

Das Coronavirus hat alle Landesregierungen und Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland veranlasst, jeweils für ihr Landesgebiet durch Rechtsverordnung oder Allgemeinverfügung – im Wesentlichen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes – das öffentliche Leben erheblich einzuschränken. Es reicht vom Verbot von Veranstaltungen und Versammlungen, Einschränkungen der Gastronomie bis zu kompletten Betriebsschließungen. Bei der Abfassung dieses Aufsatzes wurde zudem bekannt, dass die erste Stadt in Deutschland für ihr Gebiet eine Ausgangssperre angeordnet habe. Solche oder vergleichbare Maßnahmen von hoher Hand gab es seit dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland nicht, weshalb nachvollziehbar ist, dass die mit Corona und dieser Pandemie verbundene Rechtssituation in der Rechtsprechung, selbst in der Literatur, keine konkrete Abhandlung findet.

Für Veranstalter, Messebetreiber, Hoteliers usw. stellen sich ganz konkrete vertragsrechtliche Fragen. Das Event kann – beispielsweise wegen Veranstaltungsverbots – nicht stattfinden. Wie verhalten sich die Rechte und Pflichten der Vertragsbeteiligten?

Der Betrieb von Gaststätten, Bars, Lokalen, Kneipen usw. wurde entweder komplett untersagt oder erheblich eingeschränkt. Malls wurden geschlossen. Welche Auswirkungen hat dies auf die weiterlaufenden Fixkosten, z. B. für die Miete? 

Für den Vermittler bzw. Makler von Events, Hotelkontingenten usw. stellt sich die Frage, ob er seine Vermittlungsgebühr bzw. Maklergebühr auch dann beanspruchen darf, wenn letztendlich die verkaufte Veranstaltung nicht stattfindet, weil sie von staatlicher Hand verboten wurde.

So bestehen im Zusammenhang mit Corona etliche Fallgestaltungen mit unterschiedlichsten Facetten. Der Autor will dem Leser nachfolgend für die Fälle einer vertraglichen Leistungsstörung eine erste Leithilfe an die Hand geben:

I. Rechtslage

1. Erster Dreh- und Angelpunkt ist § 275 BGB

In Absatz 1 dieser Vorschrift ist geregelt: Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Ein herkömmliches Vertragsverhältnis zwischen zwei Beteiligten ist ein sog. synallagmatischer Vertrag, der für beide Parteien jeweils unterschiedliche Leistungspflichten beinhaltet.

Für die Erbringung einer Leistungspflicht kann eine faktische Unmöglichkeit bestehen, aber auch eine rechtliche Unmöglichkeit. Beide Varianten werden von § 275 Abs. 1 BGB erfasst.

Bei einer Allgemeinverfügung, die das Abhalten von Veranstaltungen verbietet, ist der Veranstalter aus rechtlichen Gründen nicht dazu in der Lage, die Veranstaltungsleistungen zu erbringen. Man spricht von einer rechtlichen Unmöglichkeit.

Eine Unmöglichkeit kann von dauernder oder vorübergehender Natur sein, was unterschiedliche Rechtsfolgen auslöst.

Der klassische Fall des § 275 Abs. 1 BGB ist die dauernde Unmöglichkeit. Eine vorübergehende Unmöglichkeit kann in ihren Wirkungen der dauernden Unmöglichkeit gleichgestellt sein, wenn die Leistungserfüllung zu einer Zeit, zu der die vorübergehende Unmöglichkeit entfallen ist, bereits ihren Sinn und Zweck verloren hätte.

Im nächsten Schritt dockt sodann § 326 BGB an § 275 BGB an.

Die Konsequenz dessen, dass der Anspruch auf eine unmögliche Leistung ausgeschlossen ist, wird im Bürgerlichen Gesetzbuch in § 326 geregelt. In Absatz 1 dieser Vorschrift heißt es: Braucht der Schuldner nach § 275 … nicht zu leisten, entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung. Diese Regelung besagt, dass z. B. der Messeveranstalter, der seinerseits die Messeleistungen aus Rechtsgründen nicht erbringen kann, von seinem Auftraggeber auch nicht die Gegenleistung, also die Preiszahlung, verlangen kann (logisch).

Noch ist bislang jedoch durch die zitierten Gesetzesregelungen nichts darüber besagt, wie es mit dem Vertragsverhältnis im Übrigen weitergeht. § 275 BGB hat lediglich bewirkt, dass der Gläubiger vom Schuldner die unmögliche Leistung nicht verlangen kann; § 326 Abs. 1 BGB hat umgekehrt bewirkt, dass dann der Schuldner vom Gläubiger (Auftraggeber) umgekehrt nicht den vereinbarten Kaufpreis verlangen darf.

Das weitere Schicksal des Vertragsverhältnisses wird durch § 326 Abs. 5 BGB geregelt. Hiernach kann der Gläubiger, dessen Schuldner die Leistung wegen Unmöglichkeit nicht mehr erbringen muss, vom Vertrag zurücktreten. Einer Fristsetzung durch den Rücktrittswilligen bedarf es nicht, der Rücktritt kann sofort ausgeübt werden.

Für den Fall, dass eine der Parteien in Vorausleistung getreten war (z. B. Anzahlung), ordnet § 326 Abs. 4 BGB an, dass der Leistende das Geleistete vom Empfänger zurückfordern kann.

2. Zweiter Dreh- und Angelpunkt bei einer vertraglichen Leistungsstörung ist § 313 BGB

Es handelt sich hierbei um das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bzw. Störung der Geschäftsgrundlage.

In Absatz 2 dieser Vorschrift ist geregelt: Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Das sind insbesondere jene Fälle, wo die Leistungserbringung zwar nicht (vollständig) unmöglich ist, jedoch die Vertragsdurchführung erheblich gestört ist bzw. wird.

Die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehende allgemeine Rechtslage gilt stets als »zur Grundlage des Vertrags« geworden. Eine Verfügung von hoher Hand, die zwischen Vertragsabschluss und Vertragsumsetzung eine bestimmte Leistungserbringung einschränkt, stört die Geschäftsgrundlage der Vertragsparteien. Bei vernünftiger Betrachtung muss davon ausgegangen werden, dass die Vertragsparteien, wenn sie die betreffende Verfügung von hoher Hand oder eine Eventualität hierfür vorausgesehen und berücksichtigt hätten, den Vertrag nicht so mit diesem Inhalt geschlossen hätten. Die Parteien hätten einen anderen Vertragsinhalt gewählt, der bei redlicher Betrachtung für beide Parteien eine angemessene Risikoverteilung widerspiegelt hätte. Es ist hierbei auf die Sicht vernünftiger Dritter abzustellen.

Ist die Geschäftsgrundlage des Vertragsverhältnisses weggefallen oder gestört, hat jede Partei das Recht, von der anderen Partei eine Anpassung des Vertrags zu verlangen.

Worin eine Anpassung des Vertrags liegen kann, hängt stets von den Umständen des Einzelfalles ab. Es ist eine Anpassung dahingehend zu wählen, wie die Parteien bei prognostischer Beurteilung den Vertrag geschlossen hätten (Preisreduzierung, zeitliche Verschiebung, Kompensationszahlung etc.). Hätten die Parteien unter Berücksichtigung des damals nicht vorhergesehenen Umstandes den Vertrag gar nicht geschlossen (z. B. weil der Vertrag für eine oder beide Parteien keinen Sinn gemacht hätte), kann die Anpassung auch in einer vollständigen Vertragsaufhebung liegen.

Grundsätzliche Folge bei der Störung der Geschäftsgrundlage ist zwar eine Vertragsanpassung. Ist allerdings eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einer Vertragspartei nicht zumutbar, so kann die benachteiligte Partei vom Vertrag auch insgesamt zurücktreten, ohne dass es einer Vertragsaufhebung im Wege einvernehmlicher Vertragsanpassung bedarf. Dies findet ihre ausdrückliche Rechtsgrundlage in § 313 Abs. 3 S. 1 BGB.

3. Zwischen den §§ 275, 326 BGB einerseits und dem § 313 BGB andererseits stellen sich Konkurrenzfragen, d. h., welche Vorschrift ist in dem konkreten Einzelfall anzuwenden

Die herrschende Meinung geht aus guten Gründen davon aus, dass § 275 BGB grundsätzlich dem § 313 BGB vorrangig ist.

Allerdings ist damit die entscheidende Frage nicht beantwortet. Wenn es zu einer Leistungsstörung kommt, ist zunächst einmal durch Subsumtion zu beurteilen, ob die betreffende Leistungsstörung das Gepräge einer Unmöglichkeit in sich trägt oder das einer Störung der Geschäftsgrundlage. Die Grenzziehung ist in vielen Fällen nicht einfach vorzunehmen. Erst danach kann entschieden werden, welche Vorschrift anzuwenden ist. In Grenzfällen wird man die Konkurrenzfrage anhand des Einzelfalles und des überwiegenden Gepräges beantworten müssen.

II. Resümee

Die im Zusammenhang mit dem Coronavirus auftretenden Sachverhalte sind äußerst facettenreich und grundsätzlich sehr individuell geprägt. Die Grenzziehung ist in vielen Fällen nicht einfach vorzunehmen und erfordert in jedem Einzelfall eine wertende Betrachtung der Umstände. Nach dem Motto „im Detail liegt der Teufel“ bedarf jeder Einzelfall einer sorgfältigen Prüfung.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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