Scheinselbstständigkeit: Wann sind „Freelancer“ doch Arbeitnehmer?

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Scheinselbstständigkeit ist für Unternehmen, die Freelancer beschäftigen, und für Freelancer selbst immer wieder ein Thema. Und doch neigen beide Seiten dazu, bei diesem Thema den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass alles gut geht. Besser wäre es aber, sich dieser Problematik proaktiv zu stellen und Lösungen zu finden. Denn Scheinselbstständigkeit kann zu erheblichem Ärger mit Sozialversicherungsträgern und Behörden führen.

Aber wann ist ein Freelancer kein freier Mitarbeiter, sondern Arbeitnehmer? Welche Kriterien sind entscheidend? Welche Folgen hat Scheinselbstständigkeit für beide Seiten? Und: Wie kann man das Problem umgehen?

Antworten auf diese Fragen geben wir in diesem Beitrag.

Was ist Scheinselbstständigkeit und was ist das Problem?

Von Scheinselbstständigkeit ist die Rede, wenn eine Person für ein Unternehmen vermeintlich als selbstständiger freier Mitarbeiter/Freelancer arbeitet, aber faktisch Arbeitnehmer ist.

Das Problem daran: Ist ein „freier Mitarbeiter“ eigentlich Arbeitnehmer, müsste das Unternehmen für diese Person Sozialversicherungsbeiträge abführen. Da das Unternehmen davon ausgeht, dass die Person selbstständig tätig ist, werden diese Sozialabgaben aber eben nicht abgeführt.

Selbst wenn das nicht böswillig geschieht, haften Arbeitgeber allerdings für die nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge, also für Beiträge der gesetzlichen Kranken- (GKV), der Rentenversicherung (GRV) und der Pflegeversicherung (PV), und zwar sowohl für den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil. Je nach Umfang der Beiträge, die nachgezahlt werden müssen, und nach Anzahl der Scheinselbstständigen im Unternehmen kann das eine enorme finanzielle Belastung sein. Im Extremfall kann das Problem der Scheinselbstständigkeit bei kleineren Unternehmen, die viel mit „Freelancern“ arbeiten, durchaus zum Insolvenzrisiko werden. Denn wird z. B. im Rahmen einer Betriebsprüfung ein Fall von Scheinselbstständigkeit festgestellt, werden in der Regel dann alle freien Mitarbeiter im Unternehmen auch überprüft – ein Dominoeffekt …

Folgen der Scheinselbstständigkeit für Unternehmen und „Freelancer“ im Detail

Wie bereits angedeutet: Die Folgen, wenn ein Freelancer als Arbeitnehmer eingestuft wird, sind vor allem für Arbeitgeber nicht erfreulich. Während scheinselbstständige Arbeitnehmer in der Regel nur für Sozialversicherungsbeiträge bei den drei nächsten Gehaltszahlungen in Anspruch genommen werden können, sieht das für Arbeitgeber anders aus.

Arbeitgebern droht bei Fahrlässigkeit die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen plus Säumniszuschlägen und Verzinsung für vier Jahre je Arbeitsverhältnis, bei Vorsatz sogar für 30 Jahre.

Gleichzeitig haftet der Arbeitgeber auch für nicht abgeführte Lohnsteuer und muss z. B. mit Bußgeld-Forderungen wegen Verletzungen von Arbeitnehmerschutzvorschriften rechnen. Und nicht zuletzt unterliegen Arbeitnehmer gesetzlichen Kündigungsfristen und haben u. a. Anspruch auf Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall etc. Für die Personalplanung hat der Status als Arbeitnehmer in der Folge also auch erhebliche Auswirkungen.

Hinzukommt außerdem: Passiert die Scheinselbstständigkeit nicht nur aus Versehen, sondern werden Arbeitnehmer zumindest mit bedingtem Vorsatz als Freelancer behandelt, droht mehr Ärger. Vorsätzliches Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen kann nach § 266a StGB strafbar sein (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt).

Welche Kriterien gelten für Scheinselbstständigkeit?

Weil „Scheinselbstständigkeit“ für alle Beteiligten erhebliche Folgen haben kann, stellt sich Frage: Welche Kriterien sind ausschlaggebend dafür, dass ein vermeintlicher freier Mitarbeiter als Arbeitnehmer eingestuft wird?  

Darauf, wie der Vertrag zwischen den Parteien benannt ist, kommt es nicht an. Relevant ist nur, was tatsächlich gelebt wird, es kommt objektiv auf die Durchführung des Vertrages an.

Grundsätzlich ist für die Sozialversicherungspflicht nach § 7 Abs. 1 SGB IV dann entscheidend, dass eine Person abhängig beschäftigt ist. Detaillierte gesetzliche Vorgaben dafür, was eine abhängige Beschäftigung ist, kennt das Gesetz aber nicht. Allerdings gibt das Gesetz vor: „Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“

Die Rechtsprechung hat im Laufe der Zeit etliche Kriterien herausgearbeitet, die Indiz dafür sind, wann Scheinselbstständigkeit vorliegt und wann nicht. Freie Mitarbeiter sind demnach insbesondere sozialversicherungspflichtig abhängig beschäftigt, wenn sie

  • keine unternehmerische Freiheit besitzen, weil sie u. a. inhaltlich, zeitlich oder örtlich weisungsgebunden sind,
  • persönlich zur Arbeit verpflichtet sind und nicht delegieren können,
  • das Entgelt für ihre Arbeit nicht frei gestalten können,
  • keine eigenen Geschäftsräume haben/nur in Räumen des Auftraggebers arbeiten,
  • Arbeitsmittel des Unternehmens nutzen,
  • nicht über eigenes Betriebskapital verfügen,
  • nicht offen als Selbstständige am Markt auftreten und
  • nur einen Auftraggeber haben bzw. einen Auftraggeber, der nahezu alle Arbeitskapazitäten in Anspruch nimmt.

Kommen beispielsweise noch Reporting-Pflichten oder auch Wettbewerbsverbote hinzu, sind das weitere Indizien für eine Scheinselbstständigkeit, also eine abhängige, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.  

Das Bundessozialgericht (BSG) formuliert es in einem Urteil vom 14.03.2018 (B 12 KR 12/17 R) so:

„… Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem im Hinblick auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur ‚funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess‘ verfeinert sein.

Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.“

Wie vermeidet man Scheinselbstständigkeit: das Statusfeststellungsverfahren?

Ist man sich der Problematik der Scheinselbstständigkeit bewusst, ist es aber natürlich möglich, bestehende sozialversicherungsrechtliche Probleme mit derartigen Konstellationen zu lösen oder von vornherein zu vermeiden – im Unternehmen und als Freelancer.

Einerseits ist es möglich, mit anwaltlicher Unterstützung ein internes System zu entwickeln, das es vor Beginn einer Zusammenarbeit ermöglicht, einzuschätzen, ob die Zusammenarbeit ein Arbeitsverhältnis ist oder eine echte freie Mitarbeit.

Andererseits ist es möglich, ein sog. Statusfeststellungsverfahren einzuleiten, das rechtsverbindlich Klarheit und Sicherheit bringt.

Wie können wir Sie unterstützen?  

Damit Sie als Unternehmen nicht riskieren, mit Scheinselbstständigen zu arbeiten, die Sie als freie Mitarbeiter engagiert haben, die aber Arbeitnehmer sind, unterstützen wir Sie. Sei es, dass wir die Scheinselbstständigkeitsrisiken in Ihrem Unternehmen prüfen oder Sie im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahren professionell unterstützen.

Sie haben Fragen zum Thema Scheinselbstständigkeit?

Bei Fragen oder Unterstützungsbedarf in Bezug auf Scheinselbstständigkeit und die rechtlichen Aspekte stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

Sehr gerne vereinbare ich einen Termin zur Erstberatung mit Ihnen.

Ihr Christian Seidel

Christian Seidel
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Telefon + 49 89 547143
oder per E-Mail c.seidel@acconsis.de

Ich freue mich auf Ihre Nachricht.

Foto(s): ©Adobe Stock/Dusanpetkovic1

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