Schmerzensgeld für heimliche Videoüberwachung des Arbeitnehmers

  • 2 Minuten Lesezeit

Ein Arbeitgeber hegte den Verdacht, dass seine Mitarbeiterin, die als Sekretärin der Geschäftsleitung tätig war, nur vorgetäuscht arbeitsunfähig sei. Kurz nach einer Meinungsverschiedenheit legte sie sechs aufeinanderfolgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Die Geschäftsleitung beauftragte einen Detektiv mit ihrer Überwachung. Die Observation fand daraufhin an vier Tagen statt. Der Detektiv beobachtete das Haus der Mitarbeiterin, ihren Besuch in einem Waschsalon und wie sie mit ihrem Mann und dem Hund vor dem Wohnhaus spazieren ging. Dabei wurden heimliche Videoaufnahmen erstellt.

Es folgte die Kündigung des Arbeitsvertrages und ein sich anschließendes Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht. In diesem Rechtsstreit machte der Arbeitgeber die Erstattung der Detektivkosten geltend und legte elf Bilder aus den heimlich aufgenommenen Videosequenzen vor.

Die Mitarbeiterin sah in der heimlichen Überwachung und den Videoaufnahmen ihr Persönlichkeitsrecht verletzt und machte eine Entschädigung geltend. Der Arbeitgeber verteidigte sich damit, dass er ein berechtigtes Interesse hätte zu erfahren, ob die Mitarbeiterin überhaupt genesungswillig sei oder die Erkrankung nur vortäusche. Zudem habe die Überwachung ausschließlich im öffentlichen Raum stattgefunden.

Das Bundesarbeitsgericht stellte in seiner Entscheidung vom 19.02.2015 – 8 AZR 1007/13 – fest, dass der Arbeitgeber durch die Beauftragung der Observation mit heimlichen Aufnahmen rechtswidrig das allgemeine Persönlichkeitsrecht seiner Mitarbeiterin verletzt hat.

Bereits wiederholt hatte das Bundesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass es zum Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen gehört, darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und verwendet werden.

Der Arbeitgeber hatte nach Überzeugung des Arbeitsgerichts keinen berechtigten Anlass zur Überwachung der Mitarbeiterin. Wegen des hohen Beweiswertes einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung müssten begründete Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigung vorliegen. Hier wurde vom Arbeitgeber vorgetragen, dass die Bescheinigungen von unterschiedlichen Ärzten stammten, wechselnde Krankheitsbilder bescheinigt wurden und ein Bandscheibenvorfall hausärztlich behandelt wurde. Diese Umstände ließen jedoch nach Auffassung des Gerichtes keine begründeten Zweifel erkennen.

Wegen einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung wurde der Mitarbeiterin eine Geldentschädigung zugesprochen. Die Höhe des Entschädigungsanspruchs musste aufgrund der Gesamtumstände, insbesondere Anlass, Tragweite des Eingriffs und Verschuldensgrad bestimmt werden. Hier wurde berücksichtigt, dass die Aufzeichnungen nicht die Intim- oder Privatsphäre der Mitarbeiterin betrafen und eine vertrauliche Aufbewahrung erfolgte.

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, das der Mitarbeiterin ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,00 € zugesprochen hatte.

Was bedeutet diese Entscheidung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?

Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann nur schwer erschüttert werden. Weder der Umstand, dass Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von unterschiedlichen Ärzten stammen, noch eine Änderung des Krankheitsbildes oder der Umstand, dass beispielsweise eine orthopädische Diagnose zunächst hausärztlich behandelt wird, rechtfertigen ein berechtigtes Interesse zur heimlichen Überwachung der Mitarbeiter.

Arbeitgeber müssen bei Zweifeln an der Richtigkeit einer ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit mit Bedacht handeln. Nur bei nachweislich begründeten Zweifeln kann es gelingen den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern.

Arbeitnehmer können Geldentschädigungen geltend machen, wenn ihr Arbeitgeber sie während einer ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit heimlich überwachen und Bilder von ihnen und ihren Aktivitäten anfertigen lässt.

Nadja Semmler

Rechtsanwältin

Neuruppin


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwaltskanzlei Nadja Semmler

Beiträge zum Thema