Schwerbehindertenrecht: Merkzeichen „aG“ – Angewiesenheit auf Rollstuhl vorausgesetzt?

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Die Entscheidung:

Das Sozialgericht Bremen hat mit Urteil vom 29.11.2018, S 20 SB 297/16, dargelegt, dass eine außergewöhnliche Gehbehinderung im Einzelfall auch ohne dauerhafte Angewiesenheit auf einen Rollstuhl vorliegen kann.

Das sei der Fall, wenn der schwerbehinderte Mensch nicht in der Lage sei, außerhalb seines Fahrzeugs auch nur einen Schritt zu tun, ohne sich entweder am Fahrzeug selbst oder am Rollator oder Rollstuhl festzuhalten, und die Gefahr besteht, dass er sich nach Zurücklegen eines Teils einer 100 Meter langen Wegstrecke in zumutbarer Zeit weder zum Auto zurück noch zum Ziel fortbewegen könne. 

Vorliegend sei der Kläger zwar nicht dauerhaft auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen, sodass die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 229 Abs. 3 S. 3 SGB IX nicht vorliegen. Jedoch könne er sich wegen der Schwere seiner Beeinträchtigung nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen. Damit liege eine Gesundheitsstörung im Sinne des § 229 Abs. 3 S. 4 SGB IX vor, die nach S. 5 als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen sei, da die Auswirkung auf die Gehfähigkeit so schwer sei, dass die Beeinträchtigung der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleichkomme. 

Anmerkung:

Mit der Frage, ob auch die Notwendigkeit eines Parkplatzes von besonderer Breite und Länge die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ begründen kann, setzt sich die Kammer nicht auseinander. Sie weist lediglich auf die bisherige Rechtslage hin und deutet an, dass dies in Einzelfällen durchaus möglich erscheint. Bisher wurde diese Möglichkeit in ständiger Rechtsprechung unter Hinweis auf den Zweck von Behindertenparkplätzen verneint. Behindertenparkplätze sollen vorrangig den Zweck erfüllen, die Gehstrecke vom Kraftfahrzeug bis zum Ziel auf das Möglichste zu verkürzen und nicht das Ein- und Aussteigen ermöglichen. Allerdings hatten die Kläger in den entsprechenden Entscheidungen – anders als hier – die Möglichkeit, ihr Fahrzeug mit Schiebetüren zu versehen. Vorliegend hat der Kläger durch Vorlage von Kostenvoranschlägen dargelegt, dass ihm, aufgrund der bei dem Kläger vorliegenden Sturzgefahr bei der Verladung des Rollstuhls, von Schiebe- oder Flügeltüren abgeraten wird. 

Fazit:

In Einzelfällen kann das Merkzeichen „aG“ – entgegen § 229 Abs. 3 S. 3 SGB IX – zuerkannt werden, wenn der schwerbehinderte Mensch nicht dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen ist.

Bitte beachten Sie, dass dieser Beitrag – für den wir keine Haftung übernehmen – eine Beratung im Einzelfall nicht ersetzen kann.

Alexander Seltmann

Rechtsanwalt und

Fachanwalt für Sozialrecht

Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Stuttgart


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