Sind Klimaaktivisten wegen Nötigung im Straßenverkehr strafbar?

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Sitzblockaden durch Klimaaktivistinnen und -aktivisten, in der allgemeinen Berichterstattung etwas abfällig „Klima-Kleber“ genannt, sind derzeit ein kontroverses Thema.


Als Strafverteidiger möchte ich einen Überblick über die strafrechtliche Einordnung geben. Es geht mir insbesondere darum, Betroffenen „erste Hilfe“ anzubieten, wenn der Anhörungsbogen der Polizei oder der Strafbefehl des Amtsgerichts in der Post landet.


Aktivistinnen und Aktivisten sehen sich nach den Protestaktionen häufig schweren strafrechtlichen Vorwürfen entgegen. Es werde Straftatbestände wie Sachbeschädigung, Nötigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ins Feld geführt.


Der Artikel soll sich mit der Problematik des Vorwurfs der Nötigung im Straßenverkehr beschäftigen, da dieser meiner Einschätzung nach bei den „Klebefällen“ hohe Relevanz aufweist. Natürlich kann hier nicht alles ins kleinste juristische Detail erläutert werden, denn dies würde den Rahmen sprengen.



Der Vorwurf lautet in den weit überwiegenden Fällen also Nötigung im Straßenverkehr mit dem Tatmittel der Gewalt zu Lasten der blockierten Fahrzeugführer.

Der Tatbestand der Nötigung hat grob eingekürzt neben den allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit drei Haupttatbestandsmerkmale:


  • das Nötigungsmittel i.S.d § 240 StGB
  • ein Nötigungserfolg mit nötigungsspezifischem Zusammenhang und
  • die Verwerflichkeit nach Absatz 2 der Norm.


Straßenblockaden durch Personen gibt es nicht erst seit gestern. Und so existiert bereits auch zahlreiche Rechtsprechung zum Nötigungsmittel der Gewalt in solchen Fällen. Der Bundesgerichtshof stellt in seiner „Zweite-Reihe“-Rechtsprechung darauf ab, dass spätestens die zweite Reihe der Kraftfahrer sich durch die vor ihnen befindlichen Fahrzeuge einer physischen Barriere entgegensehen. Diese Barriere hindert die zweite Reihe sodann am Weiterfahren. Die erste Reihe wird sozusagen "instrumetalisiert". Der BGH stellt also gerade nicht auf die erste Reihe ab, die sich in dem rein psychischem Zwang befindet, die Personen auf der Fahrbahn nicht überfahren zu wollen.


Ein sogenannter Nötigungserfolg ist im juristischen Sinne darin erfüllt, dass die Fahrzeugführer anhalten und ihre Fahrt nicht fortsetzen können. Ein nötigungsspezifischer Zusammenhang, dass also das Hinsetzen für das Anhalten kausal ist, ist in der Regel zu bejahen. Anders liegt es nur, wenn die Fahrzeugführer vor der Blockade bereits durch die Polizei angehalten oder umgeleitet werden.


Spannend ist nun das Erfordernis der Verwerflichkeit einer Sitzblockade.

Gemäß § 240 Abs. 2 StGB ist die Tat nur dann rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Nach einschlägiger Rechtsprechung muss die Verknüpfung des Mittels mit dem Ziel nach allgemeinem Urteil sittlich zu missbilligen bzw. sozial unerträglich sein. Es ist klar, dass hier in den Klimaprotestfällen der größten Diskussionspunkt besteht. 


Es ist offensichtlich, dass es sich bei der Klimaschutzfrage um eine Angelegenheit von gewichtiger gesellschaftlicher Bedeutung handelt, ganz gleich welche Position man in der Debatte selbst einnehmen mag.


Außerdem ist in die Erwägung die Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG  einzustellen.


Grundsätzlich besteht nämlich der Schutz des Art. 8 GG auch bei unangemeldeten Versammlungen und endet erst mit ihrer rechtmäßigen Auflösung (BVerfG 1 BVR 388/05). Da es den Klimaprotestierenden darum geht, Aufmerksamkeit zu erregen, um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, besteht der Schutz also dem Grundsatz nach.


Einige Gerichte sehen den Kommunikationszweck der Sitzblockade als einen Umstand an, der erst für die Strafzumessung, also die Strafhöhe relevant wird. Dies widerspricht jedoch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welches - zurecht - eine solche Prüfung bereits im Rahmen der Verwerflichkeit fordert (BVerfG, Beschluss vom 07.03.2011 – 1 BvR 388/05).


So heißt es in der o.g. Entscheidung wie folgt:


„Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand. Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt.“


BVerfG, Beschluss vom 07.03.2011 – 1 BvR 388/05


Gegen eine Verwerflichkeit der Klimaproteste über das Blockieren von Straßen sprechen indes viele gute Argumente:


So ist es zum Beispiel nicht von der Hand zu weisen, dass ein Zusammenhang zwischen dem Versammlungsthema, nämlich dem Klimaschutz auch durch Reduzierung des Kraftfahrzeugverkehrs, und der eingesetzten Protestform, sprich der Blockade Kohlendioxid ausstoßender Fahrzeuge, durchaus vorhanden und einleuchtend ist.


Auch lässt sich anführen, dass blockadebedingte Verkehrsbehinderungen mit einer Dauer von zwischen 30 und 60 Minuten als stauüblich nicht per se unzumutbar sind.


Demgegenüber ist das vielfach zu hörende Argument, die Sitzblockaden seien verwerflich, weil die Verkehrsbehinderung gezielt und absichtlich erfolgen, nur wenig überzeugend. Schließlich würde so der ohnehin zum subjektiven Tatbestand gehörende Vorsatz doppelt gewertet.


Durch die Amtsgerichte werden derzeit sehr unterschiedliche Entscheidungen zu der Frage der Nötigung durch das „Kleben“ gefällt.


So gelangte das Amtsgericht München (Urteil vom 16.12.2022, Az. 851 Cs 113 Js 124160/22) zu der Auffassung, dass die dortige Blockadeaktion vom 04.02.2022 als verwerflich anzusehen ist. Ausschlaggebend war hier unter anderem, dass das Protestziel "Aufmerksam machen auf die Verschwendung von Lebensmitteln" und daher kein Sachbezug gesehen worden war.


Dagegen entschied das Amtsgericht Tiergarten (Beschluss vom 05.10.2022, Az. 303 Cs 237 Js 2450/22 (202/22)), dass die Protestaktion „Öl sparen statt Bohren“ am 23.06.2022 nicht verwerflich und damit die Beteiligten nicht wegen Nötigung zu bestrafen seien. Hier wurde die Aktion, wenn auch nicht mit dem genauen Ort, vorher angekündigt und das Gericht sah den Sachzusammenhang der Protestaktion und dem Blockieren der Straße als gegeben an.


Ebenso entschied das Amtsgericht Freiburg mit Urteil vom 22.11.2022, Az. 28 Cs 450 Js 18098/22, dass die am 07.02.2022 in Freiburg durchgeführte Blockadeaktion nicht verwerflich war und daher die Betroffenen freizusprechen waren. Das Amtsgericht Freiburg stellte unter anderem darauf ab, dass bei der Protestaktion keine abstrakte oder konkrete Gefährdung der blockierten Verkehrsteilnehmer zu befürchten und die Blockade relativ einfach aufzulösen war.


Zusammenfassung

Dies alles zeigt, dass gerade nicht per se jedes „Klima-kleben“ und jede Aktion in dieser Form strafbar ist.


Es ist zusammenfassend wichtig, die konkret in Rede stehende Protestaktion in den Blick zu nehmen. Insbesondere wird es darauf ankommen, ob die Blockade in irgendeiner Form angekündigt, wann die Versammlung bzw. die Blockade offiziell aufgelöst wurde, über welchen Zeitraum diese dennoch weiter anhielt und in welcher Intensität eine Beeinträchtigung des Verkehrs vorliegt.


Darüber hinaus sind durch die Strafgerichte diesbezüglich vor einer Verurteilung exakte Feststellungen zu treffen und es muss erkennbar sein, dass das erkennende Gericht eine sorgfältige Abwägung angestellt hat. Ist dies nicht der Fall, kann eine Verurteilung keinen Bestand haben.


Sollte Ihnen also der Vorwurf der Nötigung im Straßenverkehr gemacht werden oder sollten Sie gar bereits einen Strafbefehl mit Geldstrafe erhalten haben, weil Sie sich an einem Klimaprotest beteiligt haben, sollten Sie das Ganze im Einzelfall durch eine im Strafrecht spezialisierte Anwältin oder einen solchen Anwalt überprüfen lassen.


Natürlich stehe ich Ihnen als Fachanwalt für Strafrecht für eine qualifizierte Beratung und Verteidigung bundesweit zur Verfügung.

Foto(s): https://www.pexels.com/de-de/foto/klima-strasse-landschaft-menschen-2990650/

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