Spielregeln für eine wirksame Verdachtskündigung

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Will der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wegen einer Pflichtverletzung kündigen, handelt es sich grundsätzlich um eine Tatkündigung. Der Arbeitgeber hat in einem späteren Gerichtsverfahren die Pflichtverletzung darzulegen und zu beweisen. In der Praxis kommt es jedoch oftmals vor, dass der Arbeitgeber die Pflichtverletzung zwar nicht darlegen und beweisen kann, dennoch aufgrund der Umstände zumindest ein Verdacht für eine (schwerwiegende) Pflichtverletzung besteht, der auch grundsätzlich als Kündigungsgrund in Betracht kommt. Zu diesem Thema hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) zuletzt mit Urteil vom 25.04.2018 (Az.: 2 AZR 611/17) Stellung bezogen und die Regeln zur Anhörung des Arbeitnehmers konkretisiert.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin war bei einer Sparkasse (Beklagte) seit ca. 15 Jahren als Kassiererin beschäftigt. Die Klägerin bestellte im Namen der Beklagten bei der Bundesbank 115.000 Euro an Bargeldlieferung. Es bestand die Organisationsanweisung bei der Beklagten, dass von der Bundesbank angelieferte Geldbehälter im Vier-Augen-Prinzip zu öffnen sind. Am 28.05.2015 übergab eine Wachschutzgesellschaft einen Geldbehälter der Bundesbank an die Klägerin. Die Klägerin öffnete den Geldbehälter in den Räumen der Beklagten alleine und teilte einem Kollegen nach 20 Minuten mit, dass lediglich Babynahrung und Waschmittel im Behälter gewesen seien. Eine anschließende von der Polizei durchgeführte Wohnungsdurchsuchung der Geldboten ergab kein Ergebnis. Eine Durchsuchung der Wohnung der Klägerin am Folgetag ergab einen Fund von 3.100 Euro Bargeld. Ferner öffnete die Polizei vier Wochen später das Bankschließfach der Klägerin, in dem 37.000 Euro Bargeld lagen.

Die Beklagte bat sodann die Klägerin bis Ende Juni 2015 schriftlich zu schildern, warum sie den Geldbehälter allein geöffnet habe. Die Klägerin antwortete, dass dies die übliche Verfahrensweise sei und sie von der Organisationsanweisung des Vier-Augen-Prinzips keine Kenntnis erlangt habe. 

Gemäß Abschlussbericht der Polizei aus November 2015 wiesen die Konten der Klägerin, ihres Ehemanns und der Mutter einen Gesamtschuldenstand von ca. 100.000 Euro aus. Die interne Revision der Beklagten stellte fest, dass die Klägerin ab Juli 2015 regelmäßig ihr Bankschließfach aufgesucht habe und seitdem bis Februar 2016 insgesamt 82 Bareinzahlungen auf die Konten ihrer Familie vorgenommen habe. 

Im April 2016 hörte die Beklagte die Klägerin in einem Personalgespräch an. Zwölf Tage später kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise mit Auslaufkündigungsfrist wegen des dringenden Tatverdachts der Veruntreuung des Geldes. 

Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage und trug vor, dass sie die von der Polizei vorgefundenen Beträge selber für ihre Tochter gespart bzw. von ihrer Mutter erhalten habe. In dem Gespräch (Anhörung) mit der Beklagten habe sie keine Möglichkeit gehabt, die Verdachtsmomente sachgerecht zu widerlegen. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben der Kündigungsschutzklage der Klägerin stattgegeben. 

Die Entscheidung

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg, die Sache wurde an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das BAG bemängelte, dass die Vorinstanzen die Indizien und Hilfstatsachen, die für eine Täterschaft der Klägerin sprechen, nicht ausreichend gewürdigt haben. Das BAG bemängelte weiter, dass die Vorinstanzen die Anhörung der Klägerin zum Verdacht der schwerwiegenden Pflichtverletzung aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht als unwirksam werten durften. 

Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist – anders als bei der sogenannten Tatkündigung – Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung. Dazu gehört es insbesondere, dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Verdachtsmomenten zu geben, um dessen Einlassung bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. Zwar ist nicht erforderlich, die Anhörung in dem Umfang zu erledigen wie die Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG. Ferner muss der Arbeitgeber nicht unbedingt einen (dringenden) Verdacht gegen den Arbeitnehmer bereits explizit erklären. Der Arbeitnehmer muss lediglich erkennen, welcher konkrete und greifbare Sachverhalt für aufklärungsbedürftig gehalten und zumindest eine Verantwortung des Arbeitnehmers arbeitgeberseits in Betracht gezogen wird. 

Die außerordentliche (Verdachts-)Kündigung muss gemäß § 626 Abs. 2 BGB innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnisnahme der Tatsachen erfolgen. Grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist noch nicht in Gang. Die Anhörung des Arbeitnehmers gehört noch zu den Ermittlungen, sodass bis dahin die zweiwöchige Ausschlussfrist noch nicht beginnt. Allerdings müssen die Ermittlungen des Arbeitgebers mit der gebotenen Eile geführt werden. Im Allgemeinen hat die Anhörung innerhalb einer Woche stattzufinden. Steht im Raum, dass der Arbeitnehmer sich strafbar gemacht hat, kann der Arbeitgeber zwar eigene Ermittlungen anstellen, er darf aber auch den Fort- und Ausgang des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten. Vor diesem Hintergrund wurde die zweiwöchige Ausschlussfrist nach Auffassung des BAG im zugrunde liegenden Fall trotz einer Zeitspanne von ca. zehn Monaten zwischen dem Vorfall und dem Zugang der Kündigung noch eingehalten. 

Praxishinweise

Bei einer Verdachtskündigung ist die korrekte vorherige Anhörung des Arbeitnehmers eine große Stolperfalle für den Arbeitgeber. Dem Arbeitnehmer ist zwar die Themenbekanntgabe im Zusammenhang mit einer Einladung zur Anhörung nicht zwingend mitzuteilen. Dem Arbeitnehmer ist aber Gelegenheit zu geben, entweder einen Rechtsanwalt oder eine sonstige Vertrauensperson für die Anhörung hinzuzuziehen; in dem Fall ist die Anhörung zu unterbrechen. Der Arbeitnehmer kann sich auch über einen Rechtsanwalt innerhalb einer bestimmten Frist, die i. d. R. drei Arbeitstage betragen sollte, schriftlich äußern.

Denklogisch handelt es sich bei Verdachtskündigungen immer um eine außerordentliche fristlose Kündigung, da nur der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar macht, als Kündigungsgrund als solcher anerkannt ist. Vorsorglich sollte der Arbeitgeber aber auch hilfsweise ordentlich fristgemäß kündigen, allein, um etwaige Fristversäumnisse der zweiwöchigen Ausschlussfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB zumindest noch im Rahmen einer ordentlichen Kündigung „abzufangen“.

Führt der Arbeitgeber die Anhörung des Arbeitnehmers zwar korrekt durch, besteht aber im Betrieb ein Betriebsrat, bleibt das eigenständige Anhörungsverfahren gegenüber dem Betriebsrat gemäß § 102 BetrVG unberührt. Hört der Arbeitgeber den Betriebsrat zu einer aus seiner Sicht erwiesenen Vorwurf einer Pflichtverletzung an, kann die Tat jedoch in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess nicht nachgewiesen werden, kann sich der Arbeitgeber nur dann auf einen Verdacht als Kündigungsgrund berufen, wenn er den Betriebsrat zu der Verdachtskündigung auch zuvor angehört hat. Ein Nachschieben des Kündigungsgrundes „konkreter Verdacht“ im Prozess ist nicht mehr möglich; das gilt jedenfalls dann, wenn dem Arbeitgeber der Kündigungssachverhalt, d. h. die gegenüber dem Arbeitnehmer bestehenden Verdachtsmomente, zum Zeitpunkt der Anhörung des Betriebsrats bereits bekannt waren. Hintergrund ist, dass der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung gegenüber dem Vorwurf, die Pflichtverletzung tatsächlich begangen zu haben, einen eigenständigen Kündigungsgrund darstellt, der im Tatvorwurf nicht automatisch enthalten ist. Gerade in Zweifelsfällen ist der Arbeitgeber daher gehalten, den Betriebsrat sowohl zur Tat- wie auch (hilfsweise) zur Verdachtskündigung anzuhören. 

Wichtig ist, dass zunächst der Arbeitnehmer angehört wird und dann erst der Betriebsrat. Die Reihenfolge liegt darin begründet, dass dem Betriebsrat – neben den Gründen, die zu einer unwiederbringlichen Zerstörung des Vertrauens geführt haben, und den vom Arbeitgeber durchgeführten Aufklärungsbemühungen – auch das Ergebnis der Anhörung des Arbeitnehmers mitzuteilen ist. Hierbei darf der Arbeitgeber auch nicht bewusst entlastende Umstände, die der Arbeitnehmer in seiner Anhörung vorgebracht hat, dem Betriebsrat verschweigen.

Hat der Arbeitgeber rechtswirksam gekündigt, stellt sich aber im Nachhinein die Unschuld des Arbeitnehmers wegen des Verdachts heraus, ist das Vertrauensverhältnis an sich wiederhergestellt. Für diesen Fall hat der zunächst wirksam gekündigte Arbeitnehmer als Korrektiv einen Anspruch auf Wiedereinstellung zu den bisherigen Arbeitsbedingungen. Die bloße Einstellung eines gegen den Arbeitnehmer eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO begründet für sich allein aber noch keinen Wiedereinstellungsanspruch.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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