Insolvenzgeld – Überblick zu den wichtigsten arbeits- und sozialrechtlichen Fragen

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Was ist Insolvenzgeld?

Jeder Arbeitnehmer der insolventen Gesellschaft bzw. des insolventen Arbeitgebers hat an Stelle des entfallenden Entgelts gem. §§ 165ff. SGB III einen Anspruch auf Insolvenzgeld gegenüber der Bundesagentur für Arbeit (Agentur für Arbeit). Das Insolvenzgeld ersetzt das vertraglich geschuldete monatliche Netto-Arbeitsentgelt. Ein Anspruch auf Insolvenzgeld besteht grundsätzlich für die letzten drei Monate vor Insolvenzeröffnung (nicht vor Insolvenzantragstellung) bzw., soweit das Arbeitsverhältnis bereits vor Insolvenzeröffnung beendet wurde, für die letzten drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Wann wird das Insolvenzgeld ausgezahlt?

Die Auszahlung von Insolvenzgeld kann erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Arbeitsagentur erfolgen. Der Zeitpunkt der Auszahlung hängt jedoch von der Schnelligkeit der Bearbeitung bei der zuständigen Agentur für Arbeit ab.

Da dieses Verfahren durchaus Zeit in Anspruch nehmen kann und Arbeitnehmer weiterhin pünktlich ihren Lohn bzw. ihr Gehalt im laufenden Geschäftsbetrieb bekommen sollen, ist es in der Praxis üblich, dass der Arbeitgeber eine Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes durch eine Bank organisiert. Das Insolvenzgeld wird dann von der vorfinanzierenden Bank für jeden Arbeitnehmer verauslagt. Hierzu ist es jedoch erforderlich, dass der Arbeitnehmer seine Ansprüche auf Arbeitsentgelt für den (vorzufinanzierenden) Insolvenzgeldzeitraum (somit die drei Monate vor der Insolvenzeröffnung) an die vorfinanzierende Bank abtritt. Es ist dann nicht mehr erforderlich, dass der Arbeitnehmer ab Eröffnung des Verfahrens selbst bei der Arbeitsagentur einen Antrag auf Insolvenzgeld stellt.

Diejenigen Arbeitnehmer, die die Ankaufserklärung nicht unterzeichnen, werden keine Vorauszahlung durch die vorfinanzierende Bank erhalten können und müssen selbst einen Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld bei der Arbeitsagentur stellen, sobald das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

Muss die Agentur für Arbeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung zustimmen?

Ja, andernfalls hat die vorfinanzierende Bank mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens keinen Anspruch gegen die Arbeitsagentur auf Auszahlung des Insolvenzgeldes. Die Agentur für Arbeit stimmt gem. § 170 Abs. 4 SGB III der Insolvenzgeldvorfinanzierung dann zu, sofern Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch die Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte ein erheblicher Teil der Arbeitsstellen erhalten bleibt. Nach den Geschäftsanweisungen der Arbeitsagentur ist bereits ein erheblicher Anteil dann erreicht, soweit mindestens 10 % der Arbeitsplätze voraussichtlich erhalten bleiben. In besonders gelagerten Fällen kann auch eine geringere Quote ausreichend sein (z. B. der Betrieb befindet sich in einem anerkannten Fördergebiet der regionalen Strukturpolitik).

Wie hoch ist das Insolvenzgeld?

Das Insolvenzgeld wird in Höhe des Nettoarbeitsentgelts gezahlt. Begrenzt ist das Insolvenzgeld auf die Beitragsbemessungsgrenze in der Renten- bzw. Arbeitslosenversicherung. Diese liegt im Jahr 2020 bei € 6.900 brutto (westliche Bundesländer) und € 6.450 (östliche Bundesländer).

Es handelt sich beim Insolvenzgeld um eine Nettozahlung, die nicht der Lohnsteuer unterliegt. Im Lohnsteuerjahresausgleich steht das Insolvenzgeld aber unter Progressionsvorbehalt.

Was wird über das Insolvenzgeld bezahlt?

Durch das Insolvenzgeld sind die im Insolvenzgeldzeitraum entstandenen Vergütungsbestandteile bis zur Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung abgesichert. Dies umfasst alle geschuldeten Vergütungsbestandteile, ggf. auch Privatnutzungsanteil des Dienst-Kfz u. Ä.

Dauer des Insolvenzgeldes

Das Insolvenzgeld wird grundsätzlich nur für die drei Monate gezahlt, die der letztlichen Verfahrenseröffnung vorangehen. Es handelt sich um eine Lohnersatzleistung. Wer also in einem der drei relevanten Monate Entgelt erhalten hat, hat für diesen Monat keinen Insolvenzgeldanspruch, selbst wenn dies dazu führt, dass der-/diejenige nur für zwei Monate Insolvenzgeld erhält. Hierdurch entsteht dem Mitarbeiter aber kein Schaden, denn er hat schließlich für den Monat Gehalt/Lohn bezogen und hat deswegen keinen Bedarf an einer Lohnersatzleistung.

Vermögenswirksame Leistungen

Der Arbeitgeberanteil zu den vermögenswirksamen Leistungen ist durch das Insolvenzgeld abgedeckt. Die Auszahlung der vermögenswirksamen Leistungen erfolgt direkt über das Insolvenzgeld an die Mitarbeiter, da Insolvenzgeld nicht an Dritte ausbezahlt werden kann. Den individuellen Betrag können die Mitarbeiter ggfs., sofern gewünscht, direkt an den entsprechenden Finanzdienstleister oder die Bausparkasse, der/die die Vermögenswirksamen Leistungen betreut, überweisen.

Beiträge zur Sozialversicherung

In der Arbeitslosenversicherung, der Kranken- und Pflegeversicherung sowie der Rentenversicherung entstehen keine Versorgungslücken im Zeitraum der Insolvenzgeldzahlung. Da das Insolvenzgeld jedoch an Dritte nicht direkt ausgezahlt werden kann, muss der Arbeitnehmer im Falle einer freiwilligen oder privaten Kranken- und Pflegeversicherung die Überweisung an den Versicherungsträger selbst übernehmen.

Die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung

Die Leistungen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sind während des Insolvenzgeldzeitraumes abgedeckt. Für Mitarbeiter in einem gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnis besteht kein Handlungsbedarf.

Entgeltumwandlung

Sofern Mitarbeiter eine betriebliche Altersversorgung in Form einer Entgeltumwandlung haben, erhalten die Mitarbeiter im Insolvenzgeldzeitraum den vom Mitarbeiter umgewandelten Teil – vermindert um die gesetzlichen Abzüge – ausgezahlt.

Eine arbeitgeberfinanzierte betriebliche Altersversorgung ist nicht durch das Insolvenzgeld erfasst.

Begleichung der Arbeitnehmeransprüche vor dem Insolvenzgeldzeitraum

Bestehende Ansprüche aus der Zeit vor dem Insolvenzgeld sind nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenztabelle anzumelden. In der Regel informiert hierüber noch der Sachwalter (Eigenverwaltungsverfahren) oder der Insolvenzverwalter (Regelverwaltungsverfahren). Maßgeblich für die Frage, welchem Zeitraum ein Entgeltbestandteil zuzurechnen ist, ist die Frage, wann der Anspruch erdient wurde. Die Frage der Fälligkeit ist nicht relevant. Wird z. B. jeden Monat ein Zwölftel eines 13. Gehalts zeitanteilig erdient, welches im November eines jeden Jahres insgesamt zur Zahlung fällig wird, sind drei Zwölftel hiervon insolvenzgeldfähig; die anteiligen Zahlungen, die vor dem dreimonatigen Insolvenzgeldzeitraum zeitanteilig erdient wurden, sind zur Insolvenztabelle anzumelden. 

Muss sich ein Arbeitnehmer arbeitslos melden, um Insolvenzgeld zu erhalten?

Nein. Das Insolvenzgeld hat nichts mit Arbeitslosengeld zu tun. Es ist nicht erforderlich, dass sich ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem Bezug von Insolvenzgeld arbeitsuchend meldet.

Muss der Arbeitnehmer für die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes Gebühren an die vorfinanzierende Bank zahlen?

Nein. Zinsen und Gebühren, die die vorfinanzierende Bank erhebt, macht sie gegenüber dem (insolventen) Arbeitgeber geltend. In der Praxis schließt der (insolvente) Arbeitgeber eine gesonderte Rahmenvereinbarung mit der vorfinanzierenden Bank ab.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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