Testamente und der Einwand der Testierunfähigkeit am Beispiel Pflichtteilsverzicht

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Testamente sind oft streitanfällig – weil sie den Erben oder den Enterbten nicht gefallen. Und diejenigen, die gegen ein Testament vorgehen wollen, können, wie ich schon an anderer Stelle ausgeführt habe (vrgl. „Das verschwundene Testament“ und „Das manipulierte Testament“ ) verschiedene Einwände vorbringen.

Dieser Rechtstipp befasst sich mit dem Einwand der Testierunfähigkeit. Anlass ist ein Fall des Pflichtteilsverzichts.

Was Testierfähigkeit bedeutet

In allen Lebensbereichen gilt: Wer eine rechtlich wirksame Willenserklärung, zum Beispiel ein Angebot, abgeben oder ein Rechtsgeschäft schließen will, der muss geschäftsfähig, also in der Lage sein, den Inhalt und die Tragweite seiner Erklärung zu erkennen. Geschäftsfähig können nur Personen ab achtzehn Jahren sein.

Bezogen auf das Erbrecht heißt das: Wer ein Testament errichten will, muss testierfähig sein, wer einen Erbvertrag schließen oder aufheben will, muss geschäftsfähig sein.

Da ein Testament unter bestimmten Voraussetzungen schon von einer mindestens sechzehn Jahre alten, also noch nicht voll geschäftsfähigen Person errichtet werden kann, wird die Testierfähigkeit als „Weniger“ gegenüber der Geschäftsfähigkeit angesehen. Wer also nicht (mehr) voll geschäftsfähig ist, muss deshalb noch nicht testierunfähig sein.

Der Klassiker unter den Erbstreitigkeiten: 

Angebliche oder tatsächliche Demenz des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung

Es gibt Personen, vielfach Hochbetagte, die, auch wenn man es ihnen nicht anmerkt, geschäfts- und testierunfähig sind, weil zum Beispiel dement. Vielfach bricht nach dem Tod dieser Personen unter deren Erben und enterbten Angehörigen Streit darüber aus, ob das Testament des Verstorbenen gültig ist oder ob ein Erbvertrag oder ein Erb- oder Pflichtteilsverzicht unter Beteiligung des Verstorbenen wirksam zustande gekommen waren. So wie in dem folgenden, vom OLG Hamm entschiedenen Fall:

Der Pflichtteilsverzicht und der (unerkannt) demente Erblasser

Der verstorbene Vater hinterließ zwei Söhne aus zwei Ehen, den Kläger und den Beklagten. Der Beklagte war der Betreuer seines Vaters; der Kläger hatte zu beiden weniger Kontakt. Der Vater hatte mit dem Kläger im Jahr 1996 einen notariellen Pflichtteilsverzicht vereinbart und ihn enterbt. Im Jahr 2009 hatten der Vater und der Kläger den Pflichtteilsverzicht durch notarielle Vereinbarung aufgehoben. Einige Monate zuvor hatte ein Neurologe und Psychiater beim Vater eine mäßig ausgeprägte Demenz festgestellt. Im Jahr 2017 verstarb der Vater und nun nahm der Kläger den Beklagten auf Erteilung von Auskunft über den Nachlassbestand und auf Zahlung seines Pflichtteils in Anspruch. Der Beklagte verweigerte dies mit der Begründung, dass der Vater bei Abschluss der Aufhebungsvereinbarung nicht mehr geschäftsfähig gewesen und die Vereinbarung daher nichtig sei – damit gelte der Pflichtteilsverzicht fort. Der Kläger konterte, in der notariellen Aufhebungsvereinbarung sei über die angebliche Demenz des Vaters nichts vermerkt, so dass von einer bestehenden Geschäftsfähigkeit des Vaters auszugehen sei. Das OLG Hamm gab dem Beklagten in zweiter Instanz recht, denn er habe die Geschäftsunfähigkeit des Vaters im Zeitpunkt der Aufhebungsvereinbarung bewiesen, sodass der Pflichtteilsverzicht des Klägers wirksam sei und ein Pflichtteilsrecht nicht bestehe (Urteil v. 13.07.2021, 10 U 5/20, BeckRS 2021, 24103).

Wer was beweisen muss, wenn es um Testier(-un)fähigkeit und Geschäfts(-un)fähigkeit geht

Derjenige, der vor Gericht eine ihm günstige Tatsache behauptet, muss diese beweisen, wenn der Gegner die Tatsache bestreitet. Bezogen auf die Geschäfts- oder Testierfähigkeit folgt daraus, dass derjenige, der sich auf eine bestehende oder nicht bestehende Geschäfts-/Testierfähigkeit stützt, diese beweisen muss. Vorliegend also musste der Beklagte die Geschäftsunfähigkeit des Vaters bei Abschluss der Aufhebungsvereinbarung beweisen.

Nach Auffassung des OLG und im übrigen nach ganz herrschender Meinung kann ein solcher Beweis einzig durch das Sachverständigengutachten eines Facharztes für (forensische) Psychiatrie geführt werden, denn die Begutachtung einer Geschäfts- und Testier(-un)fähigkeit gehört zu den schwierigsten Aufgaben der forensischen Psychiatrie. Ein solches Gutachten war von Seiten des Gerichts eingeholt worden und der Gutachter war zu demselben Ergebnis gelangt, wie einige Medizinerkollegen vor ihm, die den Vater untersucht hatten.

Was der beurkundende Notar für eine Rolle spielt ….

Der Notar selbst muss vor der Beurkundung durchaus eigene Feststellungen über die Geschäftsfähigkeit des Mandanten treffen:

Ist er davon überzeugt, dass diese dem Mandanten fehlt, dann muss der Notar die Beurkundung ablehnen.

Hat er Zweifel an der erforderlichen Geschäftsfähigkeit, dann soll er dies in der  Niederschrift feststellen.

Ist ein Beteiligter schwer krank, und zwar (nach herrschender Meinung) in der Weise, dass seine intellektuellen Fähigkeiten eingeschränkt sind, dann muss der Notar in der Niederschrift vermerken, welche Feststellungen er über die Geschäftsfähigkeit getroffen hat.

…. und wie die Feststellungen des Notars zu bewerten sind

Die oben wiedergegebenen Vorschriften des Beurkundungsgesetzes regeln jedoch nur die Berufspflichten der Notare und legen kein Zeugnis ab für die Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten, denn Notare sind Juristen und keine Mediziner. Dies hat das OLG Hamm klargestellt:

Wiewohl der Notar eine gewisse Berufserfahrung bei der Feststellung der Geschäftsfähigkeit mitbringe, verfüge er als Jurist nicht über das nötige und spezielle Fachwissen, um die Geschäftsfähigkeit einwandfrei feststellen zu können. Daher seien den Feststellungen der Notare ebenso wie anderer, nicht medizinisch qualifizierter Personen kein besonderer Beweiswert zuzumessen. Dadurch, dass in der beurkundeten Aufhebungsvereinbarung keine Vermerke des Notars über die Geschäftsfähigkeit des Erblassers enthalten gewesen seien, könnten nur etwaige positive Eindrücke des Notars vom damaligen Geisteszustand des Erblassers als wahr unterstellt werden.

Fazit

Bestehen Zweifel an der Geschäftsfähigkeit oder Testierfähigkeit eines Erblassers, sollten diese mit dem Erblasser selbst, aber gegebenenfalls auch mit einem zu einer Beurkundung vorgesehenen Notar offen besprochen werden. Im Zweifel sollte vor der Beurkundung ein geeignetes Gutachten über die Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit eingeholt werden.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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