Traurige Justiz-Posse in Niedersachsen – Banken werden hofiert

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Am Landgericht Stade wird seit Januar 2017 ein größeres Wirtschaftsstrafverfahren mit voraussichtlich deutlich mehr als 50 Verhandlungstagen verhandelt (Aktenzeichen 500 KLs 132 Js 9841/08). Es geht dabei um sogenannte Schrottimmobilien. Den insgesamt fünf Angeklagten wird vorgeworfen, Banken und dritte Käufer über den Wert von Immobilien getäuscht zu haben. Nachdem die Banken den Käufern die Immobilien entsprechend hoch finanzierten, hätten die Angeklagten zunächst üppige Provisionen eingestrichen. Die Käufer konnten die Bank-Darlehen irgendwann nicht mehr bedienen. Die Banken hätten die angeblich nicht werthaltigen Immobilien dann im Wege der Zwangsversteigerung nicht hinreichend verwerten können und seien mitunter auf einem Großteil der ausgekehrten Kreditsumme sitzen geblieben. 

Vorsitzender Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen

Die Ermittlungen in diesem Fall waren bereits vor über 6 Jahren abgeschlossen, die Staatsanwaltschaft Stade erhob schon 2011 Anklage. Der erste Prozesstag am Landgericht Stade fand aber erst im August 2016 statt. Knapp fünf Jahre wurde das Verfahren von der niedersächsischen Justiz demnach nicht betrieben und links liegen gelassen. Das Verfahren musste dann aus mehreren Gründen gleich wieder ausgesetzt werden. 

Ende November 2016 stellte sich dann heraus, dass der Vorsitzende Richter am Landgericht Stefan Tomczak in diesem Verfahren bereits als Staatsanwalt ermittelt hatte – und damit kraft Gesetzes von der Teilnahme an diesem Verfahren zwingend ausgeschlossen ist. Es stellt sich die legitime Frage, wie ein Vorsitzender Richter über mehrere Jahre „vergessen“ kann, dass er bereits in der Sache ermittelt hatte, obwohl sogar sein Name mit Dienstbezeichnung als Staatsanwalt mehrfach in der Ermittlungsakte auftaucht. Ein bundesweit wohl einmaliger Vorgang in der Justiz.

Novizen auf der Richterbank

Auf Tomczak als Vorsitzender folgte der Richter am Landgericht Benedikt Fulco Witte. Dieser selbst ist momentan gar kein „Vorsitzender Richter am Landgericht“, sondern nur qua Geschäftsordnung Vertreter des ausgeschlossenen Vorsitzenden Richters Tomczak. Seine Beisitzer sind der Richter am Landgericht Dr. Alexander Reineke sowie die Richterin Jenny Jedicke. Letztere ist als Richterin Berufsanfängerin im ersten Berufsjahr. Die große Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stade – Wirtschaftsstrafkammern sind eigentlich „Flaggschiffe“ der Justiz – ist damit besetzt mit Berufsrichtern, von denen keiner älter als 41 Jahre ist. Getrost wird man die Kammer in dieser Besetzung als sehr unerfahren bezeichnen müssen, und das in einem der größten Wirtschaftsstrafprozesse des Landes Niedersachsen. Unter vorgehaltener Hand wird innerhalb der Verteidigung bereits von „paradiesischen Zuständen“ für eine spätere Revision gesprochen, da schon etliche Verfahrensfehler begangen worden seien. Es würde nicht einmal ein wirksamer Eröffnungsbeschluss für dieses Verfahren existieren.

Ende des Verfahrens nicht in Sicht

Eine erfolgreiche Revision beim Bundesgerichtshof würde die Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht Stade und ein neues Verhandeln vor einer anderen Kammer bedeuten. Ein Ende des Verfahrens ist damit auf absehbare Zeit nicht in Sicht. 

Verschwendung von Steuergeldern – nur die Banken profitieren?

Der bereits jetzt völlig verkorkste Prozess dürfte den Steuerzahler einen Millionenbetrag kosten. Allein die Honorare für 10 bestellte Pflichtverteidiger werden einen hohen sechsstelligen Betrag ausmachen. In Anbetracht der Tatsache, dass das Verfahren über 5 Jahre von der niedersächsischen Justiz nicht gefördert wurde, ein sehr fragwürdiger Umstand. Warum also der ganze Aufwand nach all der Zeit? Die angeblich geschädigten Banken, zum Beispiel die DKB Bank, die Alte Leipziger oder ABN AMRO, können im Fall der Verurteilung der Angeklagten noch eigene Schadensersatzprozesse anstrengen. Ist eine Annahme, die angeblich geschädigten Banken hätten auf politischer Ebene Einfluss genommen, dann so abwegig? Sie wären die einzigen Profiteure der mittlerweile völlig unnötigen Justiz-Posse am Landgericht Stade. Die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz muss sich diese Frage gefallen lassen. 

(Offenlegung: Der Autor ist Verteidiger eines Angeklagten im oben genannten Verfahren.) 


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