Unterlassene Aufklärung über die Dringlichkeit und Notwendigkeit diagnostischer Untersuchungen

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Der Bundesgerichtshof hat am 17. November 2015 einen Fall entschieden, der bis heute nichts an seiner Aktualität verloren hat.

Die Kernfrage des Falles war, ob es als ein Fehler in der Befunderhebung angesehen werden sollte, wenn der Arzt zwar eine diagnostische Untersuchung empfiehlt und für angebracht hält, jedoch versäumt, den Patienten korrekt über die Notwendigkeit und Dringlichkeit dieser Untersuchung zu informieren. Die eingelegte Revision gegen die vorherige Entscheidung war erfolglos.


Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.11.2015, Az.: VI ZR 476/14


Die Kläger sind die Witwe und der Sohn eines Patienten, der nach einer Kunstherzimplantation starb. Sie verklagten den behandelnden Arzt auf Schmerzensgeld sowie Ersatz von Beerdigungskosten und Unterhaltsschaden, behauptend, dass der Arzt eine fehlerhafte Behandlung durchgeführt habe. Der Patient war seit 1993 in Behandlung Arzt und litt unter verschiedenen chronischen Erkrankungen (Adipositas, Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörung) und auch an einer koronaren Herzerkrankung. Trotz mehrerer Untersuchungen und Empfehlungen für weiterführende diagnostische Maßnahmen wurde der Patient nicht ausreichend über die Dringlichkeit der Abklärung seines Herzleidens aufgeklärt, was schließlich zur Notwendigkeit einer Kunstherzimplantation führte, nach der er verstarb.


Nichtaufklärung über die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Untersuchung als grober Behandlungsfehler?

Das Landgericht Bonn und das Oberlandesgericht Köln wiesen in den Vorinstanzen die Klage ab, obwohl das Vorliegen eines Behandlungsfehlers anerkannt wurde, denn der Arzt hatte nach den gerichtlichen Feststellungen den Patienten tatsächlich nicht hinreichend über die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Untersuchungen aufgeklärt hatte. Die koronare Herzerkrankung des Klägers hätte innerhalb weniger Wochen abgeklärt werden müssen.

Die Gerichte haben die Klage dennoch abgewiesen. Sie erkannten zwar einen Behandlungsfehler an, da der Arzt den Patienten nicht hinreichend über die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen informiert hatte, jedoch wurde dieser Fehler nicht als grober Behandlungsfehler oder als Befunderhebungsfehler eingestuft. Folglich konnte keine Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler und dem Tod des Patienten festgestellt werden, die eine Haftung des Arztes begründet hätte. Die Gerichte lehnten daher eine Beweislastumkehr zu Gunsten der Kläger ab, weil der unterlassene Hinweis auf die Dringlichkeit der Untersuchungen nicht als grober Behandlungsfehler angesehen wurde. Entscheidend war, dass der Arzt zwar die richtige diagnostische Richtung empfohlen hatte, jedoch die Dringlichkeit dieser Maßnahmen nicht ausreichend betonte.


Die Rechtsprechung verlangt eine umfassende tatrichterliche Würdigung, ob ein Behandlungsfehler als grob zu bewerten ist, wobei diese Beurteilung auf den vom medizinischen Sachverständigen mitgeteilten Fakten basieren muss. Der Bundesgerichtshof führt hierzu aus: „Ein Behandlungsfehler ist nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats nur dann als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. etwa Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 - VI ZR 139/10, VersR 2012, 362 Rn. 8 mwN).“


Kein grober Behandlungsfehler

In diesem Fall wurde entschieden, dass der unterlassene Hinweis auf die Notwendigkeit weiterführender diagnostischer Maßnahmen zwar ein Fehler war, jedoch nicht die Schwelle zu einem groben Behandlungsfehler überschritt, der eine Umkehr der Beweislast rechtfertigen würde. Die Gerichte hielten fest, dass der Behandlungserfolg hier nicht primär durch die unterlassene Befunderhebung gefährdet war, sondern durch das Versäumnis, den Patienten über die Dringlichkeit der Situation aufzuklären.


Foto(s): stock.adobe.com Gpoint Studio


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