Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung

  • 5 Minuten Lesezeit

Persönliche Beratung i.S.v. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO: nicht nur Beieinandersein, sondern auch Fernkommunizieren per Bild und Ton

Beschluss des LG Düsseldorf vom 20.06.2016 – 25 T 334/16 (AG Düsseldorf – 512 IK 56/16) in Fortführung des Beschlusses des AG Göttingen vom 20.04.2016 – 74 IK 74/16 n. rkr.

I. Das Amtsgericht Düsseldorf hat den Antrag des in Neuss wohnhaften Schuldners auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens mit Beschluss vom 10.05.2016 als unzulässig zurückgewiesen. Grund hierfür sei, dass keine wirksame Bescheinigung gemäß § 305 InsO vorliegt. Es fehle an der persönlichen Beratung durch dessen Bevollmächtigten, da dieser den Schuldner lediglich per Bildtelefonie beraten hat. Erforderlich sei indes eine persönliche Beratung in Gegenwart des Schuldners.

Hiergegen hat der Schuldner durch seinen Bevollmächtigten sofortige Beschwerde erhoben.

Die 25. Zivilkammer des LG Düsseldorf hat den Nichtabhilfebeschluss des AG Düsseldorf aufgehoben und die Sache zur erneuten Durchführung des Abhilfeverfahrens an das AG Düsseldorf zurückgegeben, mit der Vorgabe, den Antrag des Antragstellers nicht aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses abzuweisen.

In der Begründung führt das Landgericht aus: „Angesichts der modernen Kommunikationsmittel, bei denen nicht nur akustisch, sondern auch mittels Bild kommuniziert werden kann, erscheint es der Kammer zumindest in den Fällen, in denen die Kommunikation vergleichbar einem persönlichen Beieinandersein handhabbar ist, nicht zu rechtfertigen, generell eine persönliche Beratung i.S.v. § 305 Abs.1 S.1 Nr. 1 InsO zu verneinen. Zumal derartige Kommunikationsmöglichkeiten auch in Gerichtsverfahren Einzug erhalten haben (vgl. § 128 a ZPO).

Erforderlich ist für die persönliche Beratung i.S.v. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO aber, dass sie nicht durch Dritte oder einen Vertreter erfolgt, dass ein tatsächlich unmittelbarer Kontakt mit der geeigneten Stelle oder Person als Aussteller der Bescheinigung zustande kommt und dass diesem dabei sämtliche zur Analyse der Finanzsituation und Beratung des Schuldners relevanten Unterlagen vorlagen und der Schuldner umfassend über die verschiedenen Handlungsalternativen einschließlich außergerichtlicher Einigungsmöglichkeiten, Schuldenbereinigungsplan und Insolvenzplan aufgeklärt worden ist.

Anders als im vorangegangenen Verfahren 25 T 759/15 hat der Antragstellervertreter als geeignete Person i.S.v. § 305 Abs. 1 Nr.1 InsO nunmehr am 01.12.2015 via Bildtelefonie in unmittelbarem Kontakt zum Antragsteller dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse geprüft und den Antragsteller beraten. Dabei lag ihm die komplette Schuldnerakte nebst den vom Antragsteller ausgefüllten und unterzeichneten Fragebögen zu seiner Insolvenz vor.

Somit war sichergestellt, dass der Zweck der persönlichen Beratung i.S.v. § 305 Abs.1 Nr. 1 InsO eingehalten und der Antragsteller umfassend über die verschiedenen Handlungsalternativen einschließlich außergerichtlicher Einigungsmöglichkeiten, Schuldenbereinigungsplan und Insolvenzplan aufgeklärt wurde“.

Anm. des Verfassers: Der Auffassung des Landgerichts Düsseldorf ist zuzustimmen.

II. Das „Problem“ der persönlichen Beratung wird nach eigenen Erfahrungen regelmäßig nur dann überhaupt von der Rechtsprechung aufgegriffen, wenn zwischen dem Wohnsitz des Schuldners und – wie hier – dem Kanzleisitz des anwaltlichen Beraters mehrere hundert Kilometer liegen.

Bei Ortsgleichheit werden Anträge auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens vom Gericht ohne Beanstandung der Bescheinigung „durchgewunken“ und wird das Insolvenzverfahren eröffnet.

Dies ist auch verständlich, da vom Gericht die durchgeführte persönliche Beratung des Schuldners formal und auch inhaltlich faktisch nicht überprüft werden kann.

Die Entscheidungen einzelner Gerichte, die die Auffassung vertreten, eine persönliche Beratung des Schuldners erfordere in der Regel ein persönliches Beisammensein von Berater und Schuldner, ist realitätsfern. Auch in Telefonaten, ob mit (z. B. per Skype) oder ohne Bild kann die Insolvenzangelegenheit eingehender bzw. genauso gut oder schlecht wie bspw. im Büro mit dem Schuldner besprochen werden.

Im Übrigen dürfte das von einzelnen Gerichten geforderte persönliche Zusammenkommen von Schuldner und Berater in die grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit der Anwaltschaft unzulässig eingreifen. Die freie Anwaltswahl erlaubt es dem Rechtssuchenden, sich bundesweit einen Rechtsanwalt zu suchen und zu beauftragen. Das Erfordernis des Zusammenkommens von Schuldner und Berater am Kanzleisitz des Beraters, der mehrere hundert Kilometer entfernt sein Büro betreibt, ist schlechterdings unzumutbar und aufgrund der modernen Kommunikationsmittel auch nicht nötig. Die Unterstellung einzelner Richter, nur eine Beratung „Auge in Auge“ erfülle das Erfordernis der persönlichen Beratung, ist vor diesem Hintergrund unverständlich. Auch eine solche Beratung kann vom Gericht nicht überprüft werden, ebenso wenig wie das mit dem Schuldner geführte Telefonat.

III. Absurd wird die Sache dann, wenn wie vorliegend der Berater den Schuldner von Anfang anwaltlich vertreten hat, also die komplette außergerichtliche Schuldenbereinigung sowie nach deren Scheitern für den Schuldner auf der Grundlage der Akte, des vom Schuldner ausgefüllten und unterzeichneten Insolvenzfragebogens sowie vom Schuldner gegebener Auskünfte den gerichtlichen Insolvenzantrag erstellt hat. Auch war in diesem Fall bereits außergerichtlich eine sog. Kopf- und Summenmehrheit erreicht worden. Ziel war mithin gar nicht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern die Durchführung einer gerichtlichen Schuldenbereinigung zwecks Herbeiführung eines Einigungsbeschlusses. Pfändbar waren bei dem Schuldner monatlich einige Hundert Euro. Die gerichtliche Schuldenbereinigung war mithin aussichtsreich.

In diesem Fall zu fordern, dass zusätzlich noch eine persönliche Beratung im Büro des Beraters stattzufinden habe, ist gelinde gesagt nicht wirklich zu verstehen. Der Berater müsste in diesem Fall seinen Mandanten, den Schuldner, vor Ort zu einem „Stempel-Anwalt mit Drehtür“ schicken. Dies kann doch von einer Rechtsprechung, die gerade vorgibt, dies verhindern zu wollen, nicht ernsthaft gefordert werden. Hierin zeigt sich die Absurdität derartiger Anforderungen an die persönliche Beratung des Schuldners.

Selbst der Insolvenzverwalter muss den Schuldner nicht in seinem Verwalterbüro empfangen und eingehend über Rechte und Pflichten des Schuldners im Insolvenzverfahren beraten.

Eine derartige Beratung/Aufklärung des Schuldners kann auch nicht vom außergerichtlichen Berater verlangt werden. Auch dies trüge nicht zur angeführten Qualitätssicherung bei, da der Schuldner den Insolvenzantrag auch selbst stellen darf. Eine vorher durch den Berater durchgeführte Beratung vermag dessen Qualität nicht zu steigern bzw. herbeizuführen.

Nach alldem ist eine Auslegung der persönlichen Beratung unter Beachtung der grundgesetzlich geschützten Berufsfreiheit nur dahingehend vorzunehmen, dass auch höchstpersönliche Telefonate, ob mit oder ohne Bild den Anforderungen einer persönlichen Beratung genügen müssen.

Rechtsanwalt Lutz Eberhardt

Fachanwalt für Insolvenzrecht


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Beiträge zum Thema