Verkehrsunfall mit einem ukrainischen Beteiligten im Ausland

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Die Regulierung der Schadensverhältnisse infolge von Verkehrsunfällen, an denen Fahrzeuge aus verschiedenen europäischen Ländern beteiligt sind, erfolgt durch das internationale System der Haftpflichtversicherung „Green Card“ (GC).

Es gibt zwei Standardfragen, die in Rechtsverhältnissen zu einem fremden Element bestimmend sind: Welches materielle Recht soll auf das umstrittene Deliktsverhältnis angewendet werden und nach welchen Verfahrensregeln muss der Streit beigelegt werden?

Wie soll zum Beispiel ein Versicherungsfall infolge eines Unfalls zwischen einem versicherten türkischen Staatsbürger mit dem Wohnsitz in Deutschland und einem Fahrer aus der Ukraine beigelegt werden, wenn der Unfall in Bulgarien vorgekommen ist?

Oder ein deutscher Bürger hatte das Unglück, in einen Verkehrsunfall auf dem Gebiet der Ukraine zu geraten, wo ein Schuldiger, der ein Ukrainer war, ein Auto mit polnischer Zulassung fuhr.

Wer soll den Streit über die Versicherungsentschädigung in diesem Fall regulieren und wie?

Die Hauptnormen und -regeln, die den Inhalt des Haftpflichtversicherungssystems „Green Card“ bestimmen, sind vorgesehen in:

  • Empfehlung Nr. 5, die vom Unterausschuss für Transport der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) angenommen wurde, in der Fassung von Anhang 1 zur konsolidierten Resolution über Erleichterung des internationalen Straßentransports (RE.4) (TRANS/SC.1/2002 /4) vom 30. April 2004;
  • Innere Regelungen (Internal Regulations), die vom Rat der Büros mit Sitz in Brüssel (Council of Bureaux (CoB)) wurden in der Fassung von 2018 genehmigt.

Gemäß der Empfehlung Nr. 5 wurde in jedem Mitgliedstaat ein nationales Versicherungsbüro eingerichtet, das die internen Regelungen der GC anerkennt und ein einziges Organ des Rates der Büros (CoB) ist. Dieser Rat fungiert als Dachorganisation für alle nationalen Büros.

Jedes der nationalen Versicherungsbüros erfüllt zwei Funktionen: die Funktion der Zahlung und die Funktion der Regulierung.

Innere Regelungen des Rates der Büros regeln sowohl die Verhältnisse zwischen allen 47 Mitgliedstaaten vom GK-System gemäß dem Grüne-Karte-Abkommen (Abschnitt II Innere Regelungen), als auch die Verhältnisse zwischen 28 Mitgliedstaaten von EWR und EFTA sowie die Schweiz, Andorra und Serbien, die ein Multilaterales Garantieabkommen zwischen den nationalen Versicherungsbüros unterzeichnet haben. (Das sogenannte Kennzeichenabkommen, das auf der Richtlinie 72/166/EWG aus dem Jahr 1972 basiert.)

Die Verhältnisse zwischen diesen 28 Staaten werden durch Abschnitt III Innere Regelungen geregelt.

Laut dem Kennzeichenabkommen benötigen Automobilisten, deren Fahrzeuge in EU/EWR-Staaten sowie Andorra, Serbien und die Schweiz registriert sind und amtliches Kennzeichen dieser Länder haben, bei der Einreise in einen der oben genannten Staaten keine Grüne Karte mehr, um auf ihrem Gebiet über einen ausreichenden Haftpflichtversicherungsschutz zu verfügen.

Im Gegensatz zu dieser Anordnung, im Falle eines Verkehrsunfalls nur zwischen den Teilnehmern des Kennzeichenabkommens, und unter Berücksichtigung der Anforderungen der RL 2009/103/EG vom 16. September 2009 legen die Bestimmungen von Abschnitt 3 Innere Regelungen von CoB ein anderes Verfahren zur Regelung der Unfallfolgen fest.

Auf der Grundlage der RL 2009/103/EG (bzw. der in Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen nationalen Gesetzgebungen) werden sämtliche Versicherungsgesellschaften verpflichtet, in jedem anderen Mitgliedstaat den sog. Schadenregulierungsbeauftragten zu ernennen.

Dementsprechend können Geschädigte, die im Ausland einen Unfall erlitten haben, Ansprüche beim Schadenregulierungsbeauftragten des zuständigen ausländischen Haftpflichtversicherers in ihrem Wohnsitzstaat geltend machen.

Der Schadenregulierungsbeauftragte wickelt den Schadenfall, auf welchen in der Regel das Recht des Unfalllandes anwendbar ist, auf der Grundlage der Instruktionen des ausländischen Versicherers, der ihn ernannt hat, ab.

Im ersten Fall, wenn ein Unfall in Bulgarien vorgekommen ist, wo ein ukrainisches und deutsches Fahrzeug beteiligt waren, hat der in Deutschland versicherte Geschädigte nicht berücksichtigt, dass der Schuldige, ein ukrainischer Fahrer, dem Abschnitt 3 der Regelungen nicht unterliegt, da die Ukraine kein Mitglied des Kennzeichenabkommens ist.

Es handelt sich insbesondere darum in Artikel 12 (Ausnahmen) Abschnitt III Innere Regelungen.

Deswegen sollte die Beilegung eines solchen Versicherungsfalles gemäß Abschnitt 2 der CoB-Regeln auf der Grundlage des gestellten Antrages zum Nationalen Versicherungsbüro in Bulgarien erfolgen, und das letzte soll die Höhe des Schadens festlegen und den Schadenersatz nach dem materiellen bulgarischen Recht behandeln.

Nach der Schadenzahlung dem Geschädigten in einem Verkehrsunfall erhält das bulgarische Büro einen Ausgleich vom ukrainischen Versicherungsbüro oder vom ukrainischen Versicherer, der für die schuldige Person die GC-Versicherungspolice ausgestellt hat.

In dieser Situation sollte der Anwalt des Geschädigten darauf hinweisen, dass es erforderlich ist, mit der Beteiligung eines bulgarischen Sachverständigen eine Untersuchung durchzuführen und die Höhe des Schadens zu berechnen. Ohne das zu erledigen, sollte der Geschädigte auf keinen Fall das Unfallland verlassen und die Dienstleistungen eines Sachverständigen in Deutschland nicht nutzen, weil seine Schlussfolgerung vom Regulierungsbüro, vom Schadenregulierungsbeauftragten oder vom Gericht nicht akzeptiert wird.

Die Genauigkeit der Information, die das GC Nationale Bureau zur Verfügung stellt, sowie die von diesen Bureaus ausgestellten Anträge, um den Versicherer des Schuldigen oder seines Schadenregulierungsbeauftragten zu bestimmen, sollen berücksichtigt werden.

Ein Fehler vom Deutschen Büro GK bezüglich des Ortes eines Unfalls (anstatt Bulgarien wurde die Ukraine in der Anfrage angegeben) war eine Folge dessen, dass das ukrainische Büro den falschen Versicherer angab. Und dies kam dazu, dass der Geschädigte fast ein halbes Jahr im langen Prozess der Streitbeilegung verlor.

Nach Antrag auf Behandlung des Versicherungsfalls gab das bulgarische Versicherungsbüro in ähnlicher Weise einen falschen Schadenregulierungsbeauftragten vom Versicherer des Geschädigten anstatt des vom Versicherer der schuldigen Person an. (Der Letzte wurde vom ukrainischen Versicherer überhaupt nicht beauftragt).

Ein anderer Verkehrsunfall wegen der Schuld eines ukrainischen Fahrers in der Ukraine, an dem die Fahrzeuge mit den polnischen und deutschen Zulassungen beteiligten, wurde nach Abschnitt 3 Innere Regelungen beigelegt.

Für diesen Versicherungsfall wurde die Regel aus Art. 2 b) der RICHTLINIE 2009/103 / EG vom 16. September 2009 angewendet. Nach dieser Regel werden der Versicherungsschutz und die Handlung der oben genannten Reihenfolge für Regulierung und Schadenersatz auch auf den Versicherungsfall verbreitet, wenn der Unfall zwischen Mitgliedern des Kennzeichenabkommens in einem Drittland (in diesem Fall in der Ukraine) vorgekommen ist, wo die Fahrzeuge aus der BRD und Polen durchfuhren.

Dabei wurden die Mindestdeckungssummen im GC-System berücksichtigt, die für EU/EWR-Land bestimmt sind, aber nicht für die Ukraine, wo sie wesentlich geringer sind und nicht ausreichend würden, um die Kosten des vollständig zerstörten Autos auszugleichen.

Höhe der Entschädigung von dem ukrainischen Büro GK beträgt 4.920 bzw. 9.840 Euro bei dem materiellen Schäden  und   Gesundheitsschäden pro Person entsprechend.

Der Schadenregulierungsbeauftragte des polnischen Versicherers in Deutschland hat die Differenz zwischen dem Verkaufspreis des vollständig zerstörten Autos und seinem Wert vor dem Verkehrsunfall bezahlt.

Die sachverständige Begutachtung der Schadenshöhe wurde von einem ukrainischen Sachverständigen nach den Anforderungen des ukrainischen materiellen Rechts gemacht.

Nach den Vorschriften des ukrainischen Gesetzes (Art. 1194 des BGB der Ukraine) und der aktuellen Rechtspraxis kann eine Klage gegen den Schuldigen nur dann erhoben werden, wenn keine Verpflichtung zum Schadenersatz für den Versicherer (oder für das National Insurance Bureau, falls es keinen Versicherer gibt) entsteht.

Wenn der Unfall auf dem Gebiet der Ukraine vorgekommen ist, kann die Klage gegen den ukrainischen Versicherer des Schuldigen und gegen den Schuldigen gleichzeitig vorgelegt werden. Die Klage gegen den Schuldigen kann im Teil eingereicht werden, der nicht unter dem Versicherungsschutz steht.

Daher wird es im Falle eines Verkehrsunfalls mit einem ukrainischen schuldigen Beteiligten nötig, einen Anspruch (und später eine Klage) beim Versicherungsbüro des Verkehrsunfalllandes zu erheben, bevor eine Klage gegen den Schuldigen in der Ukraine einzureichen ist.

Es soll zusammenfassend gesagt werden, dass die Regulierung umstrittener Verhältnisse und Schadenersatz kompliziert, lang und unvorhersehbar sein kann, wenn ein Unfall in einem Drittland vorgekommen ist, und wenn die Unfallseiten verschiedene Staaten des Green-Card-Systems vertreten. Dies erfordert vom Geschädigten obligatorisch einen Anwalt gerade zu Beginn der Beilegung eines Unfalls einzuschalten.



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