Vorladung, Anklage wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) – Fachanwalt für Strafrecht verteidigt Sie

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Wir begegnen einander und denken dabei oft ganz verschieden. Das treibt einen bunten Meinungsaustausch an. Die freie Meinungsäußerung ist für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend, denn sie ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist (BVerfGE 5, 85, 205). Dabei darf grundsätzlich erst einmal jeder äußern, was er möchte; dieses Recht trifft aber auf Grenzen. Bestimmte Äußerungen oder Verhaltensweisen passen auch in einen freien Meinungsaustausch nicht mehr hinein. Insbesondere der Straftatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 StGB untersagt bestimmte Verhaltensweisen. Die Norm verfolgt das Ziel, den öffentlichen Frieden und die persönliche Würde, insbesondere die Würde der Opfer der NS-Herrschaft, zu schützen.


Wie hoch ist die Strafe bei Volksverhetzung?

Angriffsobjekt der Volksverhetzung ist in der Regel eine bestimmte „national, rassistisch, religiös oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe“, ein Bevölkerungsteil oder ein Einzelner wegen dessen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe/diesem Bevölkerungsteil (§ 130 Abs.1 StGB).

Gegen eines dieser Angriffsobjekte muss zum Hass aufgestachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen aufgefordert werden, um einer Strafbarkeit wegen Volksverhetzung näher zu kommen (§ 130 Abs. 1 Nr. 1. StGB).

Ebenso kann – regelmäßig zu einer Strafbarkeit führend – auch die Menschenwürde anderer dadurch angegriffen werden, dass eines der Angriffsobjekte wegen seiner entsprechenden Zugehörigkeit beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet wird (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB).

In beiden Fällen muss das Geschehen derart erfolgen, dass es geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Dann droht grundsätzlich eine Strafandrohung von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe (§ 130 Abs. 1 StGB).

Teilweise kann auch schon der Versuch bestraft werden (§§ 22, 23 I, 12 I, 130 Abs. 7 StGB).

Strafhöhe bei Taten mit Bezug zu NS-Verbrechen, NS-Herrschaft

Empfindlich ist das Gesetz auch bei Äußerungen, die im Zusammenhang mit der NS-Herrschaft stehen: Eine Strafandrohung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe trifft in der Regel denjenigen, der NS-Verbrechen öffentlich billigt, leugnet oder verharmlost (§ 130 Abs. 3 StGB). Eine geringere Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe dürfte in der Regel den treffen, der öffentlich die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt (§ 130 Abs. 4 StGB).

Kriegsverbrechen

Wer bestimmte Kriegsverbrechen (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, …) gegen eines der o.g. Angriffsobjekte öffentlich billigt, leugnet oder gröblich verharmlost, und zwar in einer Weise, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt gegen diesen Kreis aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören, auch den trifft eine Strafandrohung von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe (§ 130 Abs. 5 StGB).

Volksverletzung in Schrift, Bild & Co

Wird eine der vorgenannten Handlungen durch das Verbreiten oder Veröffentlichen einer Schrift, eines Bildes oder dergleichen begangen, droht grundsätzlich eine Strafe von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Dasselbe betrifft Personen, die solche Inhalte Unter-18-Jährigen zugänglich machen oder solche Inhalte herstellen, liefern, bewerben usw. (§ 130 Abs. 2 StGB).

Angriffsobjekt – gegen wen muss sich eine Volksverhetzung richten?

Die Volksverhetzung muss sich zur Strafbarkeit in der Regel gegen ein bestimmtes Angriffsobjekt richten. Drei Möglichkeiten sieht der § 130 StGB dafür vor.

Nationale, rassistische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppen

Die Gruppe muss anhand nationaler, rassistischer, religiöser oder durch die ethische Herkunft bestimmter Gesichtspunkte festgestellt werden. Die Grenzen der einzelnen Kategorien können dabei fließend verlaufen. Rein gleiche Interessen, etwa politischer oder wirtschaftlicher Natur, reichen noch nicht aus.

Annehmen dürfte man eine Gruppe zB bei der Beschreibung „alle Juden“.

Bevölkerungsteile

Teile der Bevölkerung sind inländische Personenmehrheiten, die individuell nicht mehr zu überschauen und sich wegen innerer oder äußerlicher Merkmale vom Rest der Bevölkerung unterscheiden. Dabei muss anhand der Äußerung der in Rede stehende Personenkreis abgrenzbar sein; „die Vaterlandsverräter“ reicht deshalb vermutlich für eine Volksverhetzung nicht aus, da völlig unklar ist, wer denn ein solcher Vaterlandsverräter sein soll.


Ausreichende Unterscheidungskriterien können nach der Rechtsprechung beispielsweise darstellen: „Rasse“, Volkszugehörigkeit, Religion, politische oder weltanschauliche Überzeugung, soziale und wirtschaftliche Stellung (OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.01.2002, Az: 1 Ws 9/02 in NJW 2002, 2893). So sind „die Juden“ (BGH, Urt. v. 15.12.2005, Az: 4 StR 283/05) und „die Neger“ (OLG Hamburg, Urt. v. 18.02.1975, Az: 2 Ss 299/74 in NJW 1975, 1088) Angriffsobjekte, die sich für eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung eigenen.

Einzelne Gruppenmitglieder bzw. den Bevölkerungsteilen zugehörige Einzelpersonen

Wird eine einzelne Person wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer entsprechenden Gruppe oder einem entsprechenden Bevölkerungsteil angegriffen und drückt sich so in dem Angriff auf den Einzelnen ein durch ihn verkörperter Angriff auf die Gruppe aus, kann auch das zu einer Strafbarkeit führen. Umfasst sind wohl zB Angriffe auf Behinderte, Homosexuelle und Angehörige bestimmter Berufsgruppen (BT-Drs. 17/3124, 10).

Volksverhetzung durch Aufstacheln, Gewaltaufforderung und Beschimpfen

In der Ausgangsvariante des Abs. 1 sind drei Alternativen gegen die o.g. Angriffsobjekte möglich, die in der Regel zu einer Strafbarkeit führen.

Aufstacheln zum Hass

Zum Hass stachelt auf, wer zu einer emotional aufgeladenen Feindseligkeit gegenüber dem Angriffsobjekt anreizt. Dies muss über eine bloß ablehnende Äußerung hinausgehen. Ein solches Aufstacheln zum Hass hat die Rechtsprechung beispielsweise für die Parole „Juda verrecke“ nebst Hakenkreuzen bejaht (OLG Koblenz, Urt. v. 11.11.1976, Az: 1 Ss 524/76); verneint wurde es hingegen durch das LG Hamburg für den Begriff des „Auschwitz-Mythos“ (LG Hamburg, Urt. v. 06.09.1995, Az: 710 Ns 74/95).


Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen

Das Auffordern zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen geht über das bloße Befürworten bestimmter Maßnahmen hinaus. Notwendig ist ein Einwirken, um bei einem anderen den Handlungsentschluss zu wecken. Der Begriff schließt das Auffordern zu nicht-staatlichen Maßnahmen nicht aus. Bejaht wurde diese Alternativen etwa für die Aussage „Jeder Jude ist eine umherlaufende Reklame für den nächsten Holocaust.“ (VG Düsseldorf,  Urt. v. 10.05.2005, Az: 27 K 5968/02).


Beschimpfen, böswillig Verächtlichmachen oder Verleumden

Die dritte Variante erfasst über die Beleidigung hinausgehende besonders verletzende Äußerungen der Missachtung (Beschimpfen), böswillige Darstellungen als der Achtung der Bürger unwert oder unwürdig (böswilliges Verächtlichmachen) sowie die Verbreitung rufschädigender unwahrer Tatsachenbehauptungen. In allen Fällen muss die Menschenwürde des Betroffenen angegriffen werden. Der Angriff muss daher den Kern der Persönlichkeit treffen, den Betroffenen als unterwertig darstellen und sein Lebensrecht in der Gemeinschaft bestreiten.


Diese Alternative wurde bspw. angenommen für den Textzug „Rassenmischung ist Völkermord“ nebst Darstellung eines Paares unterschiedlicher Hautfarbe (OLG Zweibrücken, Urt. v. 24.06.1994, Az: 1 Ss 80/94) sowie für die Bezeichnung ausländischer Empfänger von Sozialleistungen als „Sozialparasiten“ (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 15.08.2000, Az: 2 Ss 147/00).


Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens

In allen drei Fällen muss die Äußerung geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Dazu muss es nicht auch tatsächlich zu einer solchen Störung kommen. Es muss aber Anlass zur Befürchtung stehen, dass das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit durch die Äußerung erheblich erschüttert werde (BGH, Urt. v. 08.08.2006, Az: 5 StR 405/05). Dazu ist immer eine Gesamtwürdigung der Tatumstände erforderlich.

Strafbarkeit wegen Volksverhetzung bei NS-Bezug

Mit Bezug zum Nationalsozialismus kennt das Gesetz zwei Alternativen, die beide (unterschiedlich hoch) mit Strafe bedroht sind:


Öffentliches Billigen, Leugnen oder Verharmlosen der NS-Verbrechen (§ 130 Abs. 3 StGB)

Äußerungsgegenstand sind Völkermorde, die unter Herrschaft des NS-Regimes begangen wurden; eine einzelne Tat reicht dafür in der Regel aus. Diese Tat muss öffentlich gebilligt, geleugnet oder verharmlost werden und geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören.


Das Billigen meint ein Gußheißen; es umfasst bspw. die Äußerung, das Vorgehen des Dritten Reichs sei „bedauerlich aber unvermeidlich“ gewesen (Fischer, 69. Aufl. 2022, StGB § 130 Rn. 29). Auch das „öffentliche Zeigen eines sich über die Breite des Rückens erstreckenden Tattoos in einem Erlebnisbad, welches das Torhaus (Rampe) des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau zum Gegenstand hat und mit der sich ebenfalls über die Breite des Rückens erstreckenden, in Frakturschrift tätowierte Wendung ‚Jedem das Seine‘ (Inschrift am Tor zum Konzentrationslager Buchenwald) versehen ist“ erfülle den Tatbestand der Volksverhetzung (OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.04.2017, Az: (1) 53 Ss 17/17 (13/17)).

Das Leugnen ist das Bestreiten von Tatsachen; es wird deshalb wohl zB nicht vorliegen, wenn nur Zweifel geäußert wurden (Fischer, 69. Aufl. 2022, StGB § 130 Rn. 30).

Ein Verharmlosen liegt vor, wenn der Äußernde die Anknüpfungstatsachen für die Tatsächlichkeit der NS-Gewalttaten herunterspielt, beschönigt oder in ihrem wahren Gewicht verschleiert (BGH, Urt. v. 22.12.2004, Az: 2 StR 365/04), zB durch den „polemischen Vergleich“, dass „es primär massive politische Interessen sind, welche dem Durchbruch der historischen Wahrheit im Zusammenhang mit dem Holocaust entgegenstehen, und zwar nicht einmal in erster Linie diejenigen der überlebenden Juden und derer Abkömmlinge oder gar des Staats Israel, sondern vor allem diejenigen unserer eigenen (deutschen) politischen Klasse, welche ihre einzigartige politische Unfähigkeit seit fast 50 Jahren mit der ‚Einzigartigkeit der deutschen Schuld’ legitimiert und nicht in der Lage ist, zuzugeben, dass sie sich an der Nase herumführen und für dumm verkaufen lässt.“ (BGH, Urt. v. 06.04.2000, Az: 1 StR 502/99).

Öffentliches Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft (§ 130 Abs. 4 StGB)

Gegenstand ist hier die Handlungen, die unter der Gewaltherrschaft des NS-Regimes begangen wurden. Nicht umfasst sind Äußerungen, die sich zB auf staatliches Handeln beschränken, das nicht unmittelbar Ausdruck der Gewalt- und Willkürherrschaft ist (NK-StGB/Ostendorf/Kuhli, 6. Aufl. 2023, StGB § 130 Rn. 30), wie wohl zB der Bau von Autobahnen. Erfasst seien nämlich nur Äußerungen, die sich auf „kennzeichnende Menschenrechtsverletzungen“ beziehen (BVerfG; Beschl. v. 04.11.2009, Az: 1 BvR 2150/08, Rn. 100).


Billigen meint ein Gutheißen; Verherrlichen stellt die bezeichnete Gewalt- und Willkürherrschaft als großartig oder dergleichen dar; das Rechtfertigen umfasse das Verteidigen der geschehenen Menschenrechtsverletzungen.


Dabei muss der öffentliche Frieden gestört werden und die Würde der Opfer der NS-Herrschaft verletzt werden. Letzteres wird durch das Billigen, verherrlichen oder rechtfertigen in der Regel anzunehmen sein.

Ist es Volksverhetzung, wenn der Beschuldigte von der Wahrheit seiner Äußerungen überzeugt ist?

Das spielt grundsätzlich keine Rolle. Erforderlich ist in der Regel, dass der Beschuldigte die Volksverletzung billigend in Kauf nimmt. Eine Handlung, die als Volksverhetzung den Tatbestand des § 130 StGB verwirklicht, ist grundsätzlich strafbar. Daran ändert es nichts, wenn der Beschuldigte der Meinung ist, die zum Ausdruck kommende Haltung sei sachlich gut begründbar und die Tat deshalb vollkommen unangemessen.

Keine Strafe wegen Volksverhetzung bei Sozialadäquanz

In bestimmten Fällen findet trotzdem keine Bestrafung wegen Volksverhetzung statt, namentlich, wenn der volksverhetzende Inhalt „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.“ (§ 86 Abs. 4 StGB iVm § 130 Abs. 8 StGB).

In der Regel wird in solch einem Fall aber schon keine Eignung für die Störung des öffentlichen Friedens vorliegen (wenn etwa eine Lehrkraft im Rahmen des Geschichtsunterrichts die Symbolik des Hakenkreuzes zeigt, erklärt und mit den Schülern das Geschehen um den Nationalsozialismus angemessen einordnet).


Der Tatbestand der Volksverhetzung fällt durch seine Komplexität auf, die sich schon in der Länge der Vorschrift andeutet. Viele verschiedene Alternativen und viele Wertungsfragen stehen im Raum. Die beste Grundlage für eine effektive Strafverteidigung bietet der Einsatz eines erfahrenen und engagierten Strafverteidigers, der den Einzelfall würdigt, um im Austausch mit dem Mandanten eine Verteidigungsstrategie auszuarbeiten und sodann konsequent zu verfolgen.

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