Vorlage zum EuGH: BGH bleibt beim Thema Online-Sportwetten auf der Seite des Spielers

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Der erste Fall, bei dem es um das illegale Angebot von Online-Sportwetten in Deutschland geht, kommt vor den Europäischen Gerichtshof. Rechtsanwalt Thomas Schopf erklärt, was das nun für Spieler bedeutet, die ihre Verluste aus illegal angebotenen Online-Sportwetten zurückholen wollen und weshalb sie mit dem Klagen nicht zögern sollten. 


Zunächst dürfte der Beschluss, den der Bundesgerichtshof am 25. Juli veröffentlicht hat, Anbieter Tipico die gute Laune verderben. Denn der BGH äußert sich durchweg spielerfreundlich. Dass der Fall (Az.: I ZR 90/23) vor den EuGH kommt, bedeutet für Tipico aber immerhin einen guten Zeitgewinn. Denn bis der EuGH über die Sache entscheidet, können einige Monate vergehen. Wichtig ist, dass Online-Sportwetten-Spieler, die ihre Verluste zurückfordern wollen, jetzt nicht zögern. Denn Verluste können zehn Jahre rückwirkend zurückgeholt werden. Dabei zählt das Datum der Einreichung der Klage.


Tipico hatte keine gültige Lizenz für das Angebot von Online-Sportwetten in Deutschland


Der einzige Notnagel, an den sich der Anbieter von Online-Sportwetten zurzeit noch klammert ist die Dienstleistungsfreiheit in Europa. Denn dass Tipico keine Lizenz hatte und mit seinem Angebot dazu auch viele Regeln zum Spielerschutz nicht eingehalten hat, stellt der BGH in seiner Vorlage noch einmal eindeutig heraus. Ob die Dienstleistungsfreiheit in Europa nun wegen des gesetzlichen Wirrwars um die Vergabe von Lizenzen an Sportwettenanbieter in Deutschland über dem deutschen Spielerschutz steht, soll nun der Europäische Gerichtshof klären. Damit will der BGH in diesem Punkt endlich Klarheit schaffen. Sollte der EuGH entscheiden, dass die Verträge mit Tipico nichtig waren, bekommt nicht nur der Spieler aus dem aktuellen Fall seine Verluste zurück. Auch zahlreiche weitere Spieler haben dann beste Chancen.


Mehr zum aktuellen Fall finden Sie hier


Um zu verstehen, um was es eigentlich geht, ist Hintergrundwissen notwendig, das der BGH in seiner Vorlage ausführlich erklärt. Das Wichtigste in Kürze


1. Das gescheiterte Lizenzvergabeverfahren


2012 gab es bereits ein Lizenzvergabeverfahren in Deutschland, dass an der Europäischen Union gescheitert ist. Damals hatte sich auch Tipico auf eine Lizenz beworben – und konnte dann wie viele andere Anbieter – keine Lizenz bekommen. Das wollte sich Tipico nicht bieten lassen, klagte und bekam zunächst recht – und zwar vom Verwaltungsgericht Wiesbaden. Das Land Hessen legte Berufung ein. In der Berufung bekam Tipico mitgeteilt, dass das Urteil aufgehoben werden soll. Das Verfahren wurde dann jahrelang ausgesetzt und das Urteil schließlich aufgehoben. Tipico ging einfach trotzdem auf den Markt – ohne gültige Lizenz. Konzessionen für das Angebot von Online-Sportwetten gab es in Deutschland erst Jahre später ab Oktober 2020 zu erwerben.


2. Keine strafrechtliche Verfolgung 


In diesem ganzen Durcheinander war Tipico nicht alleine und auch andere Sportwettenanbieter breiteten sich einfach im Internet aus – auch ohne Lizenzen, ohne Kontrolle und ohne Spielerschutzregeln einzuhalten. Die eindrücklichsten Punkte:


- Spieler sollten eigentlich nur 1000 Euro pro Monat einsetzen dürfen.


- Wer Sportwetten online anbot durfte nicht gleichzeitig Casinospiele auf derselben Seite anbieten.


- Suchtanreize durch Wettarten mit schnellen Wiederholungen müssen ausgeschlossen werden.


Um es kurz zu machen: Nichts davon hatte Tipico eingehalten.


Dennoch entschied der EuGH, dass Anbieter von Online-Sportwetten in Deutschland wegen der Unklarheiten nicht strafrechtlich verfolgt werden dürften. Bei der Frage, ob die Spieler ihre Verluste zurückbekommen, geht es aber nicht um Strafrecht, sondern um Zivilrecht.


3. Die europäische Dienstleistungsfreiheit


Der BGH stellt dem EuGH nun zwei wichtige Fragen:


a) Steht die Dienstleistungsfreiheit eines europäischen Glücksspielanbieters über dem deutschen Spielerschutz und dem Willen des Gesetzgebers, Glücksspiele zu begrenzen. Sind die Verträge mit Tipico also dennoch gültig, obwohl der Anbieter keine Lizenz hatte/bzw. bekommen konnte?


Der BGH formuliert das so:


Schließt es die Dienstleistungsfreiheit eines Glücksspielanbieters mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union aus, einen über das Internet geschlossenen privatrechtlichen Vertrag über Sportwetten, die ohne die hierfür nach dem nationalen Recht erforderliche Erlaubnis angeboten wurden, als nichtig zu betrachten, wenn der Anbieter in Deutschland eine Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten beantragt hatte und das für diesen Antrag geltende Verfahren auf Konzessionserteilung unionsrechtswidrig durchgeführt wurde?“


b) Kann ein Spieler keinen Schadenersatz fordern, wenn der Glücksspielanbieter zwar keine gültige Lizenz besaß, aber immerhin eine beantragt hatte, das Vergabeverfahren aber als unionsrechtswidrig galt? Gilt dies auch dann, wenn im eigenen Land eigentlich ein Online-Glücksspielverbot galt?


Der BGH formuliert dies so:


„Schließt es die Dienstleistungsfreiheit eines Glücksspielanbieters mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union aus, das nationale Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zur Veranstaltung von Sportwetten im Internet als Schutzgesetz mit der möglichen Folge einer Schadensersatzpflicht zu betrachten, wenn der Anbieter in Deutschland eine Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten beantragt hatte und das für diesen Antrag geltende Verfahren auf Konzessionserteilung unionsrechtswidrig durchgeführt wurde?“


Online-Sportwetten: BGH zeigt, weshalb Dienstleistungsfreiheit beim Schutz der Bevölkerung enden sollte


In seiner 32-Seitigen Beschlussvorlage teilt der BGH nun dem EuGH seine Sicht der Dinge ausführlich mit. Der Tenor liegt dabei darauf, dass die europäische Dienstleistungsfreiheit dort enden sollte, wo der Schutz der Bevölkerung beginnt. 


Der BGH legt deutlich dar, dass die Regelungen des Glücksspielstaatvertrages von 2012 Schutzgesetze sind. Und zwar um die Entstehung von Glücksspielsucht zu verhindern und dadurch Sucht wirksam zu bekämpfen. Der Spieltrieb der Bevölkerung soll in regulierte Bahnen gelenkt werden, um die Entstehung von Schwarzmärkten und die dazugehörige Begleitkriminalität abwehren.


Dabei betont der BGH ausdrücklich, wie wichtig dabei die Rückforderungsmöglichkeit der Spieler ist, wenn keine gültige Lizenz vorliegt, um diesen Schutz durchzusetzen. Auch daraufhin, wie schwierig es bei Internet-Angeboten ist, die Sache zu kontrollieren, weist der BGH hin. Denn hier gibt es keine soziale Kontrolle, die Spieler zocken anonym und in Isolation. Die Gefahren für junge Menschen seien dabei besonders hoch. Und da die meisten Anbieter ihren Sitz im Ausland haben, sei es für sie einfach, sich den Kontrollen der deutschen Behörden zu entziehen. Das gesetzliche Verbot von Online-Glücksspiel ist also viel mehr als die Beschränkung bestimmter Dienstleistungen, sondern es dient dem Schutz der Bevölkerung.


Um die Dimension zu zeigen, wie die Bevölkerung in Deutschland von unerlaubten Glücksspielangeboten im Internet gebeutelt wurde, plaudert der BGH aus dem Nähkästchen:


Mit Blick auf das Gewicht des Bevölkerungsschutzes ist zu beachten, dass die Klagesumme im Streitfall unterdurchschnittlich ausfällt. In einer erheblichen Anzahl der beim Senat anhängigen Verfahren beläuft sich der pro Spieler geltend gemachte Nettoverlust auf mehr als 100.000 €.“


Für den BGH ist aus all diesen Gründen klar: Wer sich nicht an die Bestimmungen des Glücksspielstaatsvertrags hält, bekommt keine Lizenz oder ihm wird die Lizenz entzogen. Dabei verweist der BGH auf seinen Hinweisbeschluss vom 22. März 2024. Dieser betraf übrigens einen Mandanten der HFS Rechtsanwälte. Mehr Infos gibt es hier.


Der BGH sagt dazu genau Folgendes:


Der Senat hat in einem Hinweisbeschluss die vorläufige Ansicht vertreten, dass es jedenfalls für solche Online-Sportwettenangebote, die auch in einem unionsrechtskonformen Konzessionserteilungsverfahren nicht ohne Weiteres erlaubnisfähig gewesen wären, insbesondere weil die angebotenen Sportwetten dem materiellen Glücksspielrecht widersprachen, bei der Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB verbleibt, ohne dass es insoweit einer unionsrechtlichen Klärung bedarf.“(…) Aus Sicht des Senats gebietet es das Unionsrecht nicht, solche Sportwettenangebote zivilrechtlich als wirksam zu behandeln.“


BGH: Die Regelungen zu Online-Sportwetten sind keine Unionssache


Das oberste deutsche Zivilgericht beruft sich auf die EuGH-Rechtsprechung, nach der das Glücksspielrecht zu den Bereichen gehört, die von den Mitgliedsstaaten selbst geregelt werden dürfen. Zugrunde liegen beträchtliche sittliche, religiöse und kulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten. Die Regelungen richten sich nach den jeweiligen Wertordnungen.


Der BGH sagt dazu:


Daher ist es Sache der Mitgliedstaaten zu beurteilen, ob es im Zusammenhang mit den von ihnen verfolgten legitimen Zielen erforderlich ist, Spiel- und Wetttätigkeiten vollständig oder teilweise zu verbieten oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu diesem Zweck mehr oder weniger strenge Kontrollformen vorzusehen.(…) Eine Pflicht der Mitgliedsstaaten, eine von einem anderen Mitgliedsstaat erteilte Erlaubnis anzuerkennen, ergibt sich aus dem Unionsrecht nicht.“ 


Das bedeutet im Bezug auf Tipico, dass der BGH keinen Anlass sieht, weshalb die Lizenz des Anbieters aus Malta (dort ist der Firmensitz) in Deutschland gelten sollte.


Der 1. Senat sagt außerdem deutlich: „Nach nationalem Recht ist ein Sportwettenvertrag nichtig, den ein Anbieter entgegen dem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für öffentliche Sportwetten (…) geschlossen hat.“ 


Erlaubnisvorbehalt bedeutet hier, dass Online-Sportwetten ausschließlich mit einer gültigen Lizenz in Deutschland angeboten werden durften.


Der Wind, der aus dem BGH weht, beflügelt also deutlich die Rechte und den Schutz der Spieler. Es bleibt dennoch spannend, wie sich der Europäische Gerichtshof entscheiden wird.


Sie haben auch Geld bei einem Anbieter von Online-Sportwetten verloren und möchten Ihre Verluste zurückholen? Ich helfe Ihnen gerne!


Bitte kontaktieren Sie mich hier über anwalt.de oder über schopf@rechtsanwaelte.de























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Foto(s): Dambacher-Schopf

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