Wann bin ich eigentlich berufsunfähig?

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Häufig stellt sich die Frage, wann eigentliche die Berufsunfähigkeit in einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung vorliegt. Der Begriff der Berufsunfähigkeit ist dabei in § 172 Abs. 2 VVG wie folgt legaldefiniert:

„Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann.“

Diese Formulierung wird üblicherweise in die jeweiligen Versicherungsbedingungen übernommen. Nach der Definition ist es also erforderlich, dass der zuletzt ausgeübte Beruf krankheitsbedingt ganz oder teilweise nicht mehr ausgeübt werden kann. Auf die Tätigkeit bei Abschluss des Versicherungsvertrages ist also nicht abzustellen. Vielmehr ist immer zu prüfen, welche ganz konkrete Tätigkeit zuletzt, also in gesunden Tagen, ausgeübt wurde.

War der Versicherungsnehmer beispielsweise zuletzt als Garten- und Landschaftsbauer beschäftigt, darf er diese Tätigkeit aus medizinischen Gesichtspunkten vernünftigerweise nicht mehr ausüben können. Allerdings kann auch die Tätigkeit als Garten- und Landschaftsbauer unterschiedlich ausgestaltet sein, sodass anhand einer genauen Tätigkeitsbeschreibung geprüft werden muss, ob der Versicherungsnehmer die einzelnen Tätigkeiten noch ausüben kann. Hier bietet es sich an, einen Stundenplan zu erstellen, welcher wie folgt aussehen könnte. 

Zeit

Tätigkeit

Einschränkung

07:30 – 08:00 Uhr

Mitarbeiterbesprechung

Nein

08:00 – 08:30 Uhr

Fahrt zum Kunden

Nein

08:30 – 16:30 Uhr

Pflasterarbeiten

Ja

Leidet der Versicherungsnehmer beispielsweise an einem Bandscheibenvorfall und kann daher keine körperlichen Arbeiten durchführen, wären die Pflasterarbeiten von 09:00 bis 16:00 Uhr aus medizinischer Sicht nicht möglich. Wenn die Mitarbeiterbesprechung sowie die Fahrt zum Kunden trotz der Erkrankung noch möglich sind, beschränkt sich die Berufsunfähigkeit auf die Pflasterarbeiten. Bei einer täglichen Arbeitszeit von 07:30 Uhr bis 16:30 Uhr, also in einem Umfang von 9 Stunden, wären dem Versicherungsnehmer 8 Stunden seiner Tätigkeit, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war, aufgrund des Bandscheibenprolaps, nicht mehr möglich.

Da dem Versicherungsnehmer die Mitarbeiterbesprechung sowie die Fahrt zum Kunden mit einer Gesamtzeit von 1 Stunde trotzdem noch möglich sind, wäre in dem Beispielsfall von einer Berufsunfähigkeit von ca. 88 % auszugehen. Wenn der Versicherer beispielsweise eine Leistung bei mindestens 50-prozentiger Berufsunfähigkeit verspricht, stünde dem Versicherungsnehmer in dem obigen Beispiel ein entsprechender Leistungsanspruch zu.

Zu berücksichtigen ist, dass es sich hierbei um ein stark vereinfachtes Beispiel handelt. Bei täglich wechselnden Tätigkeiten ist die Tätigkeitsbeschreibung entsprechend über einen längeren Zeitraum vorzunehmen und die krankheitsbedingten Einschränkungen zu bewerten.

Zudem muss der Zustand voraussichtlich dauerhaft verbleibend sein. Es muss also ein Zustand erreicht sein, der eine Wiederherstellung der Arbeitskraft voraussichtlich nicht erwarten lässt. Voraussichtlich dauernd meint dabei zumindest einen Zeitraum von 3 Jahren. Festzustellen ist also, ob zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit eine Wiederherstellung der Arbeitskraft für einen Zeitraum von 3 Jahren zu erwarten ist.

Des Weiteren kann nach § 172 Abs. 3 VVG vereinbart werden, die versicherte Person auch keine andere Tätigkeit ausübt oder ausüben kann, die zu übernehmen sie aufgrund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht, sog. abstrakte Verweisung.

Schließlich ergeben sich bei Selbstständigen einige Besonderheiten. So muss der Selbstständige seinen Betrieb im Rahmen des Zumutbaren umorganisieren, um bedingungsgemäß berufsunfähig zu sein.

Es bleibt also festzuhalten, dass regelmäßig auf den zuletzt ausgeübten Beruf und die konkrete Ausgestaltung der Tätigkeit abzustellen ist. Diese Tätigkeit darf infolge einer gesundheitlichen Beeinträchtigung aus medizinischer Sicht vernünftigerweise zumindest teilweise nicht mehr auszuüben sein. Allerdings ist es für die Berufsunfähigkeit nicht erforderlich, dass der Versicherungsnehmer seine Tätigkeit auch tatsächlich nicht mehr ausübt, vgl. BGH, Az.: IV ZR 5/11.

Sollte der Berufsunfähigkeitsversicherer die Leistung mit dem Hinweis, dass keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliege, ablehnen, sollten Sie die Ablehnung unbedingt durch einen auf das Versicherungsrecht spezialisierten Anwalt überprüfen lassen. Bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche bin ich Ihnen selbstverständlich gern behilflich. 


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