Warum der Widerrufsjoker immer noch zieht, aber Eile geboten ist!

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Das Thema war bereits Gegenstand zahlreicher Artikel und Aufsätze. Es hat von seiner Aktualität jedoch nichts verloren.

Darlehensverträge für Immobiliendarlehen mussten ab dem 1. November 2002 mit einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung erteilt werden. Waren die von den Banken vorgelegten Belehrungen bis zum Juni 2010 mit den jeweiligen Muster-Belehrungen gemäß der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a.F. eins-zu-eins übereinstimmend, so galten diese trotz möglicher inhaltlicher Fehler als gesetzeskonform (BGH, Urteil vom 15.08.2012, Az.: VIII ZR 378/11). Hat eine Bank auch nur kleine Abweichungen, möglicherweise auch nur im Layout vorgenommen, ist der Weg zu einer inhaltlichen Überprüfung frei, da dann nicht mehr die gesetzliche Richtigkeitsfiktion greift.

Was ordnungsgemäß meint, war bereits Gegenstand zahlreicher gerichtlicher Verfahren. Untersuchungen haben ergeben, dass geschätzt 80% der erteilten Widerrufsbelehrungen fehlerhaft und damit nichtig sind. Die Folge ist, dass Darlehensnehmer nicht an die 14-tägige gesetzliche Widerrufsfrist gebunden sind, sondern die Darlehen grundsätzlich zeitlich unbefristet widerrufen werden können, voraussichtlich aber nur noch bis zum 21. Juni 2016. Mit dem Widerruf kann eine Umfinanzierung vorgenommen werden, um von den aktuellen Niedrigzinsen zu profitieren.

Folgend einige der bereits beanstandeten Belehrungen

Ergänzende Formulierungen – Ergänzende Formulierungen, die für den Kreditnehmer verwirrend und unverständlich sind, machen eine Belehrung fehlerhaft (BGH, Urteil vom 10.03.2009, Az.: XI ZR 33/08). Der BGH entschied dies für die folgende Klausel: „Der Lauf der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag, nachdem dem Darlehensnehmer diese Belehrung mitgeteilt und eine Vertragsurkunde, der schriftliche Darlehensantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Darlehensantrages zur Verfügung gestellt wurde.“

Falsche Fristberechnung – Die Formulierung: „Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ ist unzureichend. Der Verbraucher kann der Verwendung des Wortes „frühestens“ zwar entnehmen, dass der Beginn der Widerrufsfrist noch von weiteren Voraussetzungen abhängt, er wird aber im Unklaren darüber gelassen, um welche Voraussetzungen es sich dabei handelt. Das Wort „frühestens“ erzeugt Unklarheit und suggeriert dem Darlehensnehmer fälschlicherweise, die Frist könne eventuell auch später beginnen (BGH, Urteil vom 01.12.2010, Az.: VIII ZR 82/10; BGH, Urteil vom 01.03.2012, Az.: III ZR 83/11; BGH, Urteil vom 19.07.2012, Az.: III ZR 252/11).

Fehlender Hinweis auf Rechtsfolgen – Werden in der Belehrung die Rechtsfolgen des Widerrufs nicht erläutert oder gar falsch dargestellt, ist die Belehrung nicht korrekt (LG Köln, Urteil vom 17. 09.2013, Az.: 21 O 475/12). Steht in der Belehrung, dass Zahlungen innerhalb von 30 Tagen nach Absendung der „Widerrufsbelehrung“ erstattet werden müssen, ist dies unzutreffend und nicht nur ein Schreibversehen der Bank. Es hätte Absendung der „Widerrufserklärung“ heißen müssen (KG Berlin, Beschluss vom 20.10.2015, Az.: 4 W 16/15). Ebenso unzureichend ist es, wenn in der Belehrung lediglich die Pflichten des Darlehensnehmers, nicht aber seine Rechte auf Erstattung seiner Zahlungen aufgeführt sind (BGH, Urteil vom 12.04.2007, Az.: VII ZR 122/06).

Ergänzende Fußnote – Enthält die Widerrufsbelehrung in der ersten Zeile nach „Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen“ eine hochgestellte „2“, die auf einen am Ende der Seite befindlichen Fußnotentext verweist, der folgenden Wortlaut enthält: „Bitte Frist im Einzelfall prüfen.“, so ist die Belehrung nicht ordnungsgemäß.  Eine solche Anmerkung ist in dem Muster nicht vorgesehen und richtete sich offenbar an die Mitarbeiter der Bank, die nach einer Prüfung die einschlägige Frist einsetzen sollten. Beim Verbraucher kann ein solcher Hinweis zu Unklarheiten führen. Der Verbraucher könnte denken, er müsse selbst die Frist noch prüfen. Die Widerrufsbelehrung ist deshalb unwirksam (OLG München, Urteil vom 21.10.2013, Az.: 19 U 1208/13; LG Siegen, Urteil vom 24.07.2015, Az.: 2 O 350/14; LG Düsseldorf, Urteil vom 17.03.2005, Az.: 10 O 131/14).

Keine Anpassung auf den Einzelfall - Hat eine Bank alle Gestaltungshinweise in der Belehrung aufgeführt, ohne sie dem konkreten Einzelfall anzupassen, ist die Belehrung nicht ordnungsgemäß (LG Köln, Urteil vom 17.09.2013, Az.: 21 O 475/12). Eine Widerrufsbelehrung mit Ankreuzoptionen entspricht nach Auffassung des Landgerichts Ulm nicht den Anforderungen des Gesetzes (LG Ulm, Urteil vom 17.07.2013, Az.: 10 O 33/12 KfH). Das wurde aber vom OLG Stuttgart anders gesehen – ein Formular zum Ankreuzen soll ordnungsgemäß sein (OLG Stuttgart, Urteil vom 24.04.2014, Az.: 2 U 98/13). Dieses Urteil ist Gegenstand einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes voraussichtlich im Februar 2016.

Fehlende Aufführung des Wortes „Widerrufsrechts“ – Fehlt in der Widerrufsbelehrung die im Muster vorgesehene – und durch Fettdruck hervorgehobene – Zwischenüberschrift „Widerrufsrecht“, so ist dies nach dem Kammergericht Berlin als schädlich anzusehen, weil damit dem Verbraucher gerade die wesentliche Information vorenthalten wird, dass es bei der Belehrung um ein von ihm auszuübendes Recht geht (Kammergericht Berlin, Urteil vom 22.12.2014, Az.: 24 U 169/13).

Belehrung bei verbundenen Geschäften – Das OLG Hamm (OLG Hamm, Urteil vom 25.08.2008, Az.: 31 U 59/08) hat folgende Klausel beanstandet: „Steht mir für den verbundenen Vertrag ein gesetzliches Widerrufsrecht zu, so ist mein Recht zum Widerruf dieses Verbraucherdarlehensvertrages ausgeschlossen. Erkläre ich dennoch den Widerruf dieses Verbraucherdarlehensvertrages gegenüber der Bank, gilt dies als Widerruf des verbundenen Vertrages gegenüber dem Unternehmer.“ Es führt aus: „Im Fall der hier gegebenen Verbindung des Darlehensvertrages mit einem anderen Vertrag muss die Belehrung gemäß § 358 Abs. 5 BGB auch den Hinweis darauf enthalten, dass der Verbraucher bei Widerruf des einen verbundenen Vertrages auch nicht an den anderen gebunden (§ 358 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB) und das nach § 358 Abs. 2 Satz 2 BGB das Widerrufsrecht hinsichtlich des finanzierten Vertrages vorrangig ist.

Aufgrund eines wirksamen Widerrufs wandelt sich der Darlehensvertrag in ein sogenanntes Rückabwicklungsverhältnis, die Parteien haben sich die empfangenen Leistungen daher gegenseitig zurückzugewähren. Die Bank muss hierzu nach erfolgtem Widerruf alle vom Darlehensnehmer erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen erstatten und diese mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Zugang der jeweiligen Leistungen verzinsen (BGH, Beschluss vom 22.09.2015, Az.: XI ZR 116/15). Die Bank darf ihrerseits die vereinbarten Zinsen für die Kapitalüberlassung verlangen, jedoch nur für die Restschuld (BGH, Beschluss vom 22. 09.2015, Az.: XI ZR 116/15). Hier rechnen die Banken in den meisten Fällen mit einem Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu ihren Gunsten, wobei es dem Darlehensnehmer offen steht, eine geringere Verzinsung (z.B. anhand der jeweils aktuellen, niedrigeren Basiszinssätze) nachzuweisen. Unter Umständen kann sich hier eine Vergünstigung ergeben, wenn der marktübliche Sollzins für ein vergleichbares Darlehen geringer gewesen ist.

Aber auch wenn die  Finanzierung gar nicht mehr läuft, weil der Vertrag aufgelöst worden ist, kann ein Fehler in der Widerrufsbelehrung erhebliche finanzielle Vorteile bedeuten. Denn eine bereits gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung kann zurück gefordert werden sofern noch keine Verjährung eingetreten ist (3 Jahre ab dem Schluss des Jahres in dem die Vorfälligkeitsentschädigung bezahlt wurde).

Das Widerrufsrecht ist bei Verbraucherkrediten nach geltendem Recht zeitlich nicht befristet, wenn eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung erfolgt ist. Der Gesetzgeber plant das Widerrufsrecht im Rahmen der Umsetzung der Wohnimmobilienverbraucherkreditrichtlinie (Richtlinie 2014/17/ЕU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.02.2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU) zu reformieren (BT-Drucksache 18/5922). Danach soll auch das Widerrufsrecht bei Verbraucherkreditverträgen zeitlich begrenzt werden. Die Richtlinie soll zum 21.03.2016 in deutsches Recht umgesetzt werden.

Der Bundesrat hat in seiner 936. Sitzung am 25. September 2015 (BR-Drucksache 359/15) empfohlen, dass aus Gründen der Rechtssicherheit die Überleitungsvorschrift des Artikels 229 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (BGBEG) auch für bereits vor dem 21. März 2016 geschlossene Immobiliar-Verbraucherdarlehen eine gesetzliche Ausschlussfrist des Widerrufrechts aufgenommen wird. Nach dem Vorbild des Artikels 229 § 32 Absatz 2 Nummer 3 BGBEG könne das Widerrufsrecht auf maximal zwölf Monate und 14 Tage nach Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes befristet werden.

Die Bundesregierung hat sich dieser Anregung angeschlossen, wie sich aus der Bundestagsdrucksache 18/6286 ergibt: Gerade bei Immobiliardarlehensverträgen mit Verbrauchern, die in den Jahren 2002 bis 2010 geschlossen wurden, besteht aber erhebliche Rechtsunsicherheit. Das Bundesministerium der Finanzen hat darauf hingewiesen, dass diese fortbestehende Rechtsunsicherheit eine Belastung für die Kreditwirtschaft darstellt. Es und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz haben für den weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens einen Vorschlag unterbreitet: Entsprechend der Regelung für die Neufälle im Gesetzentwurf der Bundesregierung wird darin für die Altfälle 2002 bis 2010 empfohlen, eine Erlöschensregelung vorzusehen. Diese würde nach den Plänen am 21.06.2016 greifen.

Es gibt also noch eine Schonfrist, in der die Widerrufsbelehrungen geprüft und widerrufen werden können. Wird die Umsetzung wie geplant verabschiedet, ist die Widerrufsmöglichkeit für Alt-Darlehensverträge und damit eine Umfinanzierung während eines laufenden Vertrages ohne Vorfälligkeitsentschädigung und ohne den Anspruch auf Herausgabe der bereits geleisteten Zahlungen ab dem 21.06.2016 nicht mehr möglich.

Philip Keller

Rechtsanwalt


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