Warum richtet sich Unterhalt nicht nach prozentualem Anteil des Gehalts?

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Sie zahlen Unterhalt. Da wohl jeder Euro zählt, möchten Sie wissen, nach welchem Maßstab der Unterhalt berechnet wird. Auch wenn die Frage einen eher rechtstheoretischen Charakter hat, liefert die Antwort die Erkenntnis, welche Rolle der prozentuale Anteil des Gehalts bei der Unterhaltsberechnung spielt.

Beispiel

Verdient der unterhaltspflichtige Elternteil bis 2100 € netto, sind laut Düsseldorfer Tabelle für ein bis zu fünf Jahre altes Kind 480 € Kindesunterhalt zu zahlen. Dieser Unterhaltsbetrag entspricht ca. 23 % des Nettogehalts. Genauso gut könnte der Gesetzgeber den Unterhalt so regeln, dass beispielsweise immer 20 % oder 25 % des Nettogehalts als Kindesunterhalt zu leisten sind. Doch so einfach ist es nicht. Dafür ist der Lebensbedarf eines Kindes zu unterschiedlich.

Der Gesetzgeber hat sich deshalb aus guten Gründen für eine pauschale Bestimmung entschieden, nach der der Kindesunterhalt den gesamten Lebensbedarf eines Kindes umfasst und es der Rechtsprechung überlassen, diesen Lebensbedarf im Einzelfall zu konkretisieren. Daraus hat sich für den Kindesunterhalt letztlich die Düsseldorfer Tabelle entwickelt.

Ähnlich ist es, wenn es um die Berechnung des Trennungs- oder Ehegattenunterhalts geht. Hier wird auf die Lebensverhältnisse während der Ehe und die Bedarfsgerechtigkeit abgestellt. Ein prozentualer Ansatz könnte diesem Ziel nicht gerecht werden.

Wäre ein prozentual bemessener Kindesunterhalt nicht zweckmäßiger?

Stellen Sie die Frage so, bleiben viele Aspekte außer Betracht. Das Argument, dass sich Gehaltserhöhungen des unterhaltspflichtigen Elternteils bei einem prozentual bemessenen Anteil des Kindesunterhalts am Gehalt auch dann auswirken, wenn der Elternteil nicht ausdrücklich aufgefordert wurde, mehr Unterhalt zu zahlen, greift zu kurz. Die Argumente gegen diesen Vorschlag ergeben sich daraus, dass Sie die gesetzliche Regelung und die Düsseldorfer Tabelle besser verstehen. Bereits die gesetzliche Regelung arbeitet mit Prozentsätzen. Auch in der Düsseldorfer Tabelle finden Sie zur Unterhaltsbemessung Prozentsätze.

Praxistipp: Recht ist nie perfekt

Verabschieden Sie sich von der Vorstellung, dass Recht immer fair und absolut gerecht sein muss. Oder das, was „Recht“ ist, existiere aus sich heraus und müsse nur „gefunden“ werden. Recht ist so gut wie immer ein Kompromiss. Weil meist unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen sind, versucht der Gesetzgeber die Gratwanderung, eine Regelung zu finden, mit der allen Interessen Rechnung getragen werden kann. Auch wenn eine gesetzliche Regelung selten perfekt ist, ist sie besser als gar keine Regelung. Wichtig ist, dass es eine Regelung gibt und die Interessen gegensätzlicher Parteien nach Maßgabe dieser Regelung einer Lösung zugeführt werden können. Auch die Düsseldorfer Tabelle zum Kindesunterhalt ist solch eine Regelung.

Aller Anfang ist das Gesetz

Geht es um die Bemessung des Kindesunterhalts, vollzieht das Gesetz eine Schrittfolge. § 1610 BGB bestimmt, dass der Unterhalt den gesamten Lebensbedarf einer unterhaltsbedürftigen Person und bei minderjährigen Kindern auch die Kosten der Erziehung umfasst. Dieser Grundsatz wird in § 1612a BGB konkretisiert. Danach kann ein minderjähriges Kind von dem nicht betreuenden Elternteil den Unterhalt als Prozentsatz des jeweiligen Mindestunterhalts verlangen. Dieser Mindestunterhalt richtet sich wiederum nach dem steuerfrei stellenden sächlichen Existenzminimum des minderjährigen Kindes. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz legt den Mindestunterhalt regelmäßig durch Rechtsordnung fest.

Weil das Gesetz keine festen Bedarfsbeträge nennt, sondern nur unbestimmte und interpretierungsbedürftige Rechtsbegriffe verwendet, hat die Rechtsprechung Tabellen entwickelt, mit deren Hilfe die Unterhaltsbeträge ermittelt werden können. Seit den sechziger Jahren hat sich bundesweit die Düsseldorfer Tabelle durchgesetzt. Die Düsseldorfer Tabelle hat keine Gesetzeskraft, wird aber in der Praxis nahezu ausnahmslos als Grundlage für die Unterhaltsberechnung und als Orientierungshilfe anerkannt. Bei den Tabellensätzen der Düsseldorfer Tabelle handelt es sich um einen pauschalierten Bedarf, der die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten eines Kindes berücksichtigt.

Die Düsseldorfer Tabelle enthält in der Spalte 4 fortlaufende Prozentangaben. In der Einkommensstufe 1 ist für ein Nettoeinkommen bis 2100 € ein Prozentsatz von 100 % angegeben. Parallel dazu wird der Unterhaltsbetrag beispielsweise für ein Kind bis fünf Jahre mit 480 € angegeben (Stand 1.1.2024). Die Unterhaltsbeträge in den nachfolgenden Einkommensstufen ergeben sich dadurch, dass der Betrag von 480 € mit dem jeweils ausgewiesenen Prozentsatz multipliziert wird.

Beispiel

Der Mindestunterhalt beträgt in der Einkommensstufe 1 bis 2100 € für ein fünf Jahre altes Kind 480 €. Will man den Mindestunterhalt in der Einkommensstufe 2 bis 2500 € errechnen, ist der Betrag von 480 € mit dem in der Tabelle ausgewiesenen Prozentsatz von 105 % zu multiplizieren. Es ergibt sich ein Unterhaltsbetrag von 504 €. Genauso ist auch in den anderen Altersstufen zu verfahren. Mit den Prozentsätzen können alle Unterhaltsbeträge rechnerisch ermittelt werden. Sie brauchen diese Rechenaufgabe aber nicht selbst zu vollziehen. Die Tabelle beziffert die Ergebnisse selbst.

Der dynamische Unterhalt ist ein prozentualer Ansatz

In der Praxis wird gerne ein „dynamisierter“ Kindesunterhalt vereinbart. Dann wird der Unterhalt anders als beim statischen Unterhalt nicht als konkreter Betrag in Euro festgelegt, sondern als Prozentsatz eines Regelbetrages. Dadurch passt sich der jeweils zu zahlende Unterhaltsbetrag automatisch an die Verhältnisse an, ohne dass ein gerichtliches Verfahren erforderlich ist oder ein Elternteil aktiv werden muss.

Der Vorteil des dynamisierten Unterhalts besteht darin, dass Streitigkeiten vermieden werden und sich die Zahlbeträge, die der unterhaltspflichtige Elternteil leisten muss, automatisch an das Alter des Kindes oder die Erhöhung der Mindestunterhaltssätze anpassen. Eine automatische Erhöhung des Kindesunterhalts bei einer Gehaltserhöhung lässt sich mit einem dynamisch vereinbarten Unterhalt aber nicht verwirklichen. Denn:

Bereinigtes Nettoeinkommen muss immer neu berechnet werden

Wollte man den Kindesunterhalt prozentual nach dem Gehalt des unterhaltspflichtigen Elternteils bemessen, würde sich im Hinblick auf die bestehende Praxis nichts ändern. Die Erhöhung des Kinderunterhalts würde voraussetzen, dass das Gehalt bekannt ist. Der Elternteil wäre also genauso aufzufordern, Auskunft über seine Einkommensverhältnisse zu erteilen, wie es die geltende gesetzliche Regelung derzeit vorsieht (§ 1605 BGB). Ein Vorteil ist nicht erkennbar.

Nach Maßgabe der Einkommensverhältnisse ist der Kindesunterhalt dann neu zu berechnen. Sinkt das Einkommen, sinkt auch der Unterhalt, steigt das Einkommen, steigt der Unterhalt. Gleiches gilt, wenn der Elternteil höhere oder geringere Verbindlichkeiten bedienen muss und dadurch mehr oder weniger Einkommen für den Kindesunterhalt zur Verfügung steht.

Praxistipp: Unterhalt neu berechnen

Ein unterhaltsberechtigtes Kind hat gesetzlich Anspruch, dass der unterhaltspflichtige Elternteil alle zwei Jahre Auskunft über die Einkommensverhältnisse erteilt. Bereits vor Ablauf von zwei Jahren kann erneut Auskunft verlangt werden, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Elternteil später wesentlich höhere Einkünfte oder weiteres Vermögen erworben hat (§ 1605 BGB). Eine Neuberechnung kann also immer Vorteile bringen, insbesondere weil der unterhaltspflichtige Elternteil nicht verpflichtet ist, von sich aus über seine verbesserten Einkommensverhältnisse zu informieren.

Warum wird der Trennungs- und Ehegattenunterhalt nicht prozentual berechnet?

Geht es um die Berechnung des Trennungs- und Ehegattenunterhalts, kommt eine prozentuale Orientierung am Gehalt des eventuell unterhaltspflichtigen Ex-Partners gleichfalls nicht in Betracht. Im Hinblick auf die Bedarfsgerechtigkeit, soll der Unterhalt den Bedarf des unterhaltsberechtigten Ehepartners decken. Dieser Bedarf hängt von individuellen Umständen wie Lebensstandard, Gesundheitszustand und Betreuungspflichten ab. Ein prozentualer Ansatz würde möglicherweise nicht gerecht berücksichtigen, dass bestimmte Ausgaben (z. B. Miete, Gesundheitskosten) nicht linear mit dem Einkommen steigen.

Auch der Lebensstandard während der Ehe ist ein wichtiger Faktor. Wenn ein Ehepaar einen bestimmten Lebensstandard während der Ehe hatte, wird im Grundsatz versucht, diesen nach der Scheidung aufrechtzuerhalten. Ein prozentualer Ansatz könnte dazu führen, dass der unterhaltsberechtigte Partner einen unangemessen niedrigen Betrag erhält, wenn das Einkommen des Unterhaltspflichtigen stark schwankt.

Alles in allem

Die gesetzlichen Regelungen zum Kindesunterhalt haben sich der Praxis im Großen und Ganzen bewährt. Auch wenn diese Regelungen kritisch betrachtet werden, müsste ein besseres System erst gefunden werden. Sind Sie als Unterhaltsberechtigter oder als Unterhaltspflichtiger daran interessiert, den Unterhalt zu überprüfen, richtig oder neu zu berechnen, sollten Sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Das Ergebnis zahlt sich oft in barer Münze aus. Sprechen Sie uns gerne an.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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