Wohnungsgenossenschaft; Wohnungsbaugenossenschaft, Wohnwertmiete, gerichtliche Prüfung Mieterhöhung

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Die Mieterhöhung in einem Genossenschaftsverhältnis:

“Der genossenschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz und die Wohnwertmiete”

Leitsätze:

  1. Der genossenschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt bei einer Mieterhöhung oder Erhöhung des Nutzungsengeltes im Bereich der Wohnwertmiete in einem ersten Schritt volle Transparenz. Die Wohnungsbaugenossenschaft muss offenlegen, auf welcher Grundlage, nach welchen Kriterien und nach welchem Raster die betroffene Wohnung hinsichtlich einer Wohnwertmiete eingruppiert wurde. 
  2. Die konkrete Anwendung der Wohnwertmiete ist bei einer Mieterhöhung uneingeschränkt justiziabel und gerichtlich überprüfbar. In einem zweiten Schritt unterliegt dann der gerichtlichen Kontrolle, ob die Punktevergabe und Bewertung der konkreten Wohnung willkürfrei und nachvollziehbar erfolgte, also keine begründeten Einwendungen in Bezug auf die Bewertung vorliegen. Anderenfalls ist das Mieterhöhungsverlangen unbegründet.

Im Einzelnen:

1.

Die rund 2.000 Wohnungsgenossenschaften in Deutschland haben ca. 2,2 Millionen Wohnungen im Bestand (Quelle: Bundesverband Deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V.). Der Gesellschaftszweck der Wohnungsbaugenossenschaften wird über deren Gesellschaftsverträge, Satzungen genannt, definiert. Im Kern verfolgen die Wohnungsbaugenossenschaften vorrangig den Zweck, ihre Mitglieder zu angemessenen Preisen mit Genossenschaftswohnungen zu versorgen.

Viele Genossenschaften haben hinsichtlich der Bepreisung des Wohnraums die früher vorherrschenden Prinzipien der Kosten- und Aufwandsdeckung sowie Rücklagenbildung aufgegeben und sich stattdessen einer „Wohnwertmiete" verschrieben. Bei der Wohnwertmiete handelt es sich um ein Nutzungsentgeltsystem, welches sich bezüglich der Preisbildung an dem freien Wohnungsmarkt orientiert und von dem Prinzip der Kosten- und Aufwandsdeckung dadurch zwangsläufig entfernt.

Die Wohnwertmiete ermöglicht einer Wohnungsgenossenschaft das Nutzungsentgelt für die Wohnungen - mehr oder weniger - losgelöst von den Kosten und dem Aufwand bezogen auf die jeweilige Wohnung an der Preisbildung des freien Wohnungsmarktes stärker zu orientieren. Dies gelingt unter anderem dadurch, dass beispielsweise eine Reihe von Bewertungskriterien entwickelt werden, die die Preisbildung am freien Wohnungsmarkt abbilden, wie z.B. die Umgebung der Wohnung in Bezug auf die Lage, Einkaufsmöglichkeiten, Verkehrsanbindung oder Naherholung. Solche Kriterien haben unmittelbar keinerlei Relevanz für die Kosten- und Aufwandsdeckung, fließen aber in einem Nutzungsentgeltsystem, wie der Wohnwertmiete, in die Preisbildung ein.

2.

Ein Großteil der Wohnungsbaugenossenschaften hat die jeweils selbst entwickelten und intern definierten Systeme einer Wohnwertmiete bisher für nicht justiziabel gehalten und sich allein auf das zivilrechtliche Mietrecht und die dortigen Vorschriften der §§ 558 ff. BGB in Hinblick auf Mieterhöhungsverlangen für anwendbar erklärt. Ebenso wird verbreitet die Auffassung vertreten, ein Genossenschaftsmitglied habe keinen Anspruch darauf zu erfahren und zu überprüfen, ob die jeweilige Wohnung willkürfrei und nachvollziehbar in Hinblick auf das genossenschaftsinterne Nutzungsentgeltsystem der Wohnwertmiete bewertet wird.

Mit Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 28.07.2017, Az. 317a C 265/15 (rechtskräftig nach Rücknahme der Berufung durch die klagende Genossenschaft, Landgericht Hamburg, Az. 311 S 69/17) wurde ein Mieterhöhungsverlangen der Wohnungsgenossenschaft abgewiesen, welches diese auf die Wohnwertmiete gestützt hatte. Die Genossenschaft hat es aber unterlassen, auf die Rüge des Beklagten hin offen zu legen, nach welchem Maßstab und für welche Bewertungskriterien in einem Punktesystem Punkte vergeben werden und welche Punktzahlen den jeweiligen 13 Stufen der „Nutzungsentgelt-Spanne" zugrunde liegen.

Die klagende Genossenschaft hatte sich trotz Rüge des Beklagten und gerichtlicher Auflage geweigert, die internen Bewertungskriterien der Wohnwertmiete und die Anwenderinformationen hinsichtlich der Punktevergabe offenzulegen und transparent zu machen. Nach zutreffender Auffassung des Amtsgericht Hamburg-Altona kann dahinstehen, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 558 BGB für das Zustimmungsbegehren der Klägerin vorliegen, denn selbst wenn diese vorlägen, dem Anspruch der Klägerin auf Zustimmung zur Mieterhöhung aus § 558 BGB das genossenschaftsrechtliche Gebot der Gleichbehandlung der Mitglieder der Genossenschaft entgegensteht. Der genossenschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gilt nicht nur für die sich aus der Mitgliedschaft ergebenden Beziehungen zwischen der Genossenschaft und ihren Mitgliedern, sondern auch für die Rechte und Pflichten, die sich für die einzelnen Mitglieder aus der Inanspruchnahme von Genossenschaftseinrichtungen ergeben (BGH, Urteil vom 14.10.2009, Az. VIII ZR 159/08, juris, Rn. 12). Dieser genossenschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz fordert im genossenschaftlich geprägten Mietverhältnis eine willkürfreie, auf sachlich nachvollziehbare Kriterien gestützte Behandlung der Genossenschaftsmieter (vergleiche BGH, Urteil vom 14.10.2009, Az. VIII ZR 159/08, juris, Rn. 12).

3.

Eine Wohnungsbaugenossenschaft trifft im Falle eines Mieterhöhungsverlangens im Rahmen einer Wohnwertmiete im Prozess eine sekundäre Darlegungslast. Nur sie hat Kenntnis darüber, welche Punktzahl welcher Wohnwertstufe entspricht. Legt die Genossenschaft nicht offen, auf welcher Grundlage, nach welchen Kriterien und nach welchem Raster die betroffene Wohnung eingruppiert wurde, liegt automatisch ein Verstoß gegen den genossenschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vor. Es kommt dann im konkreten Fall noch nicht einmal darauf an, ob einzelne Kriterien willkürfrei und nachvollziehbar bewertet wurden. Die Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung wurde daher rechtskräftig abgewiesen.

4.

Das Amtsgericht Hamburg-Altona hat mit weiterem Urteil vom 13.03.2020, Az. 315b C 13/18 (noch nicht rechtskräftig) zwischen denselben Prozessparteien erneut zur Wohnwertmiete eine Entscheidung getroffen und die Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung überwiegend abgewiesen.

Zutreffend führt das Gericht aus, dass neben der Prüfung eines Mieterhöhungsverlangens nach den Vorschriften des Zivilrechts und den §§ 558 ff. BGB auch das genossenschaftsrechtliche Verhältnis zwischen der klagenden Genossenschaft und dem beklagten Mitglied der Genossenschaft relevant ist.

Das Genossenschaftsmitglied hat einen Anspruch darauf, bei einer Mieterhöhung willkürfrei und auf Grundlage sachlich nachvollziehbarer Kriterien behandelt zu werden (vergleiche BGH, NZM 2010, 121). Ein Genossenschaftsmitglied kann verlangen, dass die Eingruppierung der betroffenen Wohnung in dem System der Wohnwertmiete zur Meidung einer Ungleichbehandlung willkürfrei und nachvollziehbar anhand der genossenschaftsinternen Bewertungskriterien erfolgt, welche die Genossenschaft selbstverständlich darlegen und offenlegen muss.

Stellt sich auch in Anbetracht eines gewissen Beurteilungsermessens für die Genossenschaft heraus, dass die Punktevergabe zu einzelnen Bewertungskriterien unschlüssig und nicht nachvollziehbar ist, so kann darauf ein Mieterhöhungsverlangen nicht gestützt werden. Das Mieterhöhungsverlangen ist dann unbegründet.

5.

Im Ergebnis ist also die Wohnwertmiete justiziabel und unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Ein Mieterhöhungsverlangen ist im Anwendungsbereich der Wohnwertmiete nur dann begründet, wenn die Genossenschaft zunächst darlegt, wie und nach welchen Kriterien die konkrete Wohnung bewertet wurde und wie die einzelnen Bewertungskriterien definiert und anzuwenden sind. In einem zweiten Schritt unterliegt dann der gerichtlichen Kontrolle, ob die Punktevergabe und Bewertung der konkreten Wohnung willkürfrei und nachvollziehbar erfolgte, also keine begründeten Einwendungen in Bezug auf die Bewertung vorliegen.

Dr. Thorsten Krause Rechtsanwalt

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

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