Zur Haftung vor Vorständen und Aufsichtsräten - aktuelle Rechtslage

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Eine Entscheidung von Vorständen und Geschäftsleitern bei börsennotierten Gesellschaften ist nach der Rechtsprechung angreifbar, wenn nicht alle zumutbaren Informationen bei der Entscheidungsbildung berücksichtigt wurden. Damit wird eine Unternehmerentscheidung bei Kapitalgesellschaften juristisch nach ähnlichen Maßstäben bewertet wie ein behördlicher Verwaltungsakt.

Der unternehmerische Handlungsspielraum ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes verlassen, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes ausschließlich am Unternehmen zu orientiertes - auf sorgfältige Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes - unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten sind und das Verhalten des Vorstandes aus anderen Gründen pflichtwidrig ist, BGH-Urteil vom 31.5.2011 - XI ZR 141/09, Wertpapiermitteilungen 2011, 1273. Fehlte also diese und jene Kleinigkeit an Erkenntnissen in der Entscheidungsfindung, kann die Entscheidung falsch sein, überspitzt formuliert.

Auch Aufsichtsräte stehen im Risiko. Nach der ARAG/Garmenbeck-Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes vom 21. April 1997 ist der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft verpflichtet, Regressansprüche gegen ein Vorstandsmitglied bei Vorliegen von Anhaltspunkten zu prüfen und im Regelfall durchzusetzen. In zahlreichen Versicherungsschadensfällen (D & O) richten sich die Schadensersatzansprüche generell auch gegen ehemalige Aufsichtsratsmitglieder. Aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus erweisen sich Schadensersatzansprüche gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern als Erfolg versprechender als gegenüber Vorständen.

Eine unterlassene Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand begründet die Haftung des Aufsichtsrates. Je nach dem Ergebnis der Prüfungen hat er die Pflicht, Ansprüche gegen ein Vorstandsmitglied durchzusetzen. Verstößt der Aufsichtsrat gegen diese Pflichten, haftet er seinerseits, BGH-Urteil vom 16.3.2009 - II ZR 280/07, Wertpapiermitteilungen 2009, 851. Aufsichtsratsmitglieder haben kein Ermessen, ob sie gegen Vorstände vorgehen wollen. Die Frage, ob der Vorstand haftet, muss zur Überprüfung des Gerichts gestellt werden. Es bestehen geringe Ausnahmen von dieser Pflicht.

Einige Rechtsprechungsbeispiele zur Haftung des Aufsichtsrates stellen sich im Einzelnen wie folgt dar:

Verletzung der Überwachungspflicht durch Aufsichtsrat

Eine Verletzung der Überwachungspflicht war angenommen worden in dem BGH-Urteil vom 1.12.2008 - II ZR 102/07 („MPS") und zwar wegen Gewährung eines ungesicherten Upstream-Darlehens. Hier haftete der Aufsichtsrat des beherrschten Unternehmens für ein ungesichertes Darlehen im faktischen Konzern.

Kapitalanlagebetrug

In dem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 23.6.2008 -I - 9 U 14/08 wurde eine Ausdehnung der Außenhaftung auf Aufsichtsratsmitglieder wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformationen bejaht. Dieser hatte an einer betrügerischen Kapitalerhöhung mitgewirkt.

Haftungsgrund der Insolvenzverschleppung

Der Haftungsgrund der Insolvenzverschleppung zu Lasten des Aufsichtsrates wurde bejaht in dem BGH-Urteil vom 16.3.2009 - II ZR 280/07, WM 2009, 851. Falls nicht rechtzeitig Insolvenz angemeldet wird, müssen unzuverlässig erscheinende Vorstandsmitglieder abberufen werden.

In der Krise bestehen gesteigerte Anforderungen an die Überwachung. Der Aufsichtsrat muss sich ein genaues Bild von der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft verschaffen und insbesondere in einer Krisensituation alle ihm nach den §§ 90 Abs. 3, 111 Abs. 2 Aktiengesetz zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausschöpfen. Stellt der Aufsichtsrat fest, dass die Gesellschaft insolvenzreif ist, hat er darauf hinzuwirken, dass der Vorstand rechtzeitig einen Insolvenzantrag stellt und keine Zahlungen leistet, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Leiters nicht vereinbar sind. Verstößt er hiergegen schuldhaft, kann er der Gesellschaft gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet sein, BGH NJW 2009, 2454.

Besonderheiten bei Wertpapierhandelsunternehmen

Besondere konkrete Compliance-Organisationspflichten bestehen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (§ 33 Abs. 1, Abs. 4 WpHG i. V. m. § 12 WpDVerOV und der MaComp (Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und die weiteren Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten nach §§ 31 ff. WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen).

Dabei ist zu betonen, dass es sich bei der MaComp nicht etwa um etwas Erfundenes handelt, sondern um eine Zusammenfassung bisher geltender Regeln, die von jeher schon galten.

Für Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist die Bestellung von Compliancebeauftragten und deren Aufgaben geregelt in § 33 Abs. 1 Abs. 4 Wertpapierhandelsgesetz und in § 12 Abs. 4 WpDVerOV.

Je größer das Risiko der Nichtbeachtung von Recht und Gesetz ist, umso strenger und engmaschiger muss eine Kontrollorganisation geschaffen und unterhalten werden. Eine geeignete Compliance-Organisationen kann helfen, den Vorwurf einer schuldhaften Organisationspflichtverletzung im Hinblick auf rechtliche Sanktionen zu entkräften.

Fehlt ein nach Sachlage erforderliches und geeignetes Informationssystem, so sind dafür auch die Aufsichtsratsmitglieder verantwortlich (BGH-Urteil vom 1.12.2008 - II ZR 102/07, Wertpapiermitteilungen 2009,78 „MPS").

Kommunikationspflicht beim Aufsichtsrat

Auch wenn keine Mängel erkennbar sind, besteht eine Kommunikationspflicht zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. Ähnlich wie bei jedem anderen Kollegialorgan auch ist der kritische Informationsaustausch eine maßgebliche Entscheidungsgrundlage. Ein ständiger Meinungsaustausch muss zwischen Aufsichtsrat und Vorstand stattfinden. Nach der MaRisk (Mindestanforderungen an das Risikomanagement) müssen Strategien zwischen Vorstand und Aufsichtsrat erörtert werden. Das notorische Schweigen begründet Vorsatz.

Abstimmungsverhalten des Aufsichtsrates

Das Abstimmungsverhalten des Aufsichtsrates könnte als Beweisfrage begriffen werden. Für das Abstimmungsverhalten und über den Hergang der Beratungen könnte die Darlegungs- und Beweislast die Mitglieder des Aufsichtsrates treffen, wenn eine Mehrheitsentscheidung rechtswidrig ergangen ist, analog zu BGH-Urteil v. 10.02.2011 - III ZR 37/10 (OLG München, NJW 2011, 2586).

In der Rechtsprechung ist entschieden, dass beklagte Vorstände und Aufsichtsräte einen Anspruch auf Herausgabe der Akten durch das Unternehmen zu Zwecken der Verteidigung haben. Die Verjährungsfrist von Ansprüchen gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder wegen schuldhafter Verletzung ihrer Pflichten beträgt 10 Jahre.


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