Zur Qualität von Gutachten in Arzthaftungsfällen

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Im Folgenden wird beschrieben, wie systematisch versucht wird, einen dokumentierten ärztlichen Fehler gutachterlich unter den Tisch zu kehren, und dass nur durch professionelle Bearbeitung so ein Verfahren dennoch vom Patienten erfolgreich beendet werden kann.

Bei dem aktuellen Fall ging es um eine wiederholt fehlerhafte Implantation einer Portanlage mit einem zentralvenösen Katheder (ZVK) und die hierdurch eingetretene lebensbedrohliche Infektion.

Von Anfang an sah die Sache sehr eindeutig aus, da aus den Protokollen in der Patientenakte hervorging: „Das Portsystem war nicht verwendbar, da die Portkammer zu tief in der Subkutis lag. Auch Punktionsversuche in unserer chirurgischen Abteilung waren nicht erfolgreich durchführbar."

Zudem wurde der Port zweimal hintereinander auf die linke Brustseite implantiert, was bekanntermaßen ein erhöhtes Infektionsrisiko bedingt. Der Behandlungsfehler war demnach so eindeutig, dass die Patientin hoffte, das Krankenhaus würde von sich aus ein Schmerzensgeld anbieten.

Doch typischerweise verweigerte das Krankenhaus die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, weil es den Fehler schlichtweg bestritt. Zunächst schaltete die Patientin die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler der Ärztekammer Nordrhein ein, wo ein Sachverständigengutachten erstellt wurde.

Sehr erstaunt war die Patientin über das Ergebnis des Gutachtens, worin es heißt, dass „trotz fehlender Punktierbarkeit des Ports die Regeln der ärztlichen Kunst bei der Portneuanlage beachtet worden sind" und „Die Entscheidung, den Port auf der gleichen Seite erneut anzulegen, war (...) vertretbar". Mit anderen Worten: Obwohl das implantierte System nicht zu gebrauchen war, ist darin kein Fehler zu sehen.

Nun beschritt die Patienten auf Anraten des Rechtsanwaltes den Rechtsweg und verklagte das Krankenhaus. Zwar verwies die Gegenseite auf das bereits erstellte Gutachten, jedoch stellte der Rechtsanwalt der Patientin die Widersprüche in diesem ausführlich dar, so dass dieses Gutachten keine Beachtung fand. Es wurde ein neuer Sachverständiger beauftragt. Dieser bescheinigte seinerseits in einem neuen Gutachten, dass die Portplatzierung operationstechnisch lege artis (entsprechend der ärztlichen Kunst) durchgeführt worden sei. Doch im Gegensatz zum vorherigen bestätigte der neue Sachverständige einen Fehler, da die Beklagte auf die Antibiotikaprophylaxe verzichtet hatte, obwohl das Infektionsrisiko bei der Implantation an der selben Stelle bei 30% lag. „Dieses Risiko", so das Gutachten, „war nicht vermeidbar".

Rechtlich bedeutete dies zunächst, dass der Fehler mit einer Wahrscheinlichkeit von 30% die Infektion ausgelöst hatte. Der Patient ist jedoch grundsätzlich beweispflichtig für diesen Zusammenhang. Da reichen 30% Wahrscheinlichkeit nicht aus, sondern nur nahezu 100%. Da das Risiko nicht vermeidbar gewesen sei, wäre auch bei richtiger Behandlung, die Infektion nicht auszuschließen gewesen. Zudem hatte das Krankenhaus dargelegt und unter Beweis gestellt, dass eine Antibiotikaprophylaxe standardmäßig verabreicht werden würde, so dass das Gutachten an dieser Stelle widerlegt wäre. Der Patientin drohte, das Verfahren zu verlieren.

Nun folgte die Stunde des Rechtsanwaltes. Er erarbeitete sich die medizinischen Fachkenntnisse hierzu, erkannte diverse Widersprüche im neuen Gutachten und konnte aufgrund dessen einen weiteren Fehler des Krankenhauses erkennen und darlegen.

In einer später folgenden zweistündigen Befragung des Sachverständigen war dieser auf mehrfacher und eingehender Nachfrage bereit, folgende Aussagen zu machen. „Obwohl die Portplatzierung lege artis durchgeführt worden ist, bestätige ich, dass dieser unbrauchbar war. Er war wohl zu tief implantiert worden.", „Man hätte der Patientin abraten müssen, den Port auf der gleichen Seite implantieren zu lassen. Dies ist nicht geschehen.", „Eine Aufklärung bezüglich des erhöhten Risikos ist nicht dokumentiert.", „Eine Antibiotikaprophylaxe ist nach der Dokumentation nicht erfolgt. Dies hätte, wenn es erfolgt wäre, dokumentiert werden müssen.", „Eine Neuimplantation des Systems auf derselben Seite war grob fehlerhaft. Die fehlende Prophylaxe war ebenfalls grob fehlerhaft."

Auf einmal waren mindestens drei Fehler gutachterlich bestätigt, davon zwei grobe Fehler, die in keinem der Gutachten bislang benannt worden waren.

Erst hiernach war das Krankenhaus zu einer Einigung bereit. Um nach drei Jahren endlich zu ihrem Recht zu kommen, ließ sich die Patientin darauf ein, sich mit einem geringeren als den Klagebetrag zufrieden zu geben.

Der Fall ist sehr typisch für den Ablauf von Arzthaftungsfällen. Zunächst lehnt das Krankenhaus bzw. die Haftpflichtversicherung, die für den Schaden aufkommen muss, jeden Anspruch kategorisch ab. Selbst wenn in der Dokumentation Ärzte einen Fehler zugegeben haben, wird dies übergangen. Wenn doch in Einzelfällen ein Fehler zugegeben wird, werden die Gesundheitsfolgen bestritten oder vorgetragen, dass die Folgen ja doch wohl andere Ursachen haben müssten.

Meist wird dann der Weg über die Schlichtungsstelle gewählt, die für sich in Anspruch nimmt, neutral einen Fall beurteilen zu können. Das ist eine grundlegende Fehleinschätzung, wie der geschilderte Vorgang zeigt. Die Schlichtungsstelle ist eine Institution der Ärztekammer, die wiederum u.a. die Aufgabe hat, ihre Mitglieder zu schützen. Dies gelingt ihr häufig durch die Erstellung von Sachverständigengutachten. Fakt ist, dass jedes medizinische Sachverständigengutachten von einem Arzt - i.d.R. einem Facharzt erstellt wird. Es handelt sich also um einen Kollegen, der aufgrund der Fachnähe gewisses Verständnis für die Vorgehensweise des Kollegen mit sich bringt. Auch befinden sich viele Ärzte unter einem enormen finanziellen Druck, der durch unser Gesundheitssystem bedingt und durch die „Gesundheitsreform" noch verschärft wird. Besonders Kassenärzte haben das Gefühl, dass ihre Leistung nicht ausreichend honoriert wird. Außerdem kann jeder Fehler eines Arztes gleichzeitig eine fahrlässige Körperverletzung darstellen, die strafbar ist. Es gibt also jede Menge Gründe, warum Ärzte einerseits nicht zugeben, dass sie Fehler machen und andererseits als Sachverständige meinen, andere Ärzte in Schutz nehmen zu müssen.

Dies geschieht innerhalb eines Sachverständigengutachtens regelmäßig dadurch, dass die Grundsätze zur Erstellung eines Gutachtens nicht beachtet werden.
Häufiger Fehler in nicht-gerichtlichen Gutachten ist das Fehlen von Unterlagen und gleichzeitig, dass die Unterlagen nicht benannt werden, die zur Begutachtung benutzt worden sind. Da es dann an jeglicher Grundlage fehlt, hat der Sachverständige kein Problem damit, festzustellen, dass nach Lage der Akten kein Arztfehler erkennbar ist.
Ferner werden von Gutachtern gerne wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse weggelassen, insbesondere genaue Zahlen und Werte. Wie in dem oben geschilderten Fall ging der Gutachter der Schlichtungsstelle davon aus, dass die Operation auf der gleichen Seite vertretbar war. Zu diesem falschen Schluss konnte er nur gelangen, weil er die Höhe des gesteigerten Infektionsrisiko nicht benannt hat. Erst mit der Kenntnis, dass das Infektionsrisiko statt nur bei 1% gleich über 30% lag, führte zur Frage, ob bei diesem hohen Risiko nicht eine Antibiotikaprophylaxe hätte durchgeführt werden müssen. Bei einer solchen Risikosteigerung muss der Patient zudem auf jeden Fall aufgeklärt werden.

In allen Gutachten kommen gerne Widersprüche vor. Meistens werden in der wissenschaftlichen Darstellungen Grundsätze postuliert, aber später bei der eigenen Bewertung missachtet. Das ist widersprüchlich. So wurde im oben beschriebenen Fall im gerichtlichen Gutachten zunächst dargelegt, dass die Portneuanlage aufgrund der wesentlich erhöhten Infektionsgefahr nur in begründeten Ausnahmefällen auf der gleichen Brustseite erfolgen dürfe. Dies wurde durch einen Hinweis auf die Literatur unterstrichen. Später fragt der Sachverständige nicht mehr, ob ein begründeter Ausnahmefall vorgelegen hat, sondern nur, dass es dennoch unter Berücksichtigung der Selbstnutzung vertretbar war. In der mündlichen Befragung musste der Sachverständige dann einräumen, dass die Selbstnutzung kein solcher begründeter Ausnahmefall war.
Sehr häufig werden lapidare Feststellungen gemacht, die im Verlaufe des Gutachtens wie Tatsachen dargestellt werden, auch wenn sie auf eine reine Vermutung des Sachverständigen beruhen. So meinte der gerichtliche Sachverständige, dass die Haut aufgrund der vielen Punktionsversuche so geschwollen war, dass der Port nicht mehr tastbar sei. Die vielen Punktionsversuche waren nirgends aus der Akte zu entnehmen, sondern waren reine Vermutungen des Sachverständigen und entsprachen nicht der Wahrheit.
Schließlich werden am Ende eines Sachverständigengutachten manchmal Bewertungen vorgenommen, die auf eine deutliche Fehleinschätzung beruhen. So stand im gerichtlichen Sachverständigengutachten „Dieses Risiko war nicht vermeidbar." Man brauchte nur seinen gesunden Menschenverstand einschalten, um zu erkennen, dass das erhöhte Risiko vermeidbar gewesen wäre, wenn der Port auf der anderen Brustseite implantiert worden wäre.

Fazit
Gehen Sie als betroffener Patient immer davon aus, dass sich die Gutachter sehr schwer damit tun, einen Arztfehler klar und deutlich zu benennen. Gehen Sie aber auch davon aus, dass sich Rechtsanwälte in der Regel schwer damit tun, sich mit Sachverständigengutachten auseinander zusetzen. Suchen Sie sich daher den Rechtsanwalt vorher gut aus. Er sollte ausschließlich die Patientenseite vertreten.

Abschließend möchte ich auf meine Kanzlei verweisen, die in Arzthaftungsfällen und in Verkehrsunfällen ausschließlich die Seite der Opfer und Patienten vertritt.

Weitergehende Informationen zum Arzthaftungsrecht können Sie auf meiner Internetseite http://www.Rechtsanwalt-Lattorf.de erfahren.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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