Abrechnung des Unfallschadens auf Totalschadenbasis trotz Vorliegen eines Reparaturschadens? Das ist zu beachten!

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Nicht selten stellt der vom Unfallgeschädigten beauftragte Kfz-Sachverständige im Rahmen seiner Begutachtung des Unfallschadens fest, dass es sich um einen „Reparaturschaden“ handelt. Dies bedeutet, dass die Reparaturkosten unterhalb des sog. Wiederbeschaffungswertes liegen, d.h. des Preises, den ein Geschädigter aufbringen müsste, um sich ein vergleichbares Ersatzfahrzeug ohne Beschädigung auf dem Automarkt (bzw. Gebrauchtwagenmarkt) zu beschaffen.

Entweder liegen die Reparaturkosten so weit unterhalb des Wiederbeschaffungswertes, dass der Kfz-Sachverständige schon gar keinen Wiederbeschaffungswert (Preis, den der Geschädigte für die Ersatzbeschaffung eines gleichwertigen Fahrzeuges ohne Beschädigung aufwenden müsste) und keinen Restwert (Wert, den das beschädigte Fahrzeug noch hat) ermittelt. In einem solchen Fall ist das Vorliegen eines Reparaturschadens so eindeutig (eindeutiger Reparaturschadenfall) und die Frage, ob man sich statt einer Reparatur ein Ersatzfahrzeug beschafft und das beschädigte Fahrzeug zum Restwert veräußert, so fernliegend, dass es einzig auf die ermittelten Reparaturkosten ankommt.

Ab einem gewissen Schadensverhältnis (= prognostizierte Reparaturkosten im Verhältnis zum Wiederbeschaffungswert) stellt sich allerdings durchaus die Frage, ob es

a) für den Geschädigten noch Sinn macht, den unfallbedingten Schaden am Fahrzeug überhaupt reparieren zu lassen und das Fahrzeug anschließend weiter zu nutzen, oder

b) sinnvoller ist, auf die Reparatur zu verzichten und eine sog. Ersatzbeschaffung vorzunehmen und das beschädigte Fahrzeug zum Restwert zu veräußern.

Meistens nehmen Kfz-Sachverständige ab einem Schadensverhältnis von über 50%, in jedem Fall aber bei einem Verhältnis von über 70% (d.h. die prognostizierten Reparaturkosten brutto (inkl. MwSt., ggfs. zuzüglich etwaiger Wertminderung) betragen bspw. 74% des ausgewiesenen Wiederbeschaffungswertes), neben Angaben zu den prognostizierten Reparaturkosten auch Angaben zum Wiederbeschaffungswert und zum Restwert in ihr Haftpflichtgutachten auf. Bei über 100%, d.h. wenn die Reparaturkosten (ggfs. zzgl. einer etwaigen, unfallbedingten Wertminderung des beschädigten Fahrzeuges) den Wiederbeschaffungswert bereits überschreiten, spricht man schon nicht mehr von einem Reparaturschaden, sondern von einem (wirtschaftlichen) Totalschaden. Zwar gilt auch in diesem Fall, dass unter gewissen Voraussetzungen bis zu einem Schadensverhältnis von 130% die Reparaturkosten gezahlt werden müssen (sog. 130%-Grenze). Die nähere Erläuterung dieses Sachverhaltes würde hier jedoch den Rahmen sprengen.

Meistens zahlen die gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherungen im Falle eines ausgewiesenen Reparaturschadens (kein Totalschaden), bei dem die Reparaturkosten bei über 70% des Wiederbeschaffungswertes liegen und im Schadengutachten daher Angaben zu Wiederbeschaffungswert und Restwert (Anmerkung: Angabe zu Restwert ist dann Pflicht!) angegeben sind, zunächst nicht die Reparaturkosten für das beschädigte Fahrzeug, sondern rechnen unter Verwendung des angegebenen Wiederbeschaffungs- und Restwertes auf Totalschadenbasis ab, d.h. es wird der sog. Wiederbeschaffungsaufwand erstattet, der sich wie folgt berechnet:

Wiederbeschaffungswert – Restwert = Wiederbeschaffungsaufwand

Der Restwert wird deshalb abgezogen, weil der Geschädigte sein beschädigtes Fahrzeug schließlich zum Restwert verkaufen kann und den erhaltenen Preis für eine Ersatzbeschaffung (Beschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeuges) mitverwenden kann. Anders gesagt: Der von der gegnerischen Versicherung gezahlte Wiederbeschaffungsaufwand und der durch den eigenen Verkauf des beschädigten Fahrzeuges erzielte Restwert bilden in Summe den Wiederbeschaffungswert, den der Geschädigte dann in den Händen hält, um sich ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug beschaffen zu können.

Manche Versicherer versuchen bereits bei einem Schadensverhältnis von 50% und unter 70% eine Abrechnung auf Totalschadenbasis vorzunehmen, wenn im Gutachten Angaben zu Wiederbeschaffungswert (und ggfs. Restwert) enthalten sind. Sind im Gutachten nur Angaben zum Wiederbeschaffungswert enthalten und wurde aufgrund des relativ geringen Schadenverhältnisses auf eine Angabe zum Restwert verzichtet, weil es sich um einen eindeutigen Reparaturschadensfall handelt, ermitteln Versicherer nicht selten selbst einen durchaus hohen Restwert für das beschädigte Fahrzeug, um nur einen relativ geringen Wiederbeschaffungsaufwand an den Geschädigten zahlen zu müssen. Bei einem eindeutigen Reparaturschadensfall (Reparaturkosten unter 70% des Wiederbeschaffungswertes) ist eine solche Abrechnung klar unzulässig – Versicherer haben in solchen Fällen in jedem Fall die veranschlagten bzw. gegebenenfalls tatsächlich angefallenen Reparaturkosten zu erstatten.

Betragen die Reparaturkosten allerdings über 70% des Wiederbeschaffungswertes, überschreiten diesen allerdings nicht (also unter 100%), sodass auch in diesem Fall noch ein Reparaturschaden und kein Totalschaden vorliegt, ist eine Abrechnung auf Totalschadenbasis und die vorläufige Zahlung des sog. Wiederbeschaffungsaufwandes (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert), der meist weniger als die Reparaturkosten beträgt, durchaus zulässig. Aber:

Oftmals möchte der Geschädigte sein beschädigtes Fahrzeug gar nicht zum Restwert veräußern, sondern – weil es sich um einen Reparaturschaden handelt – eine Reparatur des beschädigten Fahrzeuges durchführen (lassen) bzw. das Fahrzeug zumindest einfach in einen verkehrssicheren und fahrtauglichen Zustand versetzen (lassen), um es anschließend weiternutzen zu können. In diesem Fall hat der Geschädigte unter bestimmten Voraussetzungen durchaus Anspruch, nach erfolgter Zahlung des Wiederbeschaffungsaufwandes noch auf die Zahlung der Reparaturkosten zu bestehen (insoweit dann unter Anrechnung der bereits geleisteten Zahlung der Versicherung):

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierzu bereits vor vielen Jahren (vgl. nur bspw. Urteil vom 23.05.2006, Az. VI ZR 192/05) Folgendes klargestellt:

„[10] 1. Das Berufungsgericht geht im Ansatz zutreffend davon aus, dass dem Geschädigten für die Berechnung von Kraftfahrzeugschäden im Allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung stehen: Die Reparatur des Unfallfahrzeugs oder die Anschaffung eines (gleichwertigen) Ersatzfahrzeugs. Unter den zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten der Naturalrestitution hat der Geschädigte grundsätzlich diejenige zu wählen, die den geringsten Aufwand erfordert. 

[…]

[12] a) Der erkennende Senat hat im Urteil vom 29. April 2003 – VI ZR 393/02 – BGHZ 154, 395 ff. entschieden, dass der Geschädigte zum Ausgleich des durch einen Unfall verursachten Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt, die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts verlangen kann, wenn er das Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt und weiter benutzt, ohne dass es auf Qualität und Umfang der Reparatur ankommt. 

[…]

Es ist nunmehr klarzustellen, dass für den Anspruch auf die fiktiven Reparaturkosten ohne Berücksichtigung des Restwerts entscheidend ist, dass der Geschädigte das Fahrzeug weiter nutzt, sei es auch in beschädigtem, aber noch verkehrstauglichem Zustand. Er kann es nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen unrepariert weiternutzen und den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag anderweitig verwenden. Im Fall der Weiternutzung stellt der Restwert, wenn und solange der Geschädigte ihn nicht realisiert, lediglich einen hypothetischen Rechnungsposten dar, der sich in der Schadensbilanz nicht niederschlagen darf (vgl. Senatsurteil BGHZ 154, 395, 397 f. m. w. N.).

[…]

Selbst wenn er von vornherein nicht die Absicht hat, die der Berechnung seines Anspruchs zugrunde gelegte Wiederherstellung zu veranlassen, sondern sich anderweit behelfen oder die Entschädigungszahlung überhaupt einem sachfremden Zweck zuführen will, kann der Geschädigte Ersatz der zur Behebung des Schadens erforderlichen Reparaturkosten verlangen. Der Wille des Geschädigten zur Reparatur kann nicht zur Voraussetzung für den Anspruch auf Zahlung des zur Instandsetzung erforderlichen Geldbetrags erhoben werden

[…]

[16] Deshalb stellt sich die Frage, wie lange der Geschädigte das Fahrzeug nach dem Unfall nutzen muss, um ein nachhaltiges Interesse an dessen Weiternutzung zum Ausdruck zu bringen. Diese Frage wird vom erkennenden Senat nach Abwägung der beiderseitigen Interessen zur Erleichterung einer praktikablen Schadensabwicklung dahin beantwortet, dass im Regelfall ein Zeitraum von sechs Monaten erforderlich, aber auch ausreichend ist. Bei einer so langen Weiternutzung wird nämlich im allgemeinen ein ernsthaftes Interesse des Geschädigten an der Weiternutzung, das einem Abzug des Restwerts nach den oben dargelegten Grundsätzen entgegensteht, nicht verneint werden können.“

Zusammengefasst:

Selbst wenn die Reparaturkosten (ggfs. zusammen mit einer etwaigen Wertminderung des beschädigten Fahrzeuges) über 70% vom Wiederbeschaffungswert ausmachen und die Versicherung zunächst nur den sog. Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) erstattet, kann der Geschädigte dann noch auf Erstattung der höheren Reparaturkosten bestehen, wenn er

a) das beschädigte Fahrzeug zumindest in einen verkehrssicheren und fahrbereiten Zustand versetzt (muss noch nicht einmal eine sach- und fachgerechte, mithin vollständige Reparatur i.S.d. eingeholten Schadengutachtens sein), und

b) das Fahrzeug dann noch mindestens sechs Monate weiternutzt, womit er sein Interesse an der (potentiellen, aber möglicherweise gar nicht durchgeführten) Reparatur des beschädigten Fahrzeuges und sein fehlendes Interesse an einer Beschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeuges und der Veräußerung des beschädigten Fahrzeuges zum Restwert zum Ausdruck bringt.

Sind die vorgenannten Voraussetzungen kumulativ erfüllt, darf die Versicherung nicht (mehr) auf Totalschadenbasis abrechnen (= Zahlung des Wiederbeschaffungswertes abzüglich des Restwertes), sondern muss die (prognostizierten bzw. tatsächlich angefallenen) Reparaturkosten erstatten.

Beispiel:

Das Fahrzeug kann laut Gutachten für 5.000,- € brutto (inkl. MwSt.) repariert werden. Die Reparaturkosten netto (d.h. ohne MwSt.) belaufen sich auf 4.201,68 €.

Der Wiederbeschaffungswert beträgt 6.500,- €.

Die Reparaturkosten betragen also knapp 77% des Wiederbeschaffungswertes, überschreiten den Wiederbeschaffungswert aber nicht (= unter 100%), sodass (noch) ein Reparaturschaden und kein (wirtschaftlicher) Totalschaden vorliegt.

Aufgrund dieses Verhältnisses muss das Gutachten Angaben zum Restwert enthalten, der sich auf 2.500,- € beläuft.

Die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung zahlt nun zunächst den sog. Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 4.000,- € (Wiederbeschaffungswert von 6.500,- € abzüglich Restwert von 2.500,- €), der unterhalb der Brutto-Reparaturkosten sowie unterhalb der Netto-Reparaturkosten liegt.

Veräußert der Geschädigte nun sein beschädigtes Fahrzeug nicht zum Restwert und nimmt keine Ersatzbeschaffung vor, sondern

a) versetzt sein beschädigtes Fahrzeug zumindest in einen verkehrssicheren und fahrtauglichen Zustand (oder lässt es eben – möglicherweise in Eigenregie – sach- und fachgerecht gem. Gutachten reparieren), und

b) fährt es anschließend noch mindestens für sechs Monate weiter,

so kann er von der Versicherung stattdessen die Zahlung der Reparaturkosten verlangen, was

a) bei der sog. fiktiven Abrechnung (d.h. ohne Reparaturrechnung bloße Auszahlung der Reparaturkosten netto ohne MwSt.) immerhin noch weitere 201,68 € sind, weil die Netto-Reparaturkosten 4.201,68 € betragen, während die Versicherung bereits 4.000,- für den Fahrzeugschaden gezahlt hat,

b) bei der sog. konkreten Abrechnung (d.h. unter Vorlage einer offiziellen Reparaturrechnung nach durchgeführter Reparatur gem. Gutachten)  die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten brutto inkl. MwSt. sind, die ebenfalls über dem von der Versicherung bereits gezahltem Wiederbeschaffungsaufwand (4.000,- €) liegen, weil die Reparaturkosten brutto mindestens einmal 5.000,- € betragen oder möglicherweise noch höher sind als ursprünglich im Schadengutachten prognostiziert (was sich aber erst im Zuge der konkret durchgeführten Reparatur zeigt).

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Foto(s): iStock.com/Pattanaphong Khuankaew


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