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Abschluss einer Betriebsvereinbarung ohne wirksamen Betriebsratsbeschluss

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Mit dieser Thematik befasst sich ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8.2.2022.

(BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984)



Über folgenden Sachverhalt hatten die Gerichte zu entscheiden:

Der Kläger ist seit 1997 als Industriemechaniker in einem Unternehmen der Stahlindustrie beschäftigt. In diesem Unternehmen regelt ein Tarifvertrag, dass innerhalb eines kollektivrechtlichen Entgeltsystems die Bewertung der Arbeit durch eine Betriebsvereinbarung erfolgt. Eine solche Betriebsvereinbarung gab es in dem Unternehmen seit 1967. 2017 unterzeichnete der Vorsitzende des Betriebsrats eine neue Betriebsvereinbarung, wonach sich das System der Bewertung ändert. Der Kläger hat in diesem Verfahren geltend gemacht, dass er weiterhin auf Grundlage der alten Bewertung (durch die alte Betriebsvereinbarung) einzustufen ist und sich sein Grundentgelt danach richtet. Der Kläger vertritt die Ansicht, dass die alte Betriebsvereinbarung durch die neue Betriebsvereinbarung nicht abgelöst worden ist, da die neue Betriebsvereinbarung mangels eines wirksamen Betriebsratsbeschlusses unwirksam ist.

Das Gericht hat folgendes entschieden:

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben dem Unternehmen/der Beklagten Recht gegeben. Das Bundesarbeitsgericht allerdings hat den Rechtsstreit unter Aufhebung beider Urteile der Vorinstanzen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht zurück verwiesen. Nach den Vorgaben dieses Urteils des Bundesarbeitsgerichts hat der Kläger danach weiterhin einen Anspruch auf Grundlage der Bewertung durch die alte Betriebsvereinbarung eingestuft und entlohnt zu werden. Nach Ansicht des BAG ist die von dem Betriebsratsvorsitzenden unterzeichnete neue Betriebsvereinbarung, für deren Abschluss der Betriebsrat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keinen Beschluss gefasst hat, unwirksam. Diese neue Betriebsvereinbarung ist auch nicht nach den Rechtsgrundsätzen über eine Anscheinsvollmacht rechtswirksam zustande gekommen.

Dabei geht das Gericht davon aus, dass der Betriebsrat als ein kollektives Organ handelt und aufgrund seiner gefassten Beschlüsse agiert. Eine nicht durch einen solchen Beschluss umfassende Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden ist (schwebend) unwirksam und kann daher keine Rechtswirkung entfalten. Eine solche ohne Beschluss von dem Vorsitzenden abgegebene Erklärung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung kann den Betriebsrat auch nicht auf Grundlage einer Anscheinsvollmacht zugerechnet werden. Eine solche Anscheinsvollmacht würde voraussetzen, dass der durch den Vorsitzenden vertretene Betriebsrat das Handeln des Vorsitzenden nicht kennt und dass der Arbeitgeber darauf vertrauen durfte, das Gremium kenne das Handeln des Vorsitzenden. Das BAG lehnt in dieser Entscheidung eine Anscheinsvollmacht ab und argumentiert insoweit mit der Rolle des Betriebsratsvorsitzenden. Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vertritt der Betriebsratsvorsitzenden das Gremium nur im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse. Daher steht dem Vorsitzenden bereits von Gesetzes wegen nicht die Befugnis zur eigenen rechtsgeschäftlichen Willensbildung anstelle des Betriebsratsgremiums zu. Es ist daher immer eine auf das Gremium bezogene Willensbildung erforderlich und diese ist nur durch Beschlussfassung möglich.

Das Gericht argumentiert insofern auch mit dem Charakter einer Betriebsvereinbarung. Aufgrund der unmittelbaren und zwingenden Wirkung einer Betriebsvereinbarung ist zwingend die Willensbildung des Betriebsratsgremiums erforderlich. Diese kann im Ergebnis nur durch einen mehrheitlich getroffenen Beschluss des Gremiums erfolgen. Eine bloße Anscheinsvollmacht des Betriebsratsvorsitzenden ist daher nicht möglich. Denn ansonsten würde ein solcher Rechtsschein Geltung von Rechtsnormen im Betrieb begründen. Auch die sogenannte im Rahmen des Anhörungsverfahrens entwickelte Sphärentheorie lässt sich auf diesen Sachverhalt nicht übertragen. Nach dieser Theorie wirken sich Mängel im Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrats im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG in der Regel nicht zulasten des Arbeitgebers aus. Diese Theorie findet nach Ansicht des Gerichts bei diesem Sachverhalt auch mittelbar keine Anwendung.

Das Gericht berücksichtigt bei der Begründung seiner Entscheidung auch, dass es möglich ist, eine ohne wirksamen Betriebsratsbeschluss abgeschlossene Betriebsvereinbarung (daher unwirksam) nachträglich zu heilen. Eine nachträgliche Genehmigung des Gremiums ist möglich und dadurch wird die zunächst schwebend unwirksame Betriebsvereinbarung nachträglich genehmigt. Hierdurch können Fehler bei der Beschlussfassung des Betriebsrats nachträglich behoben werden. Eine solche Befugnis des Betriebsrats, eine Betriebsvereinbarung im Nachhinein zu genehmigen, ist auch nicht befristet.

Das Gericht berücksichtigt weiterhin auch, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, sich Kenntnis darüber zu verschaffen, ob ein auf den Abschluss einer Betriebsvereinbarung bezogener Betriebsratsbeschluss gefasst worden ist. Das Gericht führt insoweit aus, dass das Betriebsratsgemium im Fall des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung verpflichtet ist dem Arbeitgeber auf dessen Verlangen hin eine Abschrift desjenigen Teils der Sitzungsniederschrift auszuhändigen, aus dem sich die Beschlussfassung des Betriebsrats ergibt, die für die Wirksamkeit der vom Betriebsratsvorsitzenden abgegebenen Erklärung erforderlich ist. Dies folge aus § 77 i.V.m. § 2 Abs. 1 BetrVG. Denn aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit folgt, dass sich Nebenpflichten für die Betriebsparteien ergeben können. Durch diese Nebenpflicht ist der Betriebsrat verpflichtet, dem Arbeitgeber auf Verlangen hin den oben beschriebenen Teil der Sitzungsniederschrift auszuhändigen. Das Gericht berücksichtigt insoweit auch den §§ 77 BetrVG. Hiernach ist der Arbeitgeber verpflichtet, die mit dem Gremium abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen durchzuführen. Er hat daher ein berechtigtes Interesse zu wissen, ob eine vom Betriebsratsvorsitzenden abgegebene Erklärung bezogen auf den Abschluss einer Betriebsvereinbarung auf einer von dem Betriebsratsgremium getroffenen Entscheidung/Beschluss beruht. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass eventuelle klagende Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, das Vorhandensein eines ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses pauschal mit Nichtwissen zu bestreiten. Der in Anspruch genommene Arbeitgeber ist dann (eventuell noch nach vielen Jahren) verpflichtet, hierzu nähere Angaben zu machen, obwohl er seinerseits keine genauen Kenntnisse über die Beschlussfassung des Betriebsrats hat und sich eventuell diese auch nicht mehr verschaffen kann. Aus diesem Grunde ist ein Betriebsrat nach Ansicht des Gerichts verpflichtet einem Arbeitgeber auf ein zeitnah geltend zu machendes Verlangen eine entsprechende Abschrift eines Teils der Niederschrift zur Verfügung zu stellen. Der in Anspruch genommene Arbeitgeber kann dann in einer solchen Situation die entsprechende Abschrift des Sitzungsprotokolls vorlegen, was zur Folge hat, dass der Arbeitnehmer das Vorhandensein eines Beschlusses einschließlich der Beschlussfähigkeit des Betriebsrats zumindest nicht mehr pauschal mit Nichtwissen bestreiten kann. Der Arbeitnehmer muss dann konkret angeben, welche der damit vorgetragenen Tatsachen er konkret in Abrede stellen will.




Fazit:

Diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts verdeutlicht, wie wichtig ein ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss in der Praxis ist. Es ist für jedes Betriebsratsgremium in der Praxis maßgeblich, alle Voraussetzungen für einen ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschluss einzuhalten. Dies betrifft natürlich insbesondere auch den oder die Vorsitzende, die hierbei eine besondere Rolle spielen. Insbesondere auch bei dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung sollte das Gremium hierauf achten und sich sicher sein, dass ein Beschluss rechtswirksam ist. Nach dieser Entscheidung ist für die Arbeitgeber eindeutig geregelt, dass Sie proaktiv von ihrem Gremium eine Abschrift des entsprechenden Teil des Sitzungsprotokolls anfordern können, um die Existenz eines Beschlusses sowie dessen formale Wirksamkeit im Zweifel nachweisen zu können.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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