Anfechtung Gesellschafterbeschlüsse: Rechtsmissbräuchliches Berufen auf eine satzungsmäßige Beschlussunfähigkeit

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Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen: Rechtsmissbräuchliches Berufen der Gesellschafter auf eine satzungsmäßige Beschlussunfähigkeit der Gesellschafterversammlung mangels satzungsmäßiger Regelung einer 2. Gesellschafterversammlung


1. Ausgangslage

Wir haben unsere Mandantin erfolgreich bei der Durchsetzung der Abberufung zweier geschäftsführender Gesellschafter der Gesellschaft aus wichtigem Grund wegen begangener Pflichtverletzungen anwaltlich begleitet und erfolgreich durch die Instanzen vor dem Landgericht Kempten und dem Oberlandesgericht München vertreten ( Instanzengang: Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 23.12.2022, Az. 1 HK O 2357/21 und Oberlandesgericht München, Hinweisbeschluss vom 13.04.2023, 14 U 474/23 e).

Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht folgten unserer Auffassung, dass sich Gesellschafter auf die fehlende Beschlussfähigkeit nicht berufen können, wenn sie diese selbst treuwidrig herbeigeführt hätten.

Die Treuepflicht gebietet den Gesellschaftern sowohl die Teilnahme an Präsenzversammlungen als auch die Teilnahme an rechtmäßig einberufenen Umlaufabstimmungen.


2. Sachverhalt

a)

Unsere Mandantin als Gesellschaft wurde mit Gesellschaftsvertrag von April 2016 gegründet und firmierte 2017 um. Gesellschafter sind die Kläger zu je 24,875 %. Die übrigen 50,25 % hielt der ein weiterer Gesellschafter als Nebenintervenient. Alleinige Geschäftsführerin war zunächst die Klägerin. Im Mai 2016 wurde der Kläger zum weiteren Geschäftsführer bestellt, und ein Jahr später wurde der Nebenintervenient zum weiteren Geschäftsführer bestellt. Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten regelt, soweit hier von Interesse, folgendes:

§ 6 Abs. 5 GV:

Die Gesellschafterversammlung ist beschlussfähig, wenn so viele Gesellschafter anwesend oder vertreten sind, dass sie mindestens 51 % aller Stimmen der Gesellschafter in sich vereinen

§ 6 Abs. 8 GV:

Gesellschafterbeschlüsse können außerhalb der Gesellschafterversammlung gefasst werden, wenn keine zwingenden Formvorschriften bestehen und sämtliche Gesellschafter mit der schriftlichen Abstimmung einschließlich Telefax bzw. E-Mail einverstanden sind.

Mit Schreiben vom 25.9.2021, das die Kläger am 6.10.2021 erhielten, berief der Nebenintervenient eine Gesellschafterversammlung im erleichterten Umlaufverfahren (§ 2 COVMG) ein. Das Schreiben enthielt Beschlussvorschläge. Diese glichen inhaltlich denen, die mit der Klage angegriffen sind; lediglich die Ziffern und 7 und 8 waren unter einem gemeinsamen Tagesordnungspunkt zusammengefasst.

Die Kläger wiesen mit Schreiben vom 15.10.2021 den Nebenintervenienten darauf hin, dass die gesellschaftsvertragliche Regelung ihres Erachtens Vorrang gegenüber § 2 COVMG habe.

Mit Schreiben vom 27.10.2021, das die Kläger am 29.10.2021 erhielten, lud der Nebenintervenient zur 2. Gesellschafterversammlung und teilte dabei inhaltsgleiche Beschlussvorschläge mit. Er wies außerdem darauf hin, dass die Versammlung auch dann beschlussfähig sein werde, wenn das geforderte Quorum von 51 % des Stammkapitals nicht erreicht werde.

Hierauf reagierten die Kläger mit Anwaltsschreiben vom 11.11.2021, in dem sie erklärten, mit der Durchführung des Umlaufverfahrens nicht einverstanden zu sein. Sie argumentierten: Die Satzungsregelung sei gegenüber § 2 COVMG vorrangig, und es handele sich nicht um eine 2. Gesellschafterversammlung, da die Satzung dergleichen nicht vorsehe, sondern um eine 1. Gesellschafterversammlung.

Mit den Stimmen des Nebenintervenienten wurden die Beschlüsse entsprechend den Vorschlägen mit der einfachen Mehrheit der Stimmen gefasst, die nach § 6 Abs. 7 des Gesellschaftsvertrages ausreicht. Unsere Mandantin als Gesellschaft verkündete mit Schreiben vom 14.11.2021, das die Kläger am 09.12.2021 erhielten, die Abstimmungsergebnisse über die Abberufung als Geschäftsführer.


3. Entscheidung

Das Landgericht hat die Klage der abberufenen Geschäftsführer abgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

a)

Die Beschlüsse über die Abberufung als Geschäftsführer seien weder nichtig noch anfechtbar, sondern in einem Verfahren zustande gekommen, das man nicht beanstanden könne.

Zwar könne ein Gesellschafterbeschluss einer GmbH analog § 241 Nummer 1 Aktiengesetz nichtig sein, wenn die Regeln über eine Beschlussfassung außerhalb einer ordnungsgemäß einberufenen Gesellschafterversammlung verletzt wären.

Einen Einberufungsmangel gebe es vorliegend aber nicht. Der Nebenintervenient als der weitere die Abberufung der Geschäftsführer betreibende Gesellschafter habe sich auf Art. 2 § 2 COVMG stützen können, als er mit Schreiben vom 27.10.2021 zu einer Beschlussfassung im Umlaufverfahren lud. Ein Einverständnis der Kläger mit dem Umlaufverfahren sei nicht nötig gewesen.

Nach Art. 2 § 2 COVMG, der vom 28.3.2022 bis ein 30.8.2022 gültig war, habe man abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG Gesellschafterbeschlüsse in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter fassen können.

Dieser gesetzlichen Regelung gehe die gesellschaftsvertragliche Regelung nicht vor und stehe ihr auch sonst nicht entgegen.

Die Satzung wiederhole in § 6 Abs.8 lediglich den Regelungsinhalt von § 48 Abs. 2 Fall 2 GmbHG (im einzelnen EU Seite 7/8). Die Satzung nehme dadurch auf die jeweilige Gesetzeslage Bezug.

Art. 2 § 2 COVMG müsse weit verstanden und dahin angewendet werden, dass gesellschaftsvertragliche Gestaltungen nur entgegenstehen, wenn sie sich von der bestehenden Gesetzeslage des GmbHG abheben.

Denn Art. 2 § 2 habe erstens Ausnahmecharakter und sei zweitens vom Gesetzgeber ausdrücklich zu dem Zweck erlassen worden, die Handlungsfähigkeit der Gesellschaften auch während der Corona-Krise sicherzustellen sowie hierfür substantielle Erleichterungen bei der Abhaltung von Gesellschafterversammlungen zu schaffen (Bundestagsdrucksache 19/18110, 5; EU Seite 7), verglichen mit den gesetzlichen Möglichkeiten, die das GmbH-Gesetz bietet.

Nicht anzunehmen sei, dass die Gesellschafter den § 6 Abs. 8 GV in der Absicht in die Satzung aufgenommen hätten, Gesellschafterbeschlüsse im Umlaufverfahren auch dann nur bei Einverständnis sämtlicher Gesellschafter zu fassen, wenn eine Pandemie herrscht und ein Präsenz-treffen nicht möglich ist.

b)

Die Beschlüsse seien aber insbesondere auch nicht etwa deshalb nichtig oder anfechtbar, weil es an der erforderlichen Beschlussfähigkeit gemangelt hätte.

Zwar sei das satzungsmäßige Quorum erforderlich geblieben und auch nicht durch eine „2. Ge-sellschafterversammlung“ ausschaltbar gewesen, da vorliegend die Satzung [der Gesellschafts-vertrag] dergleichen nicht regelt. Das hiernach grundsätzlich weiter erforderliche Quorum sei bei der Beschlussfassung nicht erreicht worden.

Darauf könne sich die Klagepartei als abberufene Geschäftsführer aber nicht berufen, da dies rechtsmissbräuchlich sei.

Die Kläger hätten die satzungsmäßige Beschlussunfähigkeit der Beklagten selbst herbeigeführt und wären im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Treuepflicht gehalten gewesen, an der Gesell-schafterversammlung teilzunehmen, und zwar gerade deshalb, weil der Gesellschaftsvertrag für die Beschlussfähigkeit ein Mindestquorum vorsieht.

Für einen Boykott der Versammlung (wie hier) müsse dasselbe gelten wie für den Fall, dass eine teilnahmeberechtigte Person die Versammlung vorzeitig verlässt: Dann bleibe die Versammlung ebenfalls beschlussfähig. Dasselbe gelte für den Fall, dass eine Gesellschafterminderheit die Gesellschafterversammlung boykottiert. Denn weder einzelne Gesellschafter noch Dritte seien in der Lage, die Willensbildung der Gesellschafter – erst recht, wenn die Versammlung begonnen hat – zu unterbinden, nur weil Entscheidungen bevorstehen, die ihnen nicht genehm sind. Ein Verhalten, mit dem die Beschlussunfähigkeit herbeigeführt und solcherart ein Beschluss verhindert werden soll, widerspreche dem Sinn und Zweck der Beschlussfähigkeitsregeln. Wer sich so verhalte, nutze eine formale Rechtsposition entgegen deren Regelungszweck aus und handle damit treuwidrig.

c)

Anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Kläger behaupten, sie hätten die Abstimmung im Beschlussverfahren verweigert, um eine Aussprache zu erzwingen:

Zum einen hätten die Kläger einen Anspruch auf Aussprache auch dann nicht gehabt, wenn eine Versammlung in Präsenz stattgefunden hätte; weder das Gesetz noch die Satzung hätten vorliegend erfordert, dass eine Aussprache bzw. Beratung stattfindet. Ein Anspruch hierauf ergebe sich auch nicht daraus, dass der Nebenintervenient an die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gebunden ist.

Zum anderen hätten die Kläger selbst vorprozessual ihre Weigerung, im Umlaufverfahren abzustimmen, nicht mit dem Verlangen verbunden, die Gesellschafterversammlung müsse sich beraten oder aussprechen. Folglich habe der Nebenintervenient eine solche Aussprache auch nicht treuwidrig vereitelt.

d)

Die von den Klägern gegen unsere Mandantin als Gesellschaft eingelegte Berufung blieb ohne Erfolgsaussicht. Das Oberlandesgericht hat die eingelegte Berufung gemäß § 522 ZPO durch Beschluss verworfen.

Das OLG München führte in der Begründung wie folgt aus:

(1)

Zutreffend hat das Landgericht wegen § 2 COVMG das Einverständnis der Kläger zu einer Beschlussfassung im Umlaufverfahren als entbehrlich angesehen.

Die Vorschrift galt von 28.3.2020 bis 31.8.2022 und lautete:

Abweichend von § 48 Absatz 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung können Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden.

Das erleichterte Umlaufverfahren ist nicht etwas deshalb unzulässig gewesen, weil § 6 Abs.8 GV entgegenstünde.

Das Landgericht musste bei der Anwendung von § 2 COVMG nicht danach differenzieren, um was für einen Beschlussvorschlag es sich handelte. Die Vorschrift galt nicht nur für „klassische“ Beschlussinhalte, sondern ebenso für Beschlussinhalte, die Teil einer „Gesellschaftersstreitigkeit“ sein mochten. Die Vorschrift differenzierte auch nicht dahin, dass bestimmte Beschlüsse eine Aussprache erfordern würden, andere nicht. Sondern sie basiert auf der Überlegung, dass durch die Pandemie Präsenz-Versammlungen ausscheiden, unabhängig davon, was in solchen Versammlungen verhandelt werden sollte und ob das in irgendeiner Weise typische oder atypische Themen der Gesellschaft sind.

Im Gegenteil trafen Sinn und Zweck von § 2 COVMG gerade auf Fälle zu, in denen grundlegende oder tiefgreifende Streitigkeiten einer zügigen Klärung bedurften; deren Entscheidung durch Abstimmung konnte eine GmbH nicht auf unbestimmte Zeit vertagen und derweil abwarten, wann die pandemiebedingten Einschränkungen wieder fallen würden und Präsenzversammlungen wieder möglich wären. Denn das war ex ante bekanntlich nicht abzusehen.

Aus demselben Grund, nämlich weil die GmbH eine Präsenz-Veranstaltung coronabedingt nicht durchführen konnte, führt auch der Vorwurf nicht weiter, hier sei § 2 COVMG „zweckentfremdet“ worden, um eine lästige Aussprache zu umgehen.

(2)

Das OLG München folgte auch unsere Auffassung, dass die Kläger als abberufene Geschäftsführer sich auf die fehlende Beschlussfähigkeit nicht berufen können, da sie diese selbst treuwidrig herbeigeführt hätten.

Die Treuepflicht gebietet den Gesellschaftern sowohl die Teilnahme an Präsenzversammlungen als auch die Teilnahme an rechtmäßig einberufenen Umlaufabstimmungen.

Richtig ist, dass in einer Versammlung diskutiert und eine Einigung gesucht werden kann, was die Umlaufabstimmung als solche nicht ermöglicht. Das berechtigt die Kläger aber nicht, eine rechtmäßig einberufene Umlaufabstimmung zu boykottieren.

Es kommt daher nicht darauf an, ob dem Landgericht darin zu folgen wäre, dass die Kläger ein Recht auf Aussprache auch dann nicht hätten, wenn die Gesellschafterversammlung in Präsenz stattfände.

Denn ein rechtmäßig angesetztes Umlaufverfahren, zu dem es wegen des pandemiebedingten Versammlungsverbots keine gangbare Alternative gibt, kann nicht mit der Begründung beanstandet werden, es vereitele das Recht zur Aussprache. Erst recht nicht darf es mit einer solchen Begründung boykottiert werden.

Ihr Boykott der Stimmabgabe war auch nicht geeignet, eine Aussprache zu erzwingen, sondern dazu gedacht, die Beschlussfassung als solche zu vereiteln.


4. Fazit:

Das GmbH-Gesetz stellt an die Beschlussfähigkeit einer Versammlung keine besonderen Anforderungen. Das hat zur Folge, dass bei wirksamer Ladung an alle Gesellschafter ein einziger, erschienener (Minderheits-)Gesellschafter zu den angekündigten Tagesordnungspunkten allein sämtliche Beschlüsse fassen kann. Daher sehen Satzungsregelungen häufig vor, dass Beschlüsse nur gefasst werden können, wenn mindestens 50% der Gesellschafterstimmen anwesend oder vertreten sind (sog. Quorum), oft gefolgt von einer weiteren Regelung, dass bei Nicht-Erreichen dieses Quorum erneut zur so genannten 2. Gesellschafterversammlung einzuladen ist, die dann unabhängig vom Erreichen des Quorum beschlussfähig ist. Durch eine solche Regelung werden alle Gesellschafter über die Folgen ihres Nicht-Erscheinens gewarnt.

Wenn aber die Satzung keine 2. Folgeversammlung bei Nichterreichen des Quorums in der 1. Einberufenen Gesellschafterversammlung vorsieht, dann ist wie im vorliegenden Fall für den von einer Beschlussfassung betroffenen Gesellschafter äußerste Vorsicht geboten. Denn dann, wenn die Satzung keine 2. Gesellschafterversammlung vorsieht, denn nach Auffassung der Gerichte gebietet den Gesellschaftern die Treuepflicht sowohl die Teilnahme an Präsenzversammlungen als auch die Teilnahme an rechtmäßig einberufenen Umlaufabstimmungen.

Wir helfen Ihnen bei der Vorbereitung und Durchführung von Gesellschafterversammlungen sowie bei der Durchsetzung und Abwehr von Gesellschafterbeschlüssen gerne weiter!




Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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