Wirksame Anfechtung notarielles Testaments wegen Testierunfähigkeit – Erbscheinverfahren versus Erbenfeststellungsklage

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1.

Ausgangslage:

a)

Aktuell haben wir unseren Mandanten erfolgreich nach Anfechtung eines notariellen Testaments nach Enterbung im Rahmen eines eingeleiteten Erbscheinverfahrens vertreten. Unser Mandant war auf Grundlage eines notariellen Testaments enterbt und auf den Pflichtteil gesetzt. Laut notariellem Testament wurde sein Bruder zum Alleinerben bestimmt.

Nach Vorliegen mehrerer gewichtiger Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung des notariellen Testaments bereits testierunfähig war, haben wir für unseren Mandanten das Erbscheinverfahren vor dem Nachlassgericht eingeleitet und als gesetzlichen Erben neben seinem Bruder einen Teilerbschein zu ½ beantragt. Unsererseits wurde das Testament mit der Begründung angefochten, da der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung des notariellen Testaments nicht mehr testierfähig war.

Der zum Alleinerben eingesetzte Bruder war der Meinung, dass der Erblasser durchaus in der Lage war, alles richtig zu erfassen und entsprechende Antworten und Reaktionen von sich geben konnte.

Da unsererseits im Zuge der Anfechtung des Testaments dem Nachlassgericht gewichtige Anknüpfungstatsachen dafür geliefert werden konnten, dass der Erblasser bereits testierunfähig war,  holte das Nachlassgericht ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zur Testierfähigkeit des Erblassers ein.

b)

In seinem Gutachten kam der Gutachter zu dem Ergebnis, dass sich kein vernünftiger Zweifel daran begründen lasse, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung die Fähigkeit verloren hatte, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Es sei daher von Testierunfähigkeit auszugehen.

Dieses Ergebnis begründet der Sachverständige nach psychiatrischer Gesamtwürdigung der über den Erblasser vorliegenden medizinischen Befunde und weiteren Mitteilungen.

Auch die Mitarbeiterinnen des Pflegeheims schilderten, dass der Erblasser geistig wie körperlich nicht mehr in der Lage gewesen sei, Handlungen selbst und mit klarem Verstand durchzuführen.

Der das Testament aufnehmende Notar hatte hingegen in seiner Stellungnahme angegeben, dass ihm Abweichungen zum Regelfall der anzunehmenden Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit nicht in Erinnerung seien.


2. Entscheidung des Nachlassgerichts und Begründung:

a)

Das Nachlassgericht hat den für unseren Mandanten beantragten Erbschein zu 1/2 erteilt.

Das Nachlassgericht hat das notarielle Testament wegen Testierunfähigkeit für nichtig erachtet.

b)

Zur Begründetheit der Testamentsanfechtung:

(1)

Gemäß § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

Insoweit ist, da die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, ein Erblasser bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig anzusehen, das heißt, dass Testierunfähigkeit zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen muss - bloße Zweifel an der Testierfähigkeit reichen nicht aus. Für den Beweis genügt, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen und jede Möglichkeit des Gegenteils nicht auszuschließen ist, ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Derjenige, der sich auf die Testierunfähigkeit beruft, trägt dabei die Feststellungslast und es verbleibt in dem Fall, dass trotz aller Aufklärungsmöglichkeiten unbehebbare Zweifel verbleiben, bei der Testierfähigkeit des Erblassers (vgl. OLG München, Beschluss vom 15.12.2016, Az. 31 Wx 144/15; OLG München, Urteil vom 29.04.2009, Az. 20 U 5261/08; Palandt-Weidlich, § 2229, RdNr. 11, mwN).

(2)

Im vorliegenden Fall hat die durchgeführte Beweisaufnahme durch Einholung schriftlicher Zeugen-aussagen bzw. entsprechender Stellungnahmen, Vernehmung von Zeugen, Beiziehung von Kranken-/Betreuungsunterlagen sowie nach Begutachtung durch einen gerichtlich bestellten psychiatrischen Sachverständigen zusammen mit dem sonstigen Akteninhalt zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass eine entsprechende Testierunfähigkeit bei der Testierung zur Überzeugung des Gerichts feststeht, so dass sich die Erbfolge nach dem Gesetz richtet.

Die Klärung der Frage, ob die Voraussetzungen der Testierunfähigkeit bei dem Erblasser gegeben waren, verlangt vom Nachlassgericht, die konkreten auffälligen Verhaltensweisen des Erblassers aufzuklären, sich sodann Klarheit über den medizinischen Befund zu schaffen und anschließend die hieraus zu ziehenden Schlüsse zu prüfen, sowie bei dann weiter bestehenden Zweifeln an der Testierfähigkeit regelmäßig ein Gutachten eines psychiatrischen oder nervenärztlichen Sachverständigen hinsichtlich des medizinischen Befunds einer Geisteskrankheit oder -schwäche und insbesondere deren Auswirkung auf die Einsichts- und Willensfähigkeit des Erblassers einzuholen sowie dieses Gutachten auf seinen sachlichen Gehalt und seine logische Schlüssigkeit sowie darauf zu prüfen, ob es von dem erwiesenen Sachverhalt ausgeht und eine am richtigen Begriff der Testierfähigkeit orientierte überzeugende Begründung liefert (vgl. BayObLG, Beschluss vom 14.09.2001, Az. 1Z BR 124/00; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.06.2012, Az. I-III Wx 237/11 mwN).

(3)

Das Gericht hatte hierzu auch die maßgeblichen Kranken- bzw. Pflegeunterlagen und diverse Stellungnahmen und Aussagen von Zeugen - insbesondere von mit dem Erblasser in Kontakt stehenden Personen, insbesondere auch von den behandelnden Ärzten, eingeholt.

Insoweit ergaben sich für das Gericht im Hinblick auf die Zeugenaussagen bzw. Stellungnahmen Dritter zum (Gesundheits-)Zustand auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen keine Anhaltspunkte, dass diese unrichtig wären. Insbesondere hatte das Nachlassgericht berücksichtigt und in die Entscheidung einbezogen, dass die jeweiligen Personen keinerlei eigenes Interesse an der Feststellung der Testier(un)fähigkeit des Erblassers hatten.

(4)

Hinsichtlich der Wertigkeit von Zeugenaussagen hatte das Nachlassgericht festgestellt, dass der Aussage des (Haus-)Arztes des Erblassers jedenfalls hinsichtlich der tatsächlichen Wahrnehmungen gewisses Gewicht beigemessen werden kann (vgl. KG, Beschluss vom 7. 9. 1999 - 1 W 4291/98; Cording, ZEV 2010, 23), während Beobachtungen medizinischer Laien grundsätzlich kein wesentliches Gewicht bei der Beurteilung der Testierfähigkeit zukommt, insbesondere wenn für den gleichen Zeitraum verlässliche medizinische Dokumentationen vorliegen. Auch der Fremdeinschätzung medizinischer Laien vom Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung kommt bei der Beurteilung der Testierfähigkeit kein Gewicht zu (vgl. OLG München, Beschluss v. 15.12.2016, Az 31 Wx 144/15).

Soweit Angehörige und Zeugen immer wieder angeben, dass ein Erblasser zu manchen Zeitpunkten (wiederholt) hinsichtlich seiner geistigen Fähigkeiten besser erschien als in der restlichen Zeit, so wird dabei in der Regel nicht eine Verbesserung geistiger Fähigkeiten, insbesondere nicht der Urteils- oder Willensbildung, beschrieben, sondern eine bessere Vigilanz, d.h. einen höheren Grad an Wachheit (vgl. Wetterling, ErbR 2014, 94,104).

Geringe Aussagekraft haben darüber hinaus insbesondere Bekundungen über eine tatsächliche oder vermeintliche Normalität, da diese oftmals nicht zuletzt darauf beruhen, dass Zeugen an die zu beurteilende Person gewöhnt sind und in einem eher oberflächlichen Gesprächskontakt stehen. Außerdem gelingt eine Verständigung über alltägliche Dinge auch dann noch, wenn der geistige Verfall weit fortgeschritten ist (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 20. Februar 2018 – 2 W 63/17; BayObLG, Beschluss v. 04.07.1994, 1 Z BR 139/93).

Insbesondere können solche allgemeinen Ausführungen andere von Zeugen geschilderte konkrete Auffälligkeiten, Symptome und Funktionsdefizite grundsätzlich nicht in Frage stellen. Die Unterschiedlichkeit der Zeugenaussagen kann sich nämlich allein daraus ergeben, dass ein Zeuge bestimmte Symptome schlicht nicht wahrgenommen hat. Der Eindruck von Unauffälligkeit und Normalität schließt selbst gröbste intellektuelle und affektive Beeinträchtigungen nicht aus. Konkret und detailliert geschilderte auffällige Äußerungen und Verhaltensweisen des Erblassers haben als Anknüpfungstatsachen größeres Gewicht als die Schilderung von Normalität (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 20. Februar 2018 – 2 W 63/17).

Hinsichtlich der vorliegenden Unterlagen ist weiter zu berücksichtigen, dass ärztlichen Befunden größeres Gewicht beigemessen werden kann als Berichten von Pflegern o.ä.. (vgl. OLG München, Beschluss vom 14.08.2007, Az. 31 Wx 16/07).

(5)

Das Gericht hat sodann das erforderliche gerichtliche Sach-verständigengutachten eingeholt.

In der Gesamtschau der vorliegenden Unterlagen und Stellungnahmen/Vernehmungen stand zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Erblasser bei Abfassung des Testaments nicht testierfähig war.

Der Sachverständige hatte als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie die zur Beurteilung der Testier(un)fähigkeit erforderliche Sachkunde (vgl. Burandt/Rojahn, Erbrecht, § 2229 Rn. 24).

Dem Sachverständigen lagen sämtliche vom Gericht erholten Unterlagen und Aussagen zur Verfügung. Es ist gerade Aufgabe des Sachverständigen, aus dem ihm übermittelten Material diejenigen Informationen auszuwählen, die aus medizinisch-psychiatrischer Sicht für die Beurteilung der Testierfähigkeit zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung überhaupt von Bedeutung sein können.

Es besteht auch keine Notwendigkeit, in einem Gutachten alle diejenigen Informationen aufzuzählen, die aus Sicht des Gutachters irrelevant sind (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 20. Februar 2018 – 2 W 63/17). Insoweit ist vorliegend weder eine selektive Auswahl noch eine unvollständige Angabe von Ausführungen bzw. Unterlagen oder eine falsche Gewichtung bzw. Bewertung derselben ersichtlich.

(6)

Es darf auch die Äußerung eines Willens nicht mit der Fähigkeit zur Willensbildung gleichgesetzt werden (vgl. OLG München, Beschluss v. 01.07.2013, Az. 31 Wx 166/12) VI 2796/19 (2). Die Fähigkeit eines Erblassers ein einfaches Gespräch zu führen oder in der Zeitung zu lesen, kann nicht dahingehend gewertet werden, dass Testierfähigkeit vorlag, da Testierunfähigkeit auch dann vorliegen kann, wenn noch einzelne rudimentär vorhandene intellektuelle Fähigkeiten erhalten sind (vgl. OLG München, Beschluss vom 14.08.2007, Az. 31 Wx 16/07).

Die Feststellungen des Sachverständigen reichten in der Zusammenschau und Gesamtbewertung insgesamt ohne weiteres zur Überzeugung des Gerichts aus, um von einer Testierunfähigkeit des Erblassers aufgrund seiner Demenz und der damit einhergehenden kognitiven Beeinträchtigungen auszugehen.


3. Erbscheinverfahren versus Erbenfeststellungsklage:

(1)

Gegen eine Entscheidung des Nachlassgerichts kann der andere Miterbe Beschwerde einlegen.

(2)

Das Erbscheinverfahren ist für denjenigen, der sich auf die Testierunfähigkeit bzw. Nichtigkeit einer letztwilligen Verfügung beruft, insoweit taktisch vorteilhaft, da das Nachlassgericht bei ausreichenden Anknüpfungstatsachen nach dem Amtsermittlungsgrundsatz Informationen zu einer Testierunfähigkeit einholt und diese dann dem Sachverständigen zur weiteren Überprüfung vorlegt. In einem ordentlichen Verfahren vor den Zivilgerichten gilt im Erkenntnisverfahren für eine Erbenfeststellungsklage der Beibringungsgrundsatz, d. h. jede Partei muss die Beweismittel selbst beschaffen.

(3)

Die Erbenfeststellungsklage kann sofort, aber auch noch nach Abschluss eines Erbscheinverfahrens erhoben werden. Ein durch das Erbscheinverfahren beschwerter Miterben kann zu jedem Zeitpunkt eine Erbenfeststellungsklage vor den ordentlichen Gerichten einreichen.

Im Rahmen einer Feststellungsklage hat dann wieder derjenige Miterbe, der sich auf die Testierunfähigkeit beruft, als beweisbelastete Partei den Nachweis der Testierunfähigkeit zu erbringen.

(4)

Urteile im Rahmen einer Erbenfeststellungsklage gehen aufgrund der damit verbundenen Rechtskraftwirkung dem Erbscheinverfahren vor.

Ein im Erbscheinverfahren unterlegener Miterben kann anstatt sein Heil im Rahmen der Beschwerde zu suchen taktisch in die Erbenfeststellungsklage wechseln. Dies kann unter gewissen Umständen überaus ein kluger Schachzug sein. Nachdem meistens im Nachlassverfahren ein Gutachten die Testierunfähigkeit bescheinigt, wird auch das Beschwerdegericht regelmäßig mit großer Wahrscheinlichkeit die Auffassung des Nachlassgerichts bestätigen.

Durch den Wechsel vom FGG-Verfahren in ein normales ZPO Verfahren, können die Erben sicherstellen, dass das Zivilgericht erneut ein Gutachten zur Frage der Testierunfähigkeit einholt.

Eine Feststellungsklage kann übrigens auch erhoben werden, wenn bereits ein Erbschein erteilt worden ist. Ist die Feststellungsklage dann erfolgreich, dann wird der Erbschein unrichtig und muss Nachlassgericht eingezogen werden.

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