Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ("Hartz IV") bei Haftunterbrechung

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Heute einmal eine aktuelle Entscheidung im Grenzgebiet zwischen Straf- und Sozialrecht.

Das SGB II sieht u. a. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und zur Sicherung des Lebensunterhalts vor.

Beides ist prinzipiell weder möglich noch notwendig, wenn jemand eine Haftstrafe verbüßt. Denn der Inhaftierte kann grundsätzlich keine Arbeit aufnehmen und sein Lebensunterhalt wird in der Justizvollzugsanstalt (JVA) sichergestellt. Folglich sieht das Gesetz regelmäßig einen kompletten Leistungsausschluss in solchen Fällen vor (§ 7 Abs. 4 SGB II).

Keine Regel ohne Ausnahme – hier die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen v. 26.02.2019 (L 11 AS 474/17):

Der Kläger verbüßte eine Freiheitsstrafe in der JVA. Die Vollstreckung wurde unterbrochen, weil sich der Kläger für insgesamt 21 Tage einer stationären Heilbehandlung (hier: Bypass-OP am Herzen u. anschließende Reha) unterziehen musste. Dieser „Strafausstand wegen Vollzugsuntauglichkeit“ (wunderbares Amtsdeutsch) hat nach der Strafprozessordnung zur Folge, dass sich der Zeitpunkt der Entlassung des Gefangenen nach hinter verschiebt – daher der Begriff „Haftunterbrechung“.

Der Kläger begehrte für die Dauer der Haftunterbrechung Leistungen nach dem SGB II. Er sei völlig mittellos und für die Zeit der Haftunterbrechung auch kein Strafgefangener, sodass der gesetzliche Ausschluss (§ 7 Abs. 4 SGB II) nicht greife.

Jobcenter und Sozialgericht meinten, die Rechtslage sei insoweit eindeutig und der Kläger habe keinen Leistungsanspruch, da die Anspruchsvoraussetzungen nicht gegeben seien. Dies sah das Landessozialgericht anders und bewilligte dem Kläger anteilige Regelbedarfsleistungen i. H. v. 279,30 Euro.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das Landessozialgericht den Kläger aufgrund der Tatsache, dass die Heilbehandlung nicht auf die Haftstrafe angerechnet wird, im Heilbehandlungszeitraum nicht als Strafgefangenen ansieht. Es stellt heraus, dass es keine zeitliche Mindestgrenze der Hilfebedürftigkeit gebe, sodass auch kurze Zeiträume (hier: 21 Tage) bewilligungsfähig sind. Schließlich müsse sich der Beklagte auch nichts gegenrechnen lassen, weil es im Krankenhaus und in der Klinik Vollverpflegung gebe. Eine individuelle Bedarfsermittlung und abweichende Festsetzung der Regelsatzhöhe sei nämlich gesetzlich nicht vorgesehen.

Die Entscheidung ist bemerkenswert, weil sie grundlegende Fragen des SGB II-Leistungsrechts anspricht und zeigt einmal mehr, dass Recht manchmal erkämpft werden muss und sich dieser Kampf auch lohnt.

Gruß aus dem Ruhrpott

Ihr

Daniel Siegl 

Anwalt in Gelsenkirchen u. Recklinghausen


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