Aufsichtsräte im Risiko: Haftung bei zu wenig Kontrolle und zu viel Äußerungen - Der Fall VW - Piech

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Fall VW: Bei VW gab es eine spektakuläre Äußerung eines Aufsichtsrats, die dem Aufsichtsrat und der Gesellschaft große Probleme bereitete. Hintergrund waren die Äußerungen Piëchs 2009 im Rahmen der Übernahmeschlacht von VW mit Porsche im Gespräch gegenüber Journalisten, er habe sich keine Klarheit über die Risiken der Optionsgeschäfte von Porsche verschaffen können und wisse nicht, wie hoch diese Risiken gewesen seien.
Trotzdem wurde ihm später in der Hauptversammlung die von ihm beantragte Entlastung erteilt. Gegen diese Entlastung klagte ein Aktionär und er bekam Recht.
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat am 29.02.2012 entschieden, dass auf Grund der eigenen Einlassung vor den Journalisten eine schwerwiegende Pflichtverletzung erwiesen sei.
Der Aufsichtsrat hat seine Überwachungspflicht verletzt.
Der Entlastungsbeschluss wurde für nichtig erklärt.  
Der BGH ließ gegen das Urteil gegen Revision zu- das Urteil ist daher rechtskräftig, Beschluss vom 06.11.2012 Az. II ZR 111/12.
Fall Deutsche Bank:
Der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank, Herr Rolf Breuer, hat das Kirch-Imperium durch ein Fernsehinterview geschädigt und führte zu einer Schadensersatzpflicht in Höhe von vielen Hundert Millionen Euro.
Fall Berliner Flughafen:
Die Aufsichtsräte stehen auch beim neuen Berliner Flughaften auf Grund der gravierenden Mängel "im Feuer". Die ursprünglich geplanten Kosten von 2,8 Milliarden erhöhen sich um 1,5 Milliarden Euro. Aus dem Starttermin 30. Oktober 2011 wurde frühestens 2014. Der Aufsichtsrat der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH umfasst 15 Mitglieder.  
Viele behaupten, dass der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft alles freundlich abgenickt aber nicht kontrolliert hat.
Aufgaben und Pflichten von Aufsichtsräten: 
Eine funktionierende duale Führungsstruktur setzt neben einer kompetenten Führung durch den Vorstand auch eine kompetente und kritische Kontrolle durch den Aufsichtsrat voraus.
1. Erforderliche Kenntnisse und Kompetenzen des Aufsichtsrats
Der Deutsche Corporate Governance Kodex fordert, dass die Aufsichtsratsmitglieder über die für ihre Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen müssen. Der Aufsichtsrat muss den Vorstand kompetent kontrollieren, ihn beraten und die Strategie mitbestimmen. Die Kompetenzen sind meist abhängig vom jeweiligen Unternehmen und der Unternehmensstrategie. Aufsichtsräte müssen neben Unabhängigkeit, Integrität, Nachhaltigkeit auch ethische Grundsätze beachten.
2. Pflichten des Aufsichtsrats
2.1. Berufung und Abberufung der Vorstände 
2.2. Kontrolle und Beratung des Vorstands in Sachen Unternehmensstrategie
2.3. Überwachung der Geschäftsführung

2.4. Überwachung der Compliance
2.5. Organisation einer eigenen Effizienzprüfung
3. Einzelheiten zu den Pflichten
3.1. Tiefe der Überwachung
Die wichtigste Aufgabe des Aufsichtsrates ist die Überwachung der Geschäftsführung.
Der Überwachung unterliegt die Gesamtheit der Leitungs- und Verwaltungsmaßnahmen, die die Geschäftsleitung höchstpersönlich wahrnehmen muss. Die Überwachung ist nicht auf eine nachträgliche Kontrolle beschränkt, sondern soll vor allem zukunftsorientiert wahrgenommen werden. Der Bundesgerichtshof hat die Pflichten des Aufsichtsrats z.B. bei Kreditvergabe im Konzern präzisiert. Laut Urteil (II ZR 102/07) vom 01.12 2008 können Aufsichtsräte haftbar gemacht werden, wenn sie ein Darlehn, das sie einer Tochter- der Muttergesellschaft gewährt hat, nicht fortlaufend auf Werthaltigkeit prüfen. Die bloße Tatsache, dass Kredite nicht gesichert waren, löst aber keine Schadensersatzpflicht aus. Im Fall hatte eine Aktiengesellschaft an ihre Bau-Tochter Kredite von über 40 Millionen Euro vergeben - ohne Sicherheiten. Nach Insolvenz der Mutter hatte der Insolvenzverwalter zwei Aufsichtsräte verklagt, weil sie den Verlust hätten voraussehen müssen.
3.2. Eigene Risikoanalyse
Bei Geschäften, die wegen ihres Umfangs, der mit ihnen verbundenen Risiken oder ihrer strategischen Funktion für die Gesellschaft besonders bedeutsam sind, muss jedes Aufsichtsratsmitglied den relevanten Sachverhalt erfassen und sich ein eigenes Urteil bilden; dies umfasst regelmäßig auch eine eigene Risikoanalyse, OLG Stuttgart ZIP 2012, 625;  EWIR 2012 S. 303.
Gleiches dürfte für den Berliner Flughaften gelten. Man muss alle erforderlichen Auskünfte einholen- früh und vollständig.
3.3. Konkretisierung der Überwachungspflicht

Aufgabe des Aufsichtsrates ist es, den Vorstand zu überwachen. Er muss dazu die Bücher, Geschäftsvorgänge, Pläne und Vermögen der Gesellschaft einsehen und prüfen.
Jedem einzelnen Aufsichtsratsmitglied obliegt eine Holschuld. die es durch Berichtsanforderung und gegebenenfalls durch Inanspruchnahme externer Hilfe zu erfüllten hat.
Die Aufsichtsratsposition ist eine persönliche Aufgabe.
3.3.1. Aufsichtsratssitzung
In jedem Kalenderjahr müssen mindestens zwei Aufsichtsratssitzungen stattfinden. Man muss sich persönlich treffen. Nur in Ausnahmefällen dürfen Telefon- oder Videokonferenzen stattfinden.
Je mehr Probleme, umso höher die Aufsichtspflicht.
3.3.2. Abgestufte Pflicht zur Überwachung
Der Aufsichtsrat hat die Pflicht, die Geschäftsführer zu überwachen.
Die herrschende Meinung erkennt eine abgestufte Überwachungspflicht an. Bei Normallage der Gesellschaft genügt der Aufsichtsrat bereits seiner Pflicht bei sorgfältiger Prüfung und Erörterung der Vorstandsberichte. In Sonderlagen oder Sondersituationen, insbesondere bei wirtschaftlicher "Schieflage" sind die Aufsichtsratsmitglieder verpflichtet, ihre Überwachungstätigkeit zu intensivieren, MünchKomm AktG § 111 Rz.46 ff.
Wenn der Aufsichtsrat diese Pflicht nicht erfüllt und der Gesellschaft dadurch Schaden entsteht, so kann jedes Mitglied persönlich in Regress genommen werden.
3.3.2. Zustimmungspflichtige Rechtsgeschäfte
Der Aufsichtsrat legt in der Geschäftsordnung fest, welche Rechtsgeschäfte des Vorstands der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen.
3.4. Holschuld

Die Aufsichtsräte haben eine Holschuld. Sie können nicht warten, bis die Unterlagen und Auskünfte an sie herangetragen werden. Sie müssen sie selbst anfordern.
3.5. Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand
Auf Grund seiner Überwachungspflicht prüft der Aufsichtsrat eigenverantwortlich, ob die Gesellschaft Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand geltend machen kann. Wenn eine Schadensersatzklage Erfolg verspricht, muss der Anspruch auch geltend gemacht werden.
3.6. Freie Meinungsäußerung und Treuepflicht
Der Aufsichtsrat hat Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse vertraulich zu behandeln, §§ 106, 404 AktG. Mitglieder des Aufsichtsrats, die durch öffentliche Meinungsäußerungen im Rahmen eines unternehmensinternen Konflikts die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft gefährden, verletzen grundsätzlich ihre Treuepflicht dieser gegenüber. OLG Stuttgart, Urt. v. 29.02.2012 20 U 3/11 (BGH Aktenzeichen II ZR 111/12, vgl. oben)
3.7. Insiderkenntnisse
Aufsichtsräte unterliegen den Beschränkungen nach § 14 WpHG.
Insiderverstöße können mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden.
3.8. Effizienz der Aufsicht
Der Abschnitt 5.6 des Corporate Governance Kodex fordert, dass die Aufsichtsräte regelmäßig die Effizienz ihrer Tätigkeit prüfen.
3.9. Keine Rechtsberatung
Aufsichtsräte, die für das von Ihnen kontrollierte Unternehmen zugleich als Berater tätig werden, stellen ihr unabhängiges Aufsichtsratsmandat, das ja Kontrollinstanz darstellen soll, in Frage.
Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung (BGH II ZR 151/04) ein Aufsichtsratsmitglied, das mit seiner Steuerberatungsgesellschaft zugleich die Aktiengesellschaft betriebswirtschaftlich und steuerlich beraten hat,  zur persönlichen Haftung für die Honorarzahlung an die Steuerberatungsgesellschaft in Höhe von 1,2 Millionen Euro verurteilt.
Es handelt sich nach Ansicht der Richter um eine verdeckte Sonderzuwendung.
Haben Aufsichtsratsmitglieder aufgrund fehlerhafter Verträge Beraterhonorare erhalten, sind die Mitglieder des Vorstands verpflichtet, Rückzahlungsansprüche gegen das Aufsichtsratsmitglied geltend zu machen. Wenn sie dies unterlassen, haften auch diese.
3.10. Beginn der Aufsichtspflicht
Die Pflicht zur Aufsicht ergibt sich bereits bei Gründung der Gesellschaft.
Geprüft werden müssen auch alle Angaben der Gründer über die Übernahme der Aktien, über Einlagen auf das Grundkapital und über die Festsetzungen nach §§ 26 und 27 Aktiengesetz. Das gleiche gilt für Sacheinlagen und Sachübernahmen.
Es muss auch geprüft werden, ob der Wert der Sacheinlagen oder Sachübernahmen mindestens den Ausgabebetrag erreicht.
4. Haftung  des Aufsichtsrats
4.1. Hauptfälle

  • Mangelhafte Aufklärung von Sachverhalten
  • Fehlende Umsicht in der Phase der Krise der Gesellschaft
  • Mitwirkung des Aufsichtsrats an strafbaren oder rechtwidrigem Verhalten

4.2. Pflicht zur Einholung von Informationen/ Holschuld
Ist für ein Rechtsgeschäft die Zustimmung des Aufsichtsrates erforderlich, darf dieser seine Zustimmung erst dann erteilen, wenn er die zur Beurteilung erforderlichen Informationen eingeholt und auf Grundlage dieser Informationen eine Chancen- und Risikoanalyse durchgeführt hat. Andernfalls haften die Mitglieder des Aufsichtsrates für den Schaden, welcher der Gesellschaft durch das Rechtsgeschäft entsteht, vgl. BGH 11. 12. 2006, II ZR 243/05.
4.3. Beweislast und Beweislastumkehr
Entsteht der Gesellschaft durch pflichtwidriges Verhalten des Aufsichtsrats Schaden, so haften die Aufsichtsratsmitglieder persönlich und gesamtschuldnerisch. Die Aufsichtsräte trifft die Beweislast, ob sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben. Von der Pflichtwidrigkeit und dem Verschulden des Aufsichtsrates wird also ausgegangen, bis der Aufsichtsrat das Gegenteil bewiesen hat.
Es gilt daher eine Beweislastumkehr. Geeignete Beweismittel sind Urkunden, Belege, Sachverständigengutachten, Zeugen
4.4. Haftungsvermeidung: Bedenken anmelden oder Niederlegen
Wenn ein Beschluss des Aufsichtsrats gegen ein Gesetz oder die Satzung verstößt, ist jeder Aufsichtsrat verpflichtet, dagegen vorzugehen. Um zu vermeiden dass ein Aufsichtsratsmitglied hier haftet, muss er seine Bedenken äußern und alle möglichen Maßnahmen zur Abwendung ergreifen. Es sollte eine Niederschrift der Sitzung gefertigt werden, in der die Bedenken aufgeführt sind. Der Aufsichtsrat kann, wenn er erkennt, dass pflichtwidrig gehandelt wird und er es nicht verhindern kann, sein Aufsichtsratsmandat niederlegen.
4.5. Haftpflichtversicherung
Jeder Aufsichtsrat sollte eine Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherung abschließen.
Die Kosten muss die Gesellschaft tragen. Der Aufsichtsrat kann und muss sich Rat einholen, wenn er selbst keine Spezialkenntnisse hat. Dies bezieht sich auch auf die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft. Der Aufsichtsrat kann und muss daher z-.B. Rechtsrat einholen.
4.6. Klage gegen Aufsichtsräte
Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) im November 2005 können Aktionäre  unter bestimmten Bedingungen gegen einen Aufsichtsrat klagen.
5. Vergütung des Aufsichtsrats

Aufsichtsratsmitglieder haben im Gegensatz zum Vorstand keinen gesetzlichen Anspruch auf Vergütung. Eine Vergütung ist allerdings allgemein üblich.
Nach einer Aufsichtsratsstudie 2006/2007, bei der 13.000 Aufsichtsratspositionen in 1.500 Unternehmen analysiert wurden, verdient ein Aufsichtsrat in Deutschland jährlich durchschnittlich 18.000 Euro. 25 % der Unternehmen zahlen ihren Aufsichtsräten maximal 5.000 Euro/Jahr. Dax-Unternehmen zahlen im Schnitt 114.500 Euro. Früher verdiente ein Aufsichtsrat noch ca. 13 Prozent der Vorstandsbezüge. Heute sind es durchschnittlich noch 4 %.
Die niedrige Vergütung steht der notwendigen Professionalisierung entgegen.
Vor allem sind hohe Haftungsrisiken bei der Vergütung angemessen zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass qualifizierte Aufsichtsräte tatsächlich Aufsicht üben müssen und dafür auch angemessen entlohnt werden sollen. 
6. Besetzung des Aufsichtsrats
Der Aufsichtsrat sollte eine gesunde Mischung von kompetenten Frauen und Männern verschiedener Fachrichtungen, Alters, Berufe, Kompetenzen und Interessenschwerpunkte sein. 
7. Fazit
Der Aufsichtsrat muss eine wirksame Kontrolle vornehmen.
Er muss auch kontrollieren. ob die Geschäftsleitung ein Kontrollsystem installiert hat zur permanenten Kontrolle der wirtschaftlichen Daten - insbesondere der Zahlungsfähigkeit.
Hat der Aufsichtsrat nicht die erforderlichen Spezialkenntnisse, kann er Spezialisten zu Lasten der Gesellschaft beauftragen. Er kann es nicht nur- er muss.
Wenn er nicht ausreichend kontrolliert, kann er haften und zwar persönlich und dies unbeschränkt.
Der Aufsichtsrat muss sich ferner genau überlegen, wann er, was, gegenüber wem sagt.
Er kann sich dadurch selbst sehr schaden.
Fachanwälte für Gesellschaftsrecht mit kaufmännischer Zusatzqualifikation sind als Trainer oder Coach von Aufsichtsräten gut geeignet, damit eine konstruktive und kritische Aufsicht geleistet werden kann. 
Ferner ist ein Kontroll-System erforderlich. Auf dem Markt gibt es funktionierende.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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