Berliner Gerichtsurteil zur Erbschleicherei: Wie Sie als Erbe gegen ein manipuliertes Testament vorgehen können

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Schutz gegen Erbschleicherei vor Gericht


Manipulation am Testament

Das Kammergericht Berlin hat im Jahr 2019 in einem Beschwerdeverfahren zu einer Entscheidung des untergeordneten Nachlassgerichts Berlin Wedding dargelegt, was ein Erbe nachzuweisen hat, wenn er sich auf die Ungültigkeit eines Testaments beruft [KG Beschluss vom 9.5.2019 - 19 W 30/19]. Dieser Ratgeber stellt die Anforderungen systematisch dar, um Ihnen als Erbe Informationen an die Hand zu geben, wie Sie vor Gericht gegen einen Erbschleicher Erfolg haben können.

Erbschleicherei ist ein perfides Instrument, um sich an dem Vermögen anderer zu bereichern. Sie kommt in Familien ebenso vor wie durch Dritte, wo ein Vertrauensverhältnis besteht, etwa im Rahmen der altersbedingten Pflege zu Hause. Der ungerechtfertigte Vermögenszugriff erfolgt in der Regel dadurch, dass der Vermögensinhaber veranlasst wird, ein Testament zu verfassen oder zu ändern. Im Ergebnis soll der Erbschleicher Erbe werden und Angehörige oder andere Personen enterbt oder anderweitig finanziell benachteiligt.

Erbschleicherei ist in Deutschland kein Straftatbestand. Ob ein Erbschleicher letztlich wirksam eine Erbschaft antreten kann, hängt vielmehr von der zivilrechtlichen Frage ab, ob ein Testament, das ihn begünstigt, wirksam ist. Dazu ist Voraussetzung, dass der Erblasser das Testament mit freiem Willen verfasst hat.

Da ein Testament nicht öffentlich ist, wird Familienangehörigen oftmals erst nach dem Erbfall bekannt, wie die testamentarische Regelung ist. Halten sie das Testament für unwirksam, weil ein Erbschleicher den Erblasser manipuliert hat, können sie dagegen gerichtlich vorgehen. Neben einer Klage, mit der das Testament angefochten wird, kann eine gerichtliche Überprüfung auch im Erbscheinverfahren veranlasst werden. Um ein solches Gerichtsverfahren ging es in dem Fall des Nachlassgerichts Berlin Wedding.

Ein per Testament bedachter Erbe hatte bei dem zuständigen Nachlassgericht einen Erbschein für zwei Erben beantragt. Das Nachlassgericht hatte dem stattgegeben und den Erbschein auf die antragstellende Person und eine weitere Person erstellt. Dagegen hatte sich eine der Erben mit einer Beschwerde gewandt und geltend gemacht, dass sie allein Erbin sei, da das Testament nicht wirksam zustande gekommen wäre. Der im Erbschein benannte Miterbe habe den Erblasser manipuliert und bedroht, so dass das Testament ohne dessen freien Willen zustande gekommen sei. Ohne Testament sei gesetzliche Erbfolge eingetreten und danach sei sie Alleinerbin.

Prüfung der Wirksamkeit eines Testaments im Erbscheinverfahren

Zu den Aufgaben des Nachlassgerichts gehört die Erstellung eines Erbscheins. Das Nachlassgericht ist eine Abteilung im Amtsgericht vor Ort. Ein Erbschein ist für Erben immer dann erforderlich, wenn die Erbenstellung im Rechtsverkehr mit einer öffentlichen Urkunde nachgewiesen werden muss und nicht bereits ein notarielles Testament mit gerichtlichem Eröffnungsprotokoll vorliegt. Beispiele sind Immobilientransaktionen und Eintragungen in Registern. Einen Erbscheinsantrag kann jeder Erbe stellen. Dazu muss er einen Nachweis erbringen, aus welchem Grund er eine Erbenstellung geltend macht. Ein solcher Grund ist zunächst ein Testament. Fehlt es allerdings an dessen Wirksamkeit und liegt kein anderes gültiges Testament vor, liegt der Grund für die Erbenstellung in der gesetzlich geregelten Erbfolge des 5. Buchs (Erbrecht) im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB).

Im Rahmen eines Erbscheinverfahrens prüft das Nachlassgericht selbstständig, ob die Voraussetzungen für eine Erteilung des beantragten Erbscheins erfüllt sind. Wurde als Rechtsgrund von dem Antragsteller ein Testament genannt, überprüft es, ob ein Testament wirksam ist. Dabei kann das Nachlassgericht zunächst davon ausgehen, dass ein Testament wirksam zu Stande gekommen ist, sofern es keine Anhaltspunkte erhält, die Zweifel begründen. Liegen keine offensichtlichen Mängel an der Wirksamkeit eines Testaments vor, überprüft das Nachlassgericht ein Testament also nur dann intensiv, wenn Gründe genannt werden, die gegen eine Wirksamkeit sprechen. Im Fall der Erbschleicherei ist ein solcher Grund in den überwiegenden Fällen, dass der Testierende nicht mit freiem Willen gehandelt hat, als er das Testament verfasste. Was die Voraussetzung für eine freie Willensentscheidung im erbrechtlichen Sinne ist, regelt das Erbrecht im § 2229 BGB mit der Definition der Testierfähigkeit. Danach kann ein Testament nur wirksam durch eine Person verfasst werden, die testierfähig ist.

Testierfähigkeit als Voraussetzung zur Wirksamkeit

Nach § 2229 ist testierfähig, wer das 16. Lebensjahr vollendet hat und zwei weitere Voraussetzungen gegeben sind:

  1. die das Testament verfassende Person leidet nicht unter einer krankhaften geistigen Störung oder einer Geistesschwäche oder einer Bewusstseinsstörung und kann die Bedeutung einer von ihr abgegebenen, testamentarischen Regelung einsehen, ODER die Person leidet zwar unter einer der Symptome, ist aber trotzdem in der Lage, die Bedeutung einer von ihr abgegebenen, testamentarischen Regelung einzusehen
  2. und die Person ist in der Lage sein, nach dieser Einsicht zu handeln.

Laut Gesetz ist demgegenüber Testierunfähigkeit gegeben, wenn die Person geisteskrank ist oder an Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung leidet und deswegen unfähig ist, die Tragweite ihrer testamentarischen Regelung zu erkennen und sich bei der Entscheidung für das Testament von normalen Erwägungen leiten zu lassen.

Testierunfähigkeit muss bewiesen werden

Da die Testierfähigkeit der gesetzliche Regelfall ist, kann das Nachlassgericht wie bereits erwähnt zunächst davon ausgehen, dass dessen Voraussetzungen gegeben sind. Macht jemand Testierunfähigkeit geltend, liegt die Beweislast dafür bei dieser Person. Zwar gilt in einem Erbscheinverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz, nach dem das Nachlassgericht den Sachverhalt selbstständig ermittelt, bis es zu einer Entscheidung nach freier Überzeugung kommt (§ 37 Abs. 1 FamFG). Verbleibende Zweifel gehen aber zu Lasten der Person, welche die Testierunfähigkeit behauptet. Sie muss am Ende also Beweise vorlegen, aus denen das Gericht die Überzeugung gewinnen kann, dass Testierunfähigkeit vorlag. Als Beweismittel kommen insbesondere Zeugenaussagen in Betracht, die zur Situation des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserstellung Auskunft geben können. Darunter fallen beispielsweise Ärzte, die den Erblasser zu Lebzeiten betreut haben. Oder Angehörige, die den Erblasser erlebt haben. Außerdem dienen gutachterliche Stellungnahmen von Sachverständigen oft als Beweismittel.

Umstände, die für und gegen eine Testierfähigkeit sprechen

Ein Gericht entscheidet immer nur für den zu Grunde liegenden Fall. Deswegen rentiert es sich, jeden Erbfall individuell zu prüfen. Als Gegenstand der Prüfung sind dabei folgende Kriterien relevant, nach denen auch das Nachlassgericht sein Urteil fällt. Allerdings ist zu berücksichtigen, das ein Nachlassgericht keine Beurteilung vornimmt, ob ein Testament Regelungen enthält, die aus familiärer Sicht “angemessen” sind. Geprüft wird lediglich, ob das Testament frei verfasst werden konnte und die testierende Person nicht unfähig war, dessen Tragweite zu erkennen und sich von normalen Erwägungen leiten zu lassen.

Umstände, die dafür sprechen, dass Die Anforderungen für eine Testierfähigkeit erfüllt sind:

  • wenn der Testierende frei von Einflüssen Dritter seinen Willensentschluss zur Erstellung des Testaments autonom treffen kann.
  • wenn der Testierende zwar unter Fremdeinflüssen steht, aber immer noch in der Lage ist, selbstständig abwägen und gegenüber dem beeinflussenden Dritten eigenständige Vorstellungen entwickeln zu können und diese auch bei der Formulierung des Testaments umsetzen zu können.
  • wenn die Erwägungen und Willensentschlüsse des Erblassers auf einer dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Bewertung der äußeren Umstände und Lebensverhältnisse basieren
  • wenn der Testierende in vollem Vertrauen den (für Erben nachteiligen) Vorschlägen eines Dritten ohne weitere Prüfung folgt, dies jedoch bewusst und aus eigenem Entschluss tut

Die Anforderungen an Testierfähigkeit sind demnach nicht erfüllt:

  • wenn krankhafte Einflüsse maßgeblich die Motive für die Errichtung der letztwilligen Verfügung beeinflussen. Nicht erforderlich ist dabei, dass der Testierende seine Fähigkeit verliert, eine Vorstellung von der Errichtung eines Testaments oder dessen Inhalt zu machen oder dessen Auswirkungen auf seine oder die seiner Familienangehörigen betreffenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erfassen. Hier genügt es schon, wenn er nicht in der Lage ist, ein ungestörtes Urteil mit Für und Wider über die moralische, sittliche Berechtigung seiner testamentarischen Regelung zu fällen und danach frei von Einflüssen interessierter Dritter zu handeln. Es reicht mit anderen Worten für die Testierunfähigkeit, wenn krankhafte Einflüsse dazu führen, dass bei dem Testierenden die Motive zur Errichtung eines Testaments entscheidend beeinflusst sind, weil er nicht in der Lage ist, ein klares, von krankhaften Einflüssen ungestörtes Urteil über die Gründe zu bilden, die für und gegen eine sittliche Berechtigung seiner testamentarischen Regelung sprechen. Die Einflüsse Dritter müssen dabei aber nicht unerheblich sein. Als Kriterium gilt, dass die Fremdeinflüsse das Gewicht einer pathologischen Determinante erhalten, wodurch der Testierende seine kritische Reserve verliert, um abzuwägen und eigene Gegenvorstellungen zu entwickeln bzw. er nicht mehr in der Lage ist, diese umzusetzen.
  • eine freie Willensbestimmung fehlt, wenn aufgrund einer Störung der Geistestätigkeit bestimmte Vorstellungen, Empfindungen oder Einflüsse Dritter den Willen des Testierenden derart übermäßig beherrschen, dass eine Bestimmbarkeit seines Willens durch vernünftige Erwägungen ausgeschlossen ist (Staudinger/Baldus, BGB 2018, § 2229 BGB Rn. 42).

In dem Berliner Fall konnte das Gericht nicht davon überzeugt werden, dass das Testament durch einen Erbschleicher manipuliert worden war. Der Erbschein wurde deshalb aufrecht erhalten und nicht eingezogen und die Beschwerdeführerin wurde nur anteilige Erbin.

Unterstützung im Fall der Erbschleicherei

Wenn Sie sich gegen einen Erbschleicher wehren wollen, empfehle ich Ihnen, sich zunächst mit einem Anwalt zu besprechen. So erhalten Sie zügig die relevanten Informationen, wie der Nachweis einer Testierunfähigkeit des Erblassers in Ihrer Erbschaft gelingen kann und welche Handlungsempfehlung besteht, um eine testamentarische Regelung aus der Welt zu schaffen.

Foto(s): https://pixabay.com/de/photos/hände-alt-alter-alten-verletzlich-2906458/

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