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Berufsunfähigkeit im Prozess – aktueller BGH-Beschluss vom 30.4.2019 (IV ZR 124/18) Teil 1

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Teil 2

Einstellung einer Berufsunfähigkeitsrente erst nach formellem Nachprüfungsverfahren, trotz bereits wieder feststehender Berufsfähigkeit des Versicherungsnehmers

Die Rechte des Versicherungsnehmers im Prozess wurden erheblich durch ein Urteil des OLG Celle vom 09.04.2018 (8 U 250/17) gestärkt, welches durch den BGH per Beschluss vom 30.04.2019 (IV ZR 124/18) bestätigt wurde.

Wesentliche Gesichtspunkte der Urteile: Insbesondere Leistungen einer Berufsunfähigkeitsrente auch ohne Vorliegen medizinischer Berufsunfähigkeit in bestimmten prozessualen Konstellationen

Im Kern geht es in den genannten Entscheidungen darum, dass eine Versicherung eine Berufsunfähigkeitsrente auch ohne (weiteres) Vorliegen medizinisch festgestellter Berufsunfähigkeit bezahlen muss, bis zu dem Zeitpunkt, bis zu dem die Versicherung in einem gesonderten qualifizierten Schreiben gegenüber dem Versicherungsnehmer formell festgehalten hat, dass eine solche Berufsunfähigkeit nicht mehr besteht. Betroffen sind hier Fälle, in denen die Versicherung Leistungen abgelehnt hat (also fehlendes Anerkenntnis der Berufsunfähigkeit durch die Versicherung) und der Versicherungsnehmer jetzt seine Ansprüche einklagen muss. Die Berufsunfähigkeit wird im Prozess dann aber nur für einen bestimmten Zeitraum durch einen Sachverständigen nachgewiesen. Die Versicherung muss aber dennoch über diesen Zeitraum hinaus bezahlen.

Die wesentlichen Grundsätze der Entscheidungen, die durch Rechtsanwalt/Fachanwalt für Versicherungsrecht Uwe Klatt erstritten wurden, lauten: 

 (OLG Celle: Seite 13 bis 16 des Urteils)

  • Eine Versicherung wird nach Wiedererlangung der Berufsfähigkeit auf Seiten des Versicherungsnehmers von der Leistungspflicht nur unter den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Leistungseinstellung wieder frei, auch wenn die Versicherung den Anspruch nicht anerkannt hat und der Versicherungsnehmer deshalb zur Erhebung einer Klage gezwungen war.

  • In diesem Klageverfahren bedarf es eines Vortrages durch die Versicherung zumindest im Rechtsstreit selbst, dass und ab welchem Zeitpunkt der Versicherungsnehmer wieder berufsfähig ist, aus welchen veränderten Umständen sich dies ergibt und dass damit der Anspruch auf weitere Versicherungsleistungen wieder entfallen ist.

  • Soweit ein Gutachten im Prozess die Berufsunfähigkeit belegt und gleichzeitig von Wiedererlangung der Berufsfähigkeit nach einem gewissen Zeitraum ausgeht, kann sich die Versicherung ab diesem Zeitpunkt auf dieses Gutachten berufen. Ein stillschweigendes Berufen auf dieses Gutachten und ein sich zu Eigen machen dieses Gutachtens reicht in diesem Falle aber nicht aus. Ein nur stillschweigender Vortrag wird dem Zweck eine Einstellungsmitteilung nicht gerecht. Wenn der Versicherer das Ende der Berufsunfähigkeit auf eine Gesundheitsverbesserung stützt, muss er den aktuellen Gesundheitszustand mit dem Zustand vergleichen, der die Berufsunfähigkeit ursprünglich begründet hat. Dazu gehört auch die Darlegung, dass gerade der verbesserte Gesundheitszustand die Berufsunfähigkeit ganz oder teilweise wieder entfallen lässt.

  • Gemäß § 242 BGB (Grundsatz von Treu und Glauben) kann die Versicherung nicht deshalb bessergestellt werden, weil sie es im Ergebnis pflichtwidrig unterlassen hatte, ein gebotenes Anerkenntnis vormals abgegeben zu haben.

 (BGH: Seite 7 bis 11 des Beschlusses)

  • Ein Versicherer kann auch dann, wenn er kein Anerkenntnis seiner Leistungspflicht abgegeben hat, den späteren Wegfall einer zunächst bestehenden Berufsunfähigkeit nur durch eine den inhaltlichen Anforderungen des Nachprüfungsverfahrens genügende Änderungsmitteilung geltend machen. Die Änderungsmitteilung hat insoweit rechtsgestaltende Wirkung.

  • Auch wenn die Versicherung kein Leistungsanerkenntnis abgegeben hat, ist sie an die Regeln in den Versicherungsbedingungen gebunden. Auch in derartigen Fällen bedarf der Versicherungsnehmer des Schutzes, der ihm durch ein Nachprüfungsverfahren geboten wird.

  • Macht der Versicherungsnehmer mangels Anerkenntnis durch die Versicherung seine Ansprüche im Wege der Klage geltend und führt dort den Nachweis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit, steht dem Versicherer im selben Rechtsstreit der Nachweis offen, dass und ab welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Herabsetzung oder Einstellung der Leistungen eingetreten sind. Dieses ändert aber in nichts an der Erforderlichkeit einer Änderungsmitteilung.

Zusammenfassung wesentlicher Gesichtspunkte:

Zusammengefasst bedeuten diese Aussagen der Gerichte günstig für den Versicherungsnehmer folgendes:

  • Wird die Berufsunfähigkeit durch den Versicherungsnehmer im Gerichtsverfahren mittels Sachverständigengutachten bewiesen,

  • besteht Berufsunfähigkeit aber in der zurückliegenden Zeit nur temporär (vorübergehend),

  • muss die Versicherung – ohne dass Berufsunfähigkeit noch festzustellen ist – so lange die Rente weiterbezahlen, bis ein formelles Nachprüfungsverfahren das Ende der Berufsunfähigkeit konkret beschreibt. 

Die Versicherung muss also leisten,

  • soweit in der Vergangenheit zunächst Berufsunfähigkeit bei dem Versicherungsnehmer bestand und im Prozess durch einen Sachverständigen bewiesen ist,

  • obwohl die Berufsunfähigkeit in der Vergangenheit wieder beendet ist (ggf. schon mehrere Jahre, weil Auseinandersetzungen über die Berufsunfähigkeit oft sehr lange andauern und Prozesse sehr zeitaufwendig sind)

  • und die Versicherung noch kein Nachprüfungsverfahren durchgeführt hat.

Ein solches Nachprüfungsverfahren im Prozess führt eine Versicherung üblicherweise nicht durch, bevor ein Gutachten eingeht, welches bestätigt, dass eine Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliegt. 

Uwe Klatt

Rechtsanwalt 

Fachanwalt für Versicherungsrecht und Medizinrecht


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