Berufsunfähigkeitsversicherung – Einkommen in der Verweisungstätigkeit

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Nach vielen Versicherungsbedingungen der Berufsunfähigkeitsversicherung liegt vollständige Berufsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte infolge Krankheiten, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd außer Stande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht.

Der Bundesgerichtshof hatte sich mit einem Fall zu befassen, in dem der Kläger ein ausgebildeter Landmaschinenmechaniker war. Er hatte sodann im Bereich des Metallbaus mit dem Schwerpunkt Hufbeschlag gearbeitet. Danach absolvierte er einen mehrere Monate währenden, ganztägigen Lehrgang zum Hufbeschlagschmied und war in diesem Beruf sechs Jahre selbständig tätig. Sodann arbeitete er sechs Jahre lang in einer Biogasanlage als Anlagenwart und sodann als Maschinenführer. Darauffolgend war er in einem anderen Unternehmen als Lagerist beschäftigt.

Der Kläger verlangte Leistung aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung mit dem Argument, seit dem Jahr 2004 leide er an chronischen Lendenwirbel- und Schultergelenksbeschwerden und habe deshalb – also leidensbedingt – seinerzeit von seiner selbständigen Tätigkeit als Hufbeschlagschmied zur angestellten Tätigkeit in der Biogasanlage gewechselt. Er habe zunächst die Tätigkeit als Hufbeschlagschmied nur nebenberuflich weitergeführt, sei aber in diesen Beruf jedenfalls seit mehreren Jahren zumindest zu 50 % berufsunfähig.

Der Berufsunfähigkeitsversicherer verweigerte die Leistung mit der Begründung, der Kläger könne auf die Tätigkeit des Maschinenführers verwiesen werden. Er verdiene ja dort sehr viel mehr Geld. Als selbständiger Hufbeschlagschmied sei er nur knapp über die Runden gekommen, was stimmte.

Der Kläger hatte in der ersten und zweiten Instanz keinen Erfolg. Im Rahmen des Revisionsverfahrens hob der Bundesgerichtshof das Urteil des Berufungsgerichts wieder auf und verwies die Sache dorthin zurück.

Der BGH hat im Rückgriff auf seine ständige Rechtsprechung dargelegt, dass eine Verweisung des Versicherten auf eine andere Tätigkeit nach den Bedingungen des beklagten Versicherers nur dann in Betracht komme, wenn die andere Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung des Versicherungsnehmers entspricht. Die bisherige Lebensstellung werde vor allem durch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit vor Eintritt der Berufsunfähigkeit geprägt. Ihre Berücksichtigung sondert Tätigkeiten aus, deren Ausübung deutlich geringere Fähigkeiten und Erfahrungen erfordert, als der bisherige Beruf. Die Lebensstellung des Versicherten werde also von der Qualifikation seiner Erwerbstätigkeit bestimmt, die sich wiederum daran orientiere, welche Kenntnisse und Erfahrungen die ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung der Tätigkeit voraussetzt. Eine Vergleichstätigkeit ist erst dann gefunden, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordere und in ihrer Vergütung sowie ihrer sozialen Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufes absinkt.

In dem konkreten Rechtsstreit sagte der BGH weiter, dass der Umstand, dass das Einkommen des Klägers als selbständiger Hufbeschlagschmied nicht zur Deckung des Lebensunterhalts ausgereicht habe und sein leidensbedingter Berufswechsel zu einer erheblichen Einkommenssteigerung geführt habe, nichts daran ändere, dass die für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und die hierfür notwendige Erfahrung seine berufliche Qualifikation, die durch die neue Tätigkeit nicht deutlich unterschritten werden darf, bestimmen. Der Versicherte darf in dem von ihm ausgeübten Verweisungsberuf unabhängig von einem unter Umständen auch höheren Einkommen nicht „unterwertig“, also seine frühere Qualifikation und seinen beruflichen oder sozialen Status unterschreitend, beschäftigt sein.

Die Frage der Verweisung im Rahmen der Berufsunfähigkeitsversicherung beschäftigt die Gerichte immer wieder. Das Besondere der vorliegenden Entscheidung ist, dass der BGH ganz klar gesagt hat, dass die Einkommensverhältnisse zwar wichtig, aber nicht einzig und allein wichtig sind und wenn jemand in seinen Verweisungsberuf, den der Versicherer ihm zuerkennt, mehr Geld verdient, als in dem Beruf, den er wegen der Berufsunfähigkeit hat aufgeben müssen, dann heißt das nicht, dass Berufsunfähigkeit nicht anzunehmen wäre. Es kommt auf die soziale Stellung an. Es kommt darüber hinaus auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten an und wie diese in der Bevölkerung gewürdigt werden.

Der Bundesgerichtshof hat nicht abschließend entschieden, ob der Beruf des Hufbeschlagschmieds in Bezug auf seine soziale Stellung und auf die Wertschätzung der Bevölkerung höher zu bewerten sei, als der eines Maschinenführers. Er hat lediglich gesagt, dass das höhere Einkommen als angestellter Maschinenführer im Verhältnis zur Tätigkeit als selbständiger Hufbeschlagschmied nicht die Annahme einer Verweisungstätigkeit im Sinne der Bedingungen rechtfertige und insofern dieserhalb die Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht ausgeschlossen sein darf (vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2017 – IV ZR 11/16).


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