BGH: Beweislastumkehr bei grober Verletzung besonderer Schutz- und Organisationspflichten

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In dem vorliegenden Fall handelt es sich um eine rechtliche Angelegenheit, bei der die Klägerinnen, die Töchter und Erbinnen des kürzlich verstorbenen Klägers, den Beklagten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Bezug auf einen Hausnotrufvertrag in Anspruch nehmen. Der Kläger, Jahrgang 1934, und der Beklagte hatten im Jahr 2010 einen "Dienstleistungsvertrag zur Teilnahme am Hausnotruf" abgeschlossen. Dieser Vertrag sah vor, dass im Falle eines Notrufs das Hausnotrufgerät an eine ständig besetzte Zentrale angeschlossen wird, die umgehend angemessene Hilfeleistungen vermittelt. Dem Vertrag war ein Erhebungsbogen beigefügt, aus dem die gesundheitlichen Probleme des Klägers hervorgingen.

Am 9. April 2012 betätigte der Kläger den Notruf, woraufhin der Beklagte einen Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes zur Wohnung des Klägers schickte. Dieser Mitarbeiter fand den Kläger auf dem Boden liegend vor, konnte ihn jedoch nicht alleine aufrichten. Nach Hinzuziehung eines weiteren Mitarbeiters der Streithelferin wurde der Kläger schließlich auf eine Couch gesetzt. Die beiden Mitarbeiter verließen die Wohnung, ohne eine ärztliche Versorgung zu organisieren. Erst am 11. April 2012 wurde der Kläger von Pflegedienstmitarbeitern in der Wohnung gefunden und in die Klinik eingeliefert, wo ein Schlaganfall diagnostiziert wurde.

Der Kläger behauptete, dass die schwerwiegenden Folgen des Schlaganfalls vermieden worden wären, wenn der Mitarbeiter des Beklagten einen Rettungswagen mit medizinisch qualifizierten Rettungskräften geschickt hätte.

Prozessverlauf:

Das Landgericht und die Berufungskammer wiesen die Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld ab. Die Klägerinnen legten Revision ein.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof entschied, dass der Beklagte seine Pflichten aus dem Hausnotrufvertrag grob vernachlässigt habe und somit eine Beweislastumkehr zugunsten des Klägers in Bezug auf die Frage, ob die schwerwiegenden Folgen des Schlaganfalls auch bei rechtzeitiger Hinzuziehung eines Rettungsdienstes eingetreten wären, greife.

Der Hausnotrufvertrag war ein Dienstvertrag, bei dem der Beklagte verpflichtet war, unverzüglich angemessene Hilfeleistung zu vermitteln. In diesem konkreten Fall war offensichtlich, dass ein medizinischer Notfall vorlag, und der Kläger benötigte dringend Hilfe. Trotzdem wurde ein Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes entsandt, der nicht medizinisch geschult war und die Situation nicht angemessen bewältigen konnte.

Grundsätzlich trägt der Geschädigte die Beweislast für die Pflichtverletzung und den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden. In Fällen grober Pflichtverletzungen, die einen Schaden verursachen können, wird jedoch die Beweislast umgekehrt. Dies gilt auch in diesem Fall, da der Beklagte seine Schutz- und Organisationspflichten grob verletzt hatte, was zu erheblichen Aufklärungserschwernissen führte. Der Kläger blieb unversorgt, bis er schließlich in die Klinik eingeliefert wurde.

Schlussfolgerung:

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs legt nahe, dass der Beklagte seine Pflichten aus dem Hausnotrufvertrag grob vernachlässigt hat und somit für die schwerwiegenden Folgen des Schlaganfalls verantwortlich gemacht werden kann. Dies hat zur Umkehr der Beweislast geführt, was die Chancen des Klägers auf Schadensersatz und Schmerzensgeld erhöht.

Vorinstanzen:

  • Landgericht Berlin – Urteil vom 7. November 2013 – 63 O 41/13
  • Kammergericht Berlin – Urteil vom 20. Januar 2016 – 26 U 5/14
Foto(s): www.kanzlei-steinwachs.de

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