BGH-Entscheidung im VW-Dieselskandal – eine Zusammenfassung vom Fachanwalt

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Der BGH hat sich erstmals im Januar 2019 zum Dieselskandal geäußert. Der Artikel fasst die Entscheidung verständlich zusammen und zeigt auf, was sich daraus für Betroffene ergibt.

Bundesgerichtshof-Beschluss (VIII ZR 225/17) vom 08.01.2019

In dem Beschluss vom 08.01.2019 hat der Bundesgerichtshof sich mit der Frage beschäftigt, ob der Anspruch des Käufers eines mangelhaften Neufahrzeugs auf Ersatzlieferung bei einem Modellwechsel besteht. Es wurde darauf hingewiesen, dass ein Fahrzeug nicht frei von Sachmängeln ist, wenn bei der Übergabe an den Käufer das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert.

Die Folge ist, dass dem Fahrzeug die Eignung für die gewöhnliche Verwendung fehlt. Die Gründe dafür sind, dass die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die, für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde besteht und mithin die Eignung des Fahrzeugs für den ungestörten Betrieb im Straßenverkehr nicht gewährleistet ist.

Zusätzlich hat der Senat auf seine Einschätzung hingewiesen, dass es fehlerhaft sein könnte, die vom Käufer geforderte Ersatzlieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs sei unmöglich. Dadurch, dass der Kläger ein Fahrzeug der ersten Generation der betreffenden Serie (hier: VW Tiguan 2.0 TDI) erworben habe, diese aber nicht mehr hergestellt werde und ein solches Modell auch nicht mehr beschafft werden könne. 

Bezüglich der vom Verkäufer vertraglich übernommenen Beschaffungspflicht ist zu beachten, dass die Pflicht zur Ersatzbeschaffung gleichartige und gleichwertige Sachen umfasst. Mithin dürfte, ein nachträglicher Modellwechsel und der Änderungsumfang für die Interessenlage des Verkäufers in der Regel ohne Belang sein. Die Lieferung einer identischen Sache ist nicht erforderlich. 

Vielmehr kommt es auf die Höhe der Ersatzbeschaffungskosten an. Dies führt jedoch nicht zur Unmöglichkeit der Leistung; vielmehr kann der Verkäufer eine Ersatzlieferung gegebenenfalls unter den im Einzelfall festzustellenden Voraussetzungen verweigern, sofern die Ersatzlieferung nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist.

I.

Das Berufungsgericht hat den Anspruch als unbegründet erachtet, weil es das mittlerweile noch hergestellte Nachfolgemodell (VW Tiguan der zweiten Generation) mit abweichender Motorisierung (110 statt 103 kW und Höchstgeschwindigkeit von 201-204 statt 182-192 km/h) und anderen Maßen nicht mehr als ,,gleichartige und gleichwertige Sache‘‘ angesehen hat. Eine Ersatzlieferung sei daher unmöglich.

II.

Nach Einschätzung des Senats dürfte der Anspruch nicht zurückzuweisen sein.

Es ist nach dem BGH vorliegend von einem Sachmangel am Fahrzeug des Klägers auszugehen. Für die gewöhnliche Verwendung eignet sich ein Kraftfahrzeug in der Regel dann, wenn es eine Beschaffenheit aufweist, die weder seine Zulassung zum Straßenverkehr hindert noch ansonsten seine Gebrauchsfähigkeit beeinträchtigt. Hier ist das Fahrzeug mit einer Software versehen, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem Ausstoß im normalen Fahrbetrieb reduziert. Danach ist es mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen, aufgrund derer die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Zulassungsbehörde besteht.

Bei der Einrichtung im Fahrzeug des Klägers, die bei erkanntem Prüfstandlauf eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert, dürfte es sich um eine über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen und Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge unzulässige Abschalteinrichtung handeln.

Die Verordnung, in deren Anwendungsbereich auch das Fahrzeug des Klägers fällt, legt gemeinsame technische Vorschriften der Mitgliedstaaten für die EG-Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen bezüglich der Schadstoffemissionen fest. Sie regelt auch Anforderungen, die die Hersteller von Neufahrzeugen zu erfüllen haben, um die EG-Typengenehmigung zu erhalten. Des Weiteren sind bei Dieselfahrzeugen, weitere Nachweise zu den Stickoxid-Emissionen erforderlich, auch ,,zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems“.

Eine EG-Typengenehmigung ist das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat der Europäischen Union einem Hersteller gegenüber bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, Systems oder Bauteils den Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht. 

Der Hersteller hat von ihm gefertigte Neufahrzeuge so auszurüsten, dass die Bauteile so konstruiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Bedingungen den Verordnungen entspricht. Damit soll sichergestellt werden, dass sich vorgegebene Emissionsgrenzwerte auf das tatsächliche Verhalten des Fahrzeugs beziehen und das zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte die Minderung der Emissionen bei Dieselfahrzeugen erreicht wird.

Eine ,,Abschalteinrichtung‘‘ ist jedes Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Geschwindigkeit, die Motordrehzahl und sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems, die normalerweise zu erwarten sind, verringert wird.

Es dürfte sich bei der betreffenden Software im Fahrzeug des Klägers um eine unzulässige Abschalteinrichtung handeln.

Denn diese Software erkennt, ob sich das Fahrzeug in einem Prüfzyklus zur Ermittlung der Emissionswerte befindet und schaltet dann in einen Modus, bei dem Abgase in den Motor zurückgelangen und sich so der Stickoxidausstoß verringert. Im normalen Fahrbetrieb findet eine geringere Abgasrückführung statt. Im Ergebnis ermittelt das System den Prüfstand und aktiviert oder deaktiviert Abgasrückführungen. Somit wird die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems beeinträchtigt.

Auch Ausnahmevorschriften sind nicht einschlägig, da nichts dafürspricht, dass die im Fahrzeug des Klägers vorhandene Abschalteinrichtung durch die Prüfverfahren zur Emissionsermessung vorgegeben war. Es dient viel mehr dazu, unerkannt auf das Emissionsprüfverfahren einzuwirken.

Mithin liegt ein Sachmangel vor, da die zuständige Zulassungsbehörde in Fällen, in denen sich ein Fahrzeug als nicht vorschriftmäßig erweist, dem Eigentümer oder Halter eine Frist zur Beseitigung der Mängel setzen oder den Betrieb im Straßenverkehr beschränken oder untersagen kann.

Somit ist der Halter einer drohenden Betriebsuntersagung ausgesetzt. Diese Gefahr besteht nicht erst bei einer Anordnung, sondern auch schon dann, wenn die Behörde Maßnahmen noch nicht gefordert hat. Auch dann liegt schon ein Grundmangel vor. Die Eignung des Fahrzeugs ist nicht erst dann abzusprechen, wenn ihre Tauglichkeit ganz aufgehoben ist, sondern bereits dann, wenn ihre Eignung herabgesetzt ist.

Diese verminderte Eignung dürfe bei Fahrzeugen mit den Motoren des Typs EA 189 vorhanden sein. Denn der Käufer eines solchen Fahrzeugs muss jederzeit damit rechnen, sein Fahrzeug nicht mehr im Straßenverkehr nutzen zu dürfen.

Nach Einschätzung des Senats könnte das Berufungsgericht fehlerhaft entschieden haben, dass dem Kläger kein Anspruch auf Ersatzlieferung besteht, weil Fahrzeugmodelle der ersten Generation des VW Tiguan nicht mehr hergestellt würden. Ein VW Tiguan der zweiten Generation stelle keine gleichartige und gleichwertige Sache dar.

Das Berufungsgericht hat nicht die Reichweite der vertraglichen Beschaffungspflicht des Verkäufers beachtet. Außerdem richtet sich die Ersatzbeschaffung nach gleichwertigen und gleichartigen Sachen und nicht nach identischen Sachen, so wie es das Berufungsrecht gesehen hat.

Ferner ist nach dem Senat zu beachten, dass beim Kauf eines Neufahrzeugs mit dem Markteintritt eines Nachfolgemodells zu rechnen ist. Folglich ist auch dem Fahrzeughändler bewusst, dass der Hersteller nach gewisser Zeit einen Modellwechsel vornehmen kann und dann das alte Modell nicht mehr produziert wird. Nachfolgemodell sind auch in der Regel fortentwickelt. Dies spielt auch eine Rolle bei der Beurteilung im Hinblick auf die Austauschbarkeit der Modelle. Ein mehr oder weniger großer Änderungsumfang dürfte für die Interessenslage der Parteien, insbesondere des Verkäufers, ohne Belang sein. Zumal kann der Hersteller Änderungen auch ohne äußerlich erkennbaren Modellwechsel vornehmen. Letztlich steht im Mittelpunkt, welche Ersatzbeschaffungskosten er für das Nachfolgemodell aufwenden muss.

Das Berufungsgericht hat den Vorrang der Nacherfüllung nicht hinreichend beachtet, sodass dem Anspruch des Klägers auf die begehrte Ersatzlieferung nichts entgegenstehen dürfte. Auch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Kläger keinen Antrag bezüglich der Ersatzlieferung eines VW Tiguan der zweiten Generation, sondern den Ersatz eines mangelfreien VW Tiguan forderte, ist bedenklich.

Nach dem BGH erfolgten zu strenge Anforderungen an das Begehren des Klägers. Der vom Kläger gestellte Antrag bezeichnet ein Fahrzeug mit einer Motorleistung von „103 kW (140 PS)“, während ein VW Tiguan der zweiten Generation „110 kW (150 PS)“ aufweist. Dennoch richtet sich das Begehren des Klägers auf die Ersatzlieferung eines mangelfreien VW Tiguan, sei es das Nachfolgemodell oder nicht. Es dürfte gerade ein Fahrzeug der zweiten Generation in Frage kommen, sofern die erste Modellreihe mangelhaft war und nicht nachgerüstet werden konnte, sogar ausschließlich ein solches Fahrzeug.

Zusammenfassung:

Der BGH-Beschluss ist sehr hilfreich für Käufer, die ihre Händler in Anspruch genommen haben oder noch in Anspruch nehmen werden. Käufer, die nach September 2015 ein Dieselskandal-Auto erwarben und hierüber nicht vom Händler aufgeklärt wurden, können den Händler unter Umständen weiterhin erfolgreich verklagen.

Auch für die Herstellerklagen gegen die Autohersteller hat dieser BGH-Beschluss jedoch zumindest eine wichtige Signalwirkung. 

Die Hersteller können weiterhin verklagt werden. 

Gerne beraten wir Sie hierzu. Die Kanzlei Balduin & Partner vertritt hunderte Betroffene im Abgasskandal und ist bundesweit erfolgreich. Mehr Infos finden Sie auf unserer Homepage. 



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