BGH - keine Verwirkung beim Widerruf von Darlehensverträgen

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Einige Oberlandesgerichte haben bei dem Widerruf von Darlehensverträgen, welche bereits vor etlichen Jahren abgeschlossen worden waren, entschieden, das Widerrufsrecht sei verwirkt bzw. werde rechtsmissbräuchlich ausgeübt. Dies widerspricht jedenfalls im Falle von laufenden Darlehensverträgen, welche noch nicht abgelöst wurden, der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Der Bundesgerichtshof hat bereits in der Vergangenheit in mehreren Fällen, welche den Widerruf von Darlehensverträgen viele Jahre nach Vertragsschluss betreffen, entschieden, dass das Widerrufsrecht nicht verjährt ist, vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2010, XI ZR 367/07 (6 Jahre nach Vertragsschluss); BGH, Urteil vom 12. Dezember 2005, II ZR 327/04 (9 Jahre nach Vertragsschluss); Urteil vom 15. November 2004, II ZR 375/02 (12 Jahre nach Vertragsschluss).

Grund hierfür ist insbesondere, dass von den beiden für die Verwirkung erforderlichen Voraussetzungen – Zeitmoment und Umstandsmoment – jedenfalls das Umstandsmoment nicht vorlegt. Denn die Bank hatte aufgrund der bloßen vertragsgemäßen Bedienung der Darlehensraten keinen berechtigten Grund, sich darauf einzustellen, dass das Widerrufsrecht trotz fehlerhafter Widerrufsbelehrung nicht mehr ausgeübt wird. Dies gilt umso mehr, wenn die Bank, wie fast immer, trotz der fehlerhaften Belehrung über das Widerrufsrecht von einer ordnungsgemäßen Nachbelehrung abgesehen hat.

Der für das Versicherungsrecht zuständige 4. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch Urteil vom 14. Mai 2014, IV ZR 76/11, entschieden, dass das Widerspruchsrecht bei Versicherungsverträgen auch nicht nach Kündigung des Vertrages und ebenfalls nicht nach beiderseitiger Leistungserbringung erlischt. Er führt in seinem Urteil in den Rn. 35ff. aus:

„bb) Das Widerspruchsrecht des Klägers ist nicht aus anderen Gründen entfallen.
(1) Die vom Kläger ausgesprochene Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren Widerspruch nicht entgegen. Da der Kläger über sein Widerspruchsrecht nicht ausreichend belehrt wurde, konnte er sein Wahlrecht zwischen Kündigung und Widerspruch nicht sachgerecht ausüben (vgl. Senatsurteil vom 16. Oktober 2013 IV ZR 52/12, VersR 2013, 1513 Rn. 24).

(2) Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt anders als in der Sache IV ZR 52/12 (aaO) schon deshalb nicht in Betracht, weil eine entsprechende Anwendung der Regelungen in den §§ 7 Abs. 2 VerbrKrG, 2 Abs. 1 Satz 4 HWiG nach Außerkrafttreten dieser Gesetze nicht mehr möglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2009 – XI ZR 260/08, WM 2010, 34 Rn. 16).

cc) Der Kläger verstößt mit seiner Rechtsausübung nicht gegen Treu und Glauben.
(1) Entgegen der Ansicht der Beklagten hat er sein Recht zum Widerspruch nicht verwirkt. Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (st. Rspr., BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 VII ZR 177/13, NJW 2014, 1230 Rn. 13 m.w.N.). Es fehlt hier jedenfalls am Umstandsmoment. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann die Beklagte schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil sie die Situation selbst herbeigeführt hat, indem sie dem Kläger keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilte (vgl. dazu unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit EuGH, VersR 2014, 225 Rn. 30).

(2) Aus demselben Grund liegt in der Geltendmachung des bereicherungsrechtlichen Anspruchs keine widersprüchliche und damit unzulässige Rechtsausübung (vgl. dazu Brand, VersR 2014, 269, 276). Widersprüchliches Verhalten ist nach der Rechtsordnung grundsätzlich zulässig und nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Eine Rechtsausübung kann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH, Urteil vom 15. November 2012 IX ZR 103/11, NJW-RR 2013, 757 Rn. 12 m.w.N.). Die Beklagte kann keine vorrangige Schutzwürdigkeit für sich beanspruchen, nachdem sie es versäumt hat, den Kläger über sein Widerspruchsrecht zu belehren.“

Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof kürzlich noch einmal durch Urteile vom 14. Oktober 2015, IV ZR 211/14, und vom 28. Oktober 2015, IV ZR 164/15, bekräftigt. Die darin angeführten Erwägungen sind grundsätzlich auch auf die gleichartige Problematik bei Darlehensverträgen übertragbar.

Am 1. Dezember 2015 hat der Bundesgerichthof eine Entscheidung zur Frage der Verwirkung beim Widerruf von Darlehensverträgen angekündigt. Nach den bisherigen höchstrichterlichen Vorgaben ist zu erwarten, dass der Bundesgerichtshof auch bei Darlehensverträgen weiterhin regelmäßig keine Verwirkung des Widerrufsrechts annehmen wird.

Rechtsanwalt Ingo M. Dethloff rät als Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht allen Darlehensnehmern von Immobilienkrediten, ihre Widerrufsbelehrung überprüfen zu lassen. Aufgrund der im Laufe des Jahres 2016 zu erwartenden Gesetzesänderung sollte ein möglicher Widerruf nach entsprechender Prüfung zeitnah ausgeübt werden.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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